Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 238 |
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01 | Qualität des Menschen sein eigener Herr ( sui iuris ) zu sein, imgleichen | ||||||
02 | die eines unbescholtenen Menschen ( iusti ), weil er vor allem rechtlichen | ||||||
03 | Act keinem Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß, das gegen | ||||||
04 | andere zu thun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich | ||||||
05 | dessen nur nicht annehmen wollen; dergleichen ist ihnen bloß seine Gedanken | ||||||
06 | mitzutheilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei | ||||||
07 | wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig ( veriloquium aut falsiloquium ), | ||||||
08 | weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder | ||||||
09 | nicht*); - alle diese Befugnisse liegen schon im Princip der angebornen | ||||||
10 | Freiheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter | ||||||
11 | einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden. | ||||||
12 | Die Absicht, weswegen man eine solche Eintheilung in das System | ||||||
13 | des Naturrechts (sofern es das angeborne angeht) eingeführt hat, geht | ||||||
14 | darauf hinaus, damit, wenn über ein erworbenes Recht ein Streit entsteht | ||||||
15 | und die Frage eintritt, wem die Beweisführung ( onus probandi ) | ||||||
16 | obliege, entweder von einer bezweifelten That, oder, wenn diese ausgemittelt | ||||||
17 | ist, von einem bezweifelten Recht, derjenige, welcher diese Verbindlichkeit | ||||||
18 | von sich ablehnt, sich auf sein angebornes Recht der Freiheit | ||||||
19 | (welches nun nach seinen verschiedenen Verhältnissen specificirt wird) | ||||||
20 | methodisch und gleich als nach verschiedenen Rechtstiteln berufen könne. | ||||||
21 | Da es nun in Ansehung des angebornen, mithin inneren Mein und | ||||||
22 | Dein keine Rechte, sondern nur Ein Recht giebt, so wird diese Obereintheilung | ||||||
23 | als aus zwei dem Inhalte nach äußerst ungleichen Gliedern | ||||||
24 | bestehend in die Prolegomenen geworfen und die Eintheilung der Rechtslehre | ||||||
25 | bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können. | ||||||
*) Vorsetzlich, wenn gleich bloß leichtsinniger Weise, Unwahrheit zu sagen, pflegt zwar gewöhnlich Lüge ( mendacium ) genannt zu werden, weil sie wenigstens so fern auch schaden kann, daß der, welcher sie treuherzig nachsagt, als ein Leichtgläubiger anderen zum Gespötte wird. Im rechtlichen Sinne aber will man, daß nur diejenige Unwahrheit Lüge genannt werde, die einem anderen unmittelbar an seinem Rechte Abbruch thut, z. B. das falsche Vorgeben eines mit jemandem geschlossenen Vertrags, um ihn um das seine zu bringen ( falsiloquium dolosum ), und dieser Unterschied sehr verwandter Begriffe ist nicht ungegründet: weil es bei der bloßen Erklärung seiner Gedanken immer dem andern frei bleibt, sie anzunehmen, wofür er will, obgleich die gegründete Nachrede, daß dieser ein Mensch sei, dessen Reden man nicht glauben kann, so nahe an den Vorwurf, ihn einen Lügner zu nennen, streift, daß die Grenzlinie, die hier das, was zum Ius gehört, von dem, was der Ethik anheim fällt, nur so eben zu unterscheiden ist. | |||||||
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