Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 202

   
         
 

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  01

Von den Schwächen und Krankheiten der Seele in Ansehung

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 206)]    
  02

ihres Erkenntnißvermögens.

   
         
  03

A.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 210)]    
  04

Allgemeine Eintheilung.

   
         
  05 § 45. Die Fehler des Erkenntnißvermögens sind entweder Gemüthsschwächen,    
  06 oder Gemüthskrankheiten. Die Krankheiten der    
  07 Seele in Ansehung des Erkenntnißvermögens lassen sich unter zwei Hauptgattungen    
  08 bringen. Die eine ist die Grillenkrankheit (Hypochondrie)    
  09 und die andere das gestörte Gemüth (Manie). Bei der ersteren ist    
  10 sich der Kranke wohl bewußt, daß es mit dem Laufe seiner Gedanken nicht    
  11 richtig zugehe: indem den Gang derselben zu richten, ihn aufzuhalten oder    
  12 anzutreiben seine Vernunft nicht hinreichende Gewalt über sich selbst hat.    
  13 Unzeitige Freude und unzeitige Bekümmernisse, mithin Launen wechseln    
  14 wie das Wetter, das man nehmen muß, wie es sich findet, in ihm ab.    
  15 Das zweite ist ein willkürlicher Lauf seiner Gedanken, der seine eigene    
  16 (subjective) Regel hat, welche aber den (objectiven) mit Erfahrungsgesetzen    
  17 zusammenstimmenden zuwider läuft.    
         
  18 In Ansehung der Sinnenvorstellung ist die Gemüthsstörung entweder    
  19 Unsinnigkeit oder Wahnsinn. Als Verkehrtheit der Urtheilskraft    
  20 und der Vernunft heißt sie Wahnwitz oder Aberwitz. Wer bei    
  21 seinen Einbildungen die Vergleichung mit den Gesetzen der Erfahrung    
  22 habituell unterläßt (wachend träumt), ist Phantast (Grillenfänger); ist    
  23 er es mit Affect, so heißt er Enthusiast. Unerwartete Anwandlungen    
  24 des Phantasten heißen Überfälle der Phantasterei ( raptus ).    
         
  25 Der Einfältige, Unkluge, Dumme, Geck, Thor und Narr unterscheiden    
  26 sich vom Gestörten nicht blos in Graden, sondern in der verschiedenen    
  27 Qualität ihrer Gemüthsverstimmung, und jene gehören ihrer Gebrechen    
  28 wegen noch nicht ins Narrenhospital, d. i. einen Ort, wo Menschen unerachtet    
  29 der Reife und Stärke ihres Alters doch in Ansehung der geringsten    
  30 Lebensangelegenheiten durch fremde Vernunft in Ordnung gehalten    
  31 werden müssen. - Wahnsinn mit Affect ist Tollheit, welche oft original,    
  32 dabei aber unwillkürlich anwandelnd sein kann und alsdann, wie die    
  33 dichterische Begeisterung ( furor poeticus ) an das Genie gränzt; ein    
  34 solcher Anfall aber der leichteren, aber ungeregelten Zuströmung von    
         
     

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