Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 369 |
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01 | ob sie gleich hypothetisch auf Naturzwecke Anzeige giebt, dennoch zu keinem | ||||||
02 | absoluten teleologischen Urtheile berechtige. | ||||||
03 | Der Schnee sichert die Saaten in kalten Ländern wider den Frost; | ||||||
04 | er erleichtert die Gemeinschaft der Menschen (durch Schlitten); der Lappländer | ||||||
05 | findet dort Thiere, die diese Gemeinschaft bewirken (Rennthiere), | ||||||
06 | die an einem dürren Moose, welches sie sich selbst unter dem Schnee | ||||||
07 | hervorscharren müssen, hinreichende Nahrung finden und gleichwohl sich | ||||||
08 | leicht zähmen und der Freiheit, in der sie sich gar wohl erhalten könnten, | ||||||
09 | willig berauben lassen. Für andere Völker in derselben Eiszone enthält | ||||||
10 | das Meer reichen Vorrath an Thieren, die außer der Nahrung und | ||||||
11 | Kleidung, die sie liefern, und dem Holze, welches ihnen das Meer zu | ||||||
12 | Wohnungen gleichsam hinflößt, ihnen noch Brennmaterien zur Erwärmung | ||||||
13 | ihrer Hütten liefern. Hier ist nun eine bewundernswürdige Zusammenkunft | ||||||
14 | von so viel Beziehungen der Natur auf einen Zweck; und | ||||||
15 | dieser ist der Grönländer, der Lappe, der Samojede, der Jakute u. s. w.. | ||||||
16 | Aber man sieht nicht, warum überhaupt Menschen dort leben müssen. | ||||||
17 | Also sagen: daß darum Dünste aus der Luft in der Form des Schnees | ||||||
18 | herunterfallen, das Meer seine Ströme habe, welche das in wärmern | ||||||
19 | Ländern gewachsene Holz dahin schwemmen, und große mit öl angefüllte | ||||||
20 | Seethiere da sind, weil der Ursache, die alle die Naturproducte herbeischafft, | ||||||
21 | die Idee eines Vortheils für gewisse armselige Geschöpfe zum | ||||||
22 | Grunde liege: wäre ein sehr gewagtes und willkürliches Urtheil. Denn | ||||||
23 | wenn alle diese Naturnützlichkeit auch nicht wäre, so würden wir nichts | ||||||
24 | an der Zulänglichkeit der Naturursachen zu dieser Beschaffenheit vermissen; | ||||||
25 | vielmehr eine solche Anlage auch nur zu verlangen und der Natur | ||||||
26 | einen solchen Zweck zuzumuthen (da ohnedas nur die größte Unverträglichkeit | ||||||
27 | der Menschen unter einander sie bis in so unwirthbare Gegenden | ||||||
28 | hat versprengen können), würde uns selbst vermessen und unüberlegt zu | ||||||
29 | sein dünken. | ||||||
30 | § 64. |
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31 | Von dem eigenthümlichen Charakter der Dinge als |
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32 | Naturzwecke. |
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33 | Um einzusehen, daß ein Ding nur als Zweck möglich sei, d. h. die | ||||||
34 | Causalität seines Ursprungs nicht im Mechanism der Natur, sondern | ||||||
35 | in einer Ursache, deren Vermögen zu wirken durch Begriffe bestimmt wird, | ||||||
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