Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 405

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vom Menschen haben, wie sie sind, sondern nach der rationalen, wie sie      
  02 der Idee der Menschheit gemäß sein sollen. Diese drei Maximen der      
  03 wissenschaftlichen Behandlung einer Tugendlehre sind den älteren Apophthegmen      
  04 entgegengesetzt:      
           
  05 1) Es ist nur eine Tugend und nur ein Laster.      
           
  06 2) Tugend ist die Beobachtung der Mittelstraße zwischen entgegengesetzten      
  07 Lastern.      
           
  08 3) Tugend muß (gleich der Klugheit) der Erfahrung abgelernt      
  09 werden.      
           
  10
Von der Tugend überhaupt.
     
           
  11 Tugend bedeutet eine moralische Stärke des Willens. Aber dies erschöpft      
  12 noch nicht den Begriff; denn eine solche Stärke könnte auch einem      
  13 heiligen (übermenschlichen) Wesen zukommen, in welchem kein hindernder      
  14 Antrieb dem Gesetze seines Willens entgegen wirkt; das also alles dem      
  15 Gesetz gemäß gerne thut. Tugend ist also die moralische Stärke des Willens      
  16 eines Menschen in Befolgung seiner Pflicht: welche eine moralische      
  17 Nöthigung durch seine eigene gesetzgebende Vernunft ist, insofern      
  18 diese sich zu einer das Gesetz ausführenden Gewalt selbst constituirt.      
  19 - Sie ist nicht selbst, oder sie zu besitzen ist nicht Pflicht (denn sonst      
  20 würde es eine Verpflichtung zur Pflicht geben müssen), sondern sie gebietet      
  21 und begleitet ihr Gebot durch einen sittlichen (nach Gesetzen der      
  22 inneren Freiheit möglichen) Zwang; wozu aber, weil er unwiderstehlich      
  23 sein soll, Stärke erforderlich ist, deren Grad wir nur durch die Größe der      
  24 Hindernisse, die der Mensch durch seine Neigungen sich selber schafft,      
  25 schätzen können. Die Laster, als die Brut gesetzwidriger Gesinnungen      
  26 sind die Ungeheuer, die er nun zu bekämpfen hat: weshalb diese sittliche      
  27 Stärke auch, als Tapferkeit ( fortitudo moralis ), die größte und einzige      
  28 wahre Kriegsehre des Menschen ausmacht; auch wird sie die eigentliche,      
  29 nämlich praktische, Weisheit genannt: weil sie den Endzweck des Daseins      
  30 der Menschen auf Erden zu dem ihrigen macht. - In ihrem Besitz      
  31 ist der Mensch allein frei, gesund, reich, ein König u. s. w. und kann weder      
  32 durch Zufall noch Schicksal einbüßen: weil er sich selbst besitzt und der      
  33 Tugendhafte seine Tugend nicht verlieren kann.      
           
  34 Alle Hochpreisungen, die das Ideal der Menschheit in ihrer moralischen      
  35 Vollkommenheit betreffen, können durch die Beispiele des Widerspiels      
  36 dessen, was die Menschen jetzt sind, gewesen sind, oder vermuthlich künftig      
           
     

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