Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 403 |
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01 | voraussetzen kann. Für einen Verstand, bei dem dieser Unterschied nicht | ||||||
02 | einträte, würde es heißen: alle Objecte, die ich erkenne, sind (existiren); | ||||||
03 | und die Möglichkeit einiger, die noch nicht existirten, d. i. Zufälligkeit | ||||||
04 | derselben, wenn sie existiren, also auch die davon zu unterscheidende Nothwendigkeit | ||||||
05 | würde in die Vorstellung eines solchen Wesens gar nicht | ||||||
06 | kommen können. Was unserm Verstande aber so beschwerlich fällt, der | ||||||
07 | Vernunft hier mit seinen Begriffen es gleich zu thun, ist bloß: daß für ihn | ||||||
08 | als menschlichen Verstand dasjenige überschwenglich (d. i. den subjectiven | ||||||
09 | Bedingungen seines Erkenntnisses unmöglich) ist, was doch die Vernunft | ||||||
10 | als zum Object gehörig zum Princip macht. - Hierbei gilt nun immer | ||||||
11 | die Maxime, daß wir alle Objecte da, wo ihr Erkenntniß das Vermögen | ||||||
12 | des Verstandes übersteigt, nach den subjectiven, unserer (d. i. der menschlichen) | ||||||
13 | Natur nothwendig anhängenden Bedingungen der Ausübung ihrer | ||||||
14 | Vermögen denken; und wenn die auf diese Art gefällten Urtheile (wie es | ||||||
15 | auch in Ansehung der überschwenglichen Begriffe nicht anders sein kann) | ||||||
16 | nicht constitutive Principien, die das Object, wie es beschaffen ist, bestimmen, | ||||||
17 | sein können, so werden es doch regulative, in der Ausübung | ||||||
18 | immanente und sichere, der menschlichen Absicht angemessene Principien | ||||||
19 | bleiben. | ||||||
20 | So wie die Vernunft in theoretischer Betrachtung der Natur die Idee | ||||||
21 | einer unbedingten Nothwendigkeit ihres Urgrundes annehmen muß: so | ||||||
22 | setzt sie auch in praktischer ihre eigene (in Ansehung der Natur) unbedingte | ||||||
23 | Causalität, d. i. Freiheit, voraus, indem sie sich ihres moralischen Gebots | ||||||
24 | bewußt ist. Weil nun aber hier die objective Nothwendigkeit der Handlung | ||||||
25 | als Pflicht derjenigen, die sie als Begebenheit haben würde, wenn ihr | ||||||
26 | Grund in der Natur und nicht in der Freiheit (d. i. der Vernunftcausalität) | ||||||
27 | läge, entgegengesetzt und die moralisch=Schlechthin=Nothwendige Handlung | ||||||
28 | physisch als ganz zufällig angesehen wird (d. i. daß das, was nothwendig | ||||||
29 | geschehen sollte, doch öfter nicht geschieht): so ist klar, daß es nur von | ||||||
30 | der subjectiven Beschaffenheit unsers praktischen Vermögens herrührt, daß | ||||||
31 | die moralischen Gesetze als Gebote (und die ihnen gemäße Handlungen | ||||||
32 | als Pflichten) vorgestellt werden müssen, und die Vernunft diese Nothwendigkeit | ||||||
33 | nicht durch ein Sein (Geschehen), sondern Sein=Sollen | ||||||
34 | ausdrückt: welches nicht Statt finden würde, wenn die Vernunft ohne | ||||||
35 | Sinnlichkeit (als subjective Bedingung ihrer Anwendung auf Gegenstände | ||||||
36 | der Natur) ihrer Causalität nach, mithin als Ursache in einer | ||||||
37 | intelligibelen, mit dem moralischen Gesetze durchgängig übereinstimmenden | ||||||
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