Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 469

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 3) Gegenstände, die in Beziehung auf den pflichtmäßigen Gebrauch      
  02 der reinen praktischen Vernunft (es sei als Folgen, oder als Gründe)      
  03 a priori gedacht werden müssen, aber für den theoretischen Gebrauch derselben      
  04 überschwenglich sind, sind bloße Glaubenssachen. Dergleichen      
  05 ist das höchste durch Freiheit zu bewirkende Gut in der Welt, dessen Begriff      
  06 in keiner für uns möglichen Erfahrung, mithin für den theoretischen      
  07 Vernunftgebrauch hinreichend seiner objectiven Realität nach bewiesen      
  08 werden kann, dessen Gebrauch aber zur bestmöglichen Bewirkung jenes      
  09 Zwecks doch durch praktische reine Vernunft geboten ist und mithin als      
  10 möglich angenommen werden muß. Diese gebotene Wirkung zusammt      
  11 den einzigen für uns denkbaren Bedingungen ihrer Möglichkeit,      
  12 nämlich dem Dasein Gottes und der Seelen=Unsterblichkeit, sind      
  13 Glaubenssachen ( res fidei ) und zwar die einzigen unter allen Gegenständen,      
  14 die so genannt werden können*). Denn ob von uns gleich, was      
  15 wir nur von der Erfahrung anderer durch Zeugniß lernen können, geglaubt      
  16 werden muß, so ist es darum doch noch nicht an sich Glaubenssache      
  17 denn bei jener Zeugen Einem war es doch eigene Erfahrung und Thatsache,      
  18 oder wird als solche vorausgesetzt. Zudem muß es möglich sein,      
  19 durch diesen Weg (des historischen Glaubens) zum Wissen zu gelangen;      
  20 und die Objecte der Geschichte und Geographie, wie alles überhaupt, was      
  21 zu wissen nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnißvermögen wenigstens      
  22 möglich ist, gehören nicht zu Glaubenssachen, sondern zu Thatsachen.      
  23 Nur Gegenstände der reinen Vernunft können allenfalls Glaubenssachen      
  24 sein, aber nicht als Gegenstände der bloßen reinen speculativen Vernunft;      
  25 denn da können sie gar nicht einmal mit Sicherheit zu den Sachen, d. i.      
  26 Objecten jenes für uns möglichen Erkenntnisses, gezählt werden. Es sind      
  27 Ideen, d. i. Begriffe, denen man die objective Realität theoretisch nicht      
  28 sichern kann. Dagegen ist der von uns zu bewirkende höchste Endzweck,      
  29 das, wodurch wir allein würdig werden können selbst Endzweck einer      
  30 Schöpfung zu sein, eine Idee, die für uns in praktischer Beziehung objective      
  31 Realität hat, und Sache; aber darum, weil wir diesem Begriffe in      
           
    *)Glaubenssachen sind aber darum nicht Glaubensartikel, wenn man unter den letzteren solche Glaubenssachen versteht, zu deren Bekenntniß (innerem oder äußerem) man verpflichtet werden kann: dergleichen also die natürliche Theologie nicht enthält. Denn da sie als Glaubenssachen sich nicht (gleich den Thatsachen) auf theoretische Beweise gründen können: so ist es ein freies Fürwahrhalten und auch nur als ein solches mit der Moralität des Subjects vereinbar.      
           
     

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