Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 160

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01 so kann ein solcher Verlust, vornehmlich bei einem Wohlhabenden, noch    
  02 wohl nothdürftig durchs Gesicht ersetzt werden. Aber ein im Alter Taubgewordener    
  03 vermißt dieses Mittel des Umgangs gar sehr, und so wie man    
  04 viele Blinde sieht, welche gesprächig, gesellschaftlich und an der Tafel    
  05 fröhlich sind, so wird man schwerlich einen, der sein Gehör verloren hat,    
  06 in Gesellschaft anders als verdrießlich, mißtrauisch und unzufrieden antreffen.    
  07 Er sieht in den Mienen der Tischgenossen allerlei Ausdrücke von    
  08 Affect oder wenigstens Interesse und zerarbeitet sich vergeblich, ihre Bedeutung    
  09 zu errathen, und ist also selbst mitten in der Gesellschaft zur    
  10 Einsamkeit verdammt.    
         
  11 § 23. Noch gehört zu den beiden letzteren Sinnen (die mehr subjectiv    
  12 als objectiv sind) eine Empfänglichkeit für gewisse Objecte äußerer    
  13 Sinnenempfindungen von der besonderen Art, daß sie blos subjectiv sind    
  14 und auf die Organe des Riechens und Schmeckens durch einen Reiz wirken,    
  15 der doch weder Geruch noch Geschmack ist, sondern als die Einwirkung    
  16 gewisser fixer Salze, welche die Organe zu specifischen Ausleerungen    
  17 reizen, gefühlt wird; daher denn diese Objecte nicht eigentlich genossen und    
  18 in die Organe innigst aufgenommen werden, sondern nur sie berühren    
  19 und bald darauf weggeschafft werden sollen; eben dadurch aber den ganzen    
  20 Tag hindurch (die Essenszeit und den Schlaf ausgenommen) ohne Sättigung    
  21 können gebraucht werden. - Das gemeinste Material derselben ist    
  22 der Toback, es sei ihn zu schnupfen, oder ihn in den Mund zwischen der    
  23 Backe und dem Gaumen zur Reizung des Speichels zu legen, oder auch    
  24 ihn durch Pfeifenröhre, wie selbst das spanische Frauenzimmer in Lima    
  25 durch einen angezündeten Zigarro zu rauchen. Statt des Tobaks bedienen    
  26 sich die Malayen im letzteren Fall der Arecanuß, in ein Betelblatt    
  27 gewickelt (Betelarek), welches eben dieselbe Wirkung thut. - Dieses Gelüsten    
  28 ( Pica ), abgesehen von dem medicinischen Nutzen oder Schaden,    
  29 den die Absonderung des Flüssigen in beiderlei Organen zur Folge haben    
  30 mag, ist als bloße Aufreizung des Sinnengefühls überhaupt gleichsam    
  31 ein oft wiederholter Antrieb der Recollection der Aufmerksamkeit auf    
  32 seinen Gedankenzustand, der sonst einschläfern oder durch Gleichförmigkeit    
  33 und Einerleiheit langweilig sein würde, statt dessen jene Mittel sie    
  34 immer stoßweise wieder aufwecken. Diese Art der Unterhaltung des    
         
     

[ Seite 159 ] [ Seite 161 ] [ Inhaltsverzeichnis ]