Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 044 |
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01 | muß er auch werden können, und ist es nicht durch eigene Kräfte natürlicherweise | ||||||
02 | möglich, so darf er hoffen, daß es durch äußere göttliche Mitwirkung | ||||||
03 | (auf welche Art es auch sei) geschehen werde. -Man kann noch | ||||||
04 | hinzusetzen, daß der Glaube an diese Ergänzung seligmachend sei, weil er | ||||||
05 | dadurch allein zum gottwohlgefälligen Lebenswandel (als der einzigen | ||||||
06 | Bindung der Hoffnung der Seligkeit) Muth und feste Gesinnung fassen | ||||||
07 | kann, daß er am Gelingen seiner Endabsicht (Gott wohlgefällig zu werden) | ||||||
08 | nicht verzweifelt. -Daß er aber wissen und bestimmt müsse angeben | ||||||
09 | können, worin das Mittel dieses Ersatzes (welches am Ende doch | ||||||
10 | überschwenglich und bei allem, was uns Gott darüber selbst sagen möchte, | ||||||
11 | für uns unbegreiflich ist) bestehe, das ist eben nicht nothwendig, ja, auf | ||||||
12 | diese Kenntniß auch nur Anspruch zu machen, Vermessenheit. -Die | ||||||
13 | Schriftstellen also, die eine solche specifische Offenbarung zu enthalten | ||||||
14 | scheinen, müssen so ausgelegt werden, daß sie nur das Vehikel jenes moralischen | ||||||
15 | Glaubens für ein Volk nach dessen bisher bei ihm im Schwang | ||||||
16 | gewesenen Glaubenslehren betreffen und nicht Religionsglauben (für alle | ||||||
17 | Menschen), mithin blos den Kirchenglauben (z. B. für Judenchristen) angehen, | ||||||
18 | welcher historischer Beweise bedarf, deren nicht jedermann theilhaftig | ||||||
19 | werden kann; statt dessen Religion (als auf moralische Begriffe | ||||||
20 | gegründet) für sich vollständig und zweifelsfrei sein muß. | ||||||
21 | Aber selbst wider die Idee einer philosophischen Schriftauslegung | ||||||
22 | ich die vereinigte Stimme der biblischen Theologen sich erheben: sie | ||||||
23 | hat, sagt man, erstlich eine naturalistische Religion und nicht Christenthum | ||||||
24 | zur Absicht. Antwort: das Christenthum ist die Idee von der Religion, | ||||||
25 | die überhaupt auf Vernunft gegründet und so fern natürlich sein | ||||||
26 | muß. Es enthält aber ein Mittel der Einführung derselben unter Menschen | ||||||
27 | die Bibel, deren Ursprung für übernatürlich gehalten wird, die (ihr | ||||||
28 | Ursprung mag sein, welcher er wolle), so fern sie den moralischen Vorschriften | ||||||
29 | der Vernunft in Ansehung ihrer öffentlichen Ausbreitung und | ||||||
30 | inniglicher Belebung beförderlich ist, als Vehikel zur Religion gezählt | ||||||
31 | werden kann und als ein solches auch für übernatürliche Offenbarung angenommen | ||||||
32 | werden mag. Nun kann man eine Religion nur naturalistisch | ||||||
33 | nennen, wenn sie es zum Grundsatze macht, keine solche Offenbarung | ||||||
34 | einzuräumen. Also ist des Christenthum darum nicht eine naturalistische | ||||||
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