Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 195 |
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01 | an Abraham und der Geburt Christi) aus, sondern bestimmen auch ganz | ||||||
02 | genau die Gränzen desselben gleichsam a priori, als ob sich nicht die Chronologie | ||||||
03 | nach der Geschichte, sondern umgekehrt die Geschichte nach der | ||||||
04 | Chronologie richten müßte. | ||||||
05 | Aber auch in anderen Fällen wird es Gewohnheit, die Sachen von | ||||||
06 | Zahlen abhängig zu machen. Ein Arzt, dem der Patient durch seinen | ||||||
07 | Diener ein Gratial schickt, wenn er bei Aufwickelung des Papiers darin | ||||||
08 | eilf Dukaten findet, wird in den Argwohn gerathen, daß dieser wohl einen | ||||||
09 | möchte unterschlagen haben; denn warum nicht ein Dutzend voll? Wer | ||||||
10 | auf einer Auction Porcellangeschirr von gleicher Fabrication kauft, wird | ||||||
11 | weniger bieten, wenn es nicht ein volles Dutzend ist, und wären es dreizehn | ||||||
12 | Teller, so wird er auf den dreizehnten nur so fern einen Werth setzen, | ||||||
13 | als er dadurch gesichert wird, wenn auch einer zerbrochen würde, doch jene | ||||||
14 | Zahl voll zu haben. Da man aber seine Gäste nicht zu Dutzenden einladet, | ||||||
15 | was kann es interessiren, dieser geraden Zahl einen Vorzug zu | ||||||
16 | geben? Ein Mann vermachte im Testament seinem Vetter Eilf silberne | ||||||
17 | Löffel und setzte hinzu: "Warum ich ihm nicht den zwölften vermache, wird | ||||||
18 | er selbst am besten wissen" (der junge lüderliche Mensch hatte an jenes | ||||||
19 | seinem Tisch einen Löffel heimlich in die Tasche gesteckt, welches jener wohl | ||||||
20 | bemerkte, aber ihn damals nicht beschämen wollte). Bei Eröffnung des | ||||||
21 | Testaments konnte man leicht errathen, was die Meinung des Erblassers | ||||||
22 | war, aber nur aus dem angenommenen Vorurtheil, daß nur das Dutzend | ||||||
23 | eine volle Zahl sei. - Auch die zwölf Zeichen des Thierkreises (welcher | ||||||
24 | Zahl analogisch die 12 Richter in England angenommen zu sein scheinen) | ||||||
25 | haben eine solche mystische Bedeutung erhalten. In Italien, Deutschland, | ||||||
26 | vielleicht auch anderswo wird eine Tischgesellschaft von gerade 13 Gästen | ||||||
27 | für ominös gehalten, weil man wähnt, daß alsdann einer von ihnen, wer | ||||||
28 | es auch sei, das Jahr sterben werde: so wie an einer Tafel von 12 Richtern | ||||||
29 | der 13te, der sich darunter befindet, kein anderer als der Delinquent sein | ||||||
30 | könne, der gerichtet werden soll. (Ich habe mich selbst einmal an einer | ||||||
31 | solchen Tafel gefunden, wo die Frau des Hauses beim Niedersetzen diesen | ||||||
32 | vermeinten Übelstand bemerkte und insgeheim ihrem darunter befindlichen | ||||||
33 | Sohn aufzustehen und in einem anderen Zimmer zu essen befahl: damit | ||||||
34 | die Fröhlichkeit nicht gestört würde). - Aber auch die bloße Größe der | ||||||
35 | Zahlen, wenn man der Sachen, die sie bezeichnen, genug hat, erregen blos | ||||||
36 | dadurch, daß sie im Zählen nicht einen der Dekadik gemäßen (folglich an | ||||||
37 | sich willkürlichen) Abschnitt füllen, Verwunderung. So soll der Kaiser | ||||||
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