Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 059 |
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01 | Wenn der Stoiker also den moralischen Kampf des Menschen bloß | ||||||
02 | als Streit mit seinen (an sich unschuldigen) Neigungen, sofern sie als | ||||||
03 | Hindernisse der Befolgung seiner Pflicht überwunden werden müssen, | ||||||
04 | dachte: so konnte er, weil er kein besonderes positives (an sich böses) Princip | ||||||
05 | annimmt, die Ursache der Übertretung nur in der Unterlassung | ||||||
06 | setzen, jene zu bekämpfen; da aber diese Unterlassung selbst pflichtwidrig | ||||||
07 | (Übertretung), nicht bloßer Naturfehler ist, und nun die Ursache derselben | ||||||
08 | nicht wiederum (ohne im Zirkel zu erklären) in den Neigungen, sondern | ||||||
09 | nur in dem, was die Willkür als freie Willkür bestimmt, (im inneren | ||||||
10 | ersten Grunde der Maximen, die mit den Neigungen im Einverständnisse | ||||||
11 | sind) gesucht werden kann, so läßt sichs wohl begreifen, wie Philosophen, | ||||||
12 | denen ein Erklärungsgrund, welcher ewig in Dunkel eingehüllt bleibt*) | ||||||
13 | und, obgleich unumgänglich, dennoch unwillkommen ist, den eigentlichen | ||||||
14 | Gegner des Guten verkennen konnten, mit dem sie den Kampf zu bestehen | ||||||
15 | glaubten. | ||||||
16 | Es darf also nicht befremden, wenn ein Apostel diesen unsichtbaren, | ||||||
17 | nur durch seine Wirkungen auf uns kennbaren, die Grundsätze | ||||||
18 | verderbenden Feind als außer uns und zwar als bösen Geist vorstellig | ||||||
19 | macht: "Wir haben nicht mit Fleisch und Blut (den natürlichen Neigungen), | ||||||
20 | sondern mit Fürsten und Gewaltigen - mit bösen Geistern zu | ||||||
21 | kämpfen". Ein Ausdruck, der nicht, um unsere Erkenntniß über die | ||||||
22 | Sinnenwelt hinaus zu erweitern, sondern nur um den Begriff des für uns | ||||||
23 | Unergründlichen für den praktischen Gebrauch anschaulich zu machen, | ||||||
24 | angelegt zu sein scheint; denn übrigens ist es zum Behuf des letztern für | ||||||
25 | uns einerlei, ob wir den Verführer bloß in uns selbst, oder auch außer uns | ||||||
*)Es ist eine ganz gewöhnliche Voraussetzung der Moralphilosophie, daß sich das Dasein des Sittlich=Bösen im Menschen gar leicht erklären lasse und zwar aus der macht der Triebfedern der Sinnlichkeit einerseits und aus der Ohnmacht der Triebfeder der Vernunft (der Achtung fürs Gesetz) andererseits, d. i. aus Schwäche. Aber alsdann müßte sich das Sittlich=Gute (in der moralischen Anlage) an ihm noch leichter erklären lassen; denn die Begreiflichkeit des einen ist ohne die des andern gar nicht denkbar. Nun ist aber das Vermögen der Vernunft, durch die bloße Idee eines Gesetzes über alle entgegenstrebende Triebfedern Meister zu werden, schlechterdings unerklärlich; also ist es auch unbegreiflich, wie die der Sinnlichkeit über eine mit solchem Ansehen gebietende Vernunft Meister werden können. Denn wenn alle Welt der Vorschrift des Gesetzes gemäß verführe, so würde man sagen, daß alles nach der natürlichen Ordnung zuginge, und Niemand würde sich einfallen lassen, auch nur nach der Ursache zu fragen. | |||||||
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