Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 175

   
         
 

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  01 diese Gestalt ist alsdann eine Dichtung, welche, wenn sie unwillkürlich ist    
  02 (wie etwa im Traume), Phantasie heißt und nicht dem Künstler angehört;    
  03 wenn sie aber durch Willkür regiert wird, Composition, Erfindung    
  04 genannt wird. Arbeitet nun der Künstler nach Bildern, die den    
  05 Werken der Natur ähnlich sind, so heißen seine Producte natürlich;    
  06 verfertigt er aber nach Bildern, die nicht in der Erfahrung vorkommen    
  07 können, so gestaltete Gegenstände (wie der Prinz Palagonia in Sicilien),    
  08 so heißen sie abenteuerlich, unnatürlich, Fratzengestalten, und solche Einfälle    
  09 sind gleichsam Traumbilder eines Wachenden ( velut aegri somnia    
  10 vanae finguntur species ). - Wir spielen oft und gern mit der Einbildungskraft;    
  11 aber die Einbildungskraft (als Phantasie) spielt eben so    
  12 oft und bisweilen sehr ungelegen auch mit uns.    
         
  13 Das Spiel der Phantasie mit dem Menschen im Schlafe ist der    
  14 Traum und findet auch im gesunden Zustande statt; dagegen es einen    
  15 krankhaften Zustand verräth, wenn es im Wachen geschieht. - Der Schlaf,    
  16 als Abspannung alles Vermögens äußerer Wahrnehmungen und vornehmlich    
  17 willkürlicher Bewegungen, scheint allen Thieren, ja selbst den    
  18 Pflanzen (nach der Analogie der letzteren mit den ersteren) zur Sammlung    
  19 der im Wachen aufgewandten Kräfte nothwendig; aber eben das scheint    
  20 auch der Fall mit den Träumen zu sein, so daß die Lebenskraft, wenn sie    
  21 im Schlafe nicht durch Träume immer rege erhalten würde, erlöschen und    
  22 der tiefste Schlaf zugleich den Tod mit sich führen müßte. - Wenn man    
  23 sagt: einen festen Schlaf, ohne Träume, gehabt zu haben, so ist das doch    
  24 wohl nicht mehr, als daß man sich dieser beim Erwachen gar nicht erinnere;    
  25 welches, wenn die Einbildungen schnell wechseln, einem wohl auch im    
  26 Wachen begegnen kann, nämlich im Zustande einer Zerstreuung zu sein,    
  27 wo man auf die Frage, was der mit starrem Blicke eine Weile auf denselben    
  28 Punkt Geheftete jetzt denke, die Antwort erhält: ich habe nichts    
  29 gedacht. Würde es nicht beim Erwachen viele Lücken (aus Unaufmerksamkeit    
  30 übergangene verknüpfende Zwischenvorstellungen) in unserer Erinnerung    
  31 geben; würden wir die folgende Nacht da wieder zu träumen anfangen,    
  32 wo wir es in der vorigen gelassen haben: so weiß ich nicht, ob wir nicht    
  33 uns in zwei verschiedene Welten zu leben wähnen würden. - Das Träumen    
  34 ist eine weise Veranstaltung der Natur zur Erregung der Lebenskraft    
  35 durch Affecten, die sich auf unwillkürlich gedichtete Begebenheiten beziehen,    
  36 indessen daß die auf der Willkür beruhenden Bewegungen des Körpers,    
  37 nämlich die der Muskeln suspendirt sind. - Nur muß man die Traumgeschichten    
         
     

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