Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 345 |
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01 | nicht ohne Schmerz von jenen Hoffnungen trennen und von der alten Anhänglichkeit | ||||||
02 | losmachen können. | ||||||
03 | Daß es drei Arten der Antinomie giebt, hat seinen Grund darin, daß | ||||||
04 | es drei Erkenntnißvermögen: Verstand, Urtheilskraft und Vernunft, giebt, | ||||||
05 | deren jedes (als oberes Erkenntnißvermögen) seine Principien a priori | ||||||
06 | haben muß; da denn die Vernunft, sofern sie über diese Principien selbst | ||||||
07 | und ihren Gebrauch urtheilt, in Ansehung ihrer aller zu dem gegebenen | ||||||
08 | Bedingten unnachlaßlich das Unbedingte fordert, welches sich doch nie | ||||||
09 | finden läßt, wenn man das Sinnliche als zu den Dingen an sich selbst | ||||||
10 | gehörig betrachtet und ihm nicht vielmehr, als bloßer Erscheinung, etwas | ||||||
11 | Übersinnliches (das intelligible Substrat der Natur außer uns und in uns) | ||||||
12 | als Sache an sich selbst unterlegt. Da giebt es dann 1) eine Antinomie | ||||||
13 | der Vernunft in Ansehung des theoretischen Gebrauchs des Verstandes | ||||||
14 | bis zum Unbedingten hinauf für das Erkenntnißvermögen; 2) eine | ||||||
15 | Antinomie der Vernunft in Ansehung des ästhetischen Gebrauchs der Urtheilskraft | ||||||
16 | für das Gefühl der Lust und Unlust; 3) eine Antinomie | ||||||
17 | in Ansehung des praktischen Gebrauchs der an sich selbst gesetzgebenden | ||||||
18 | Vernunft für das Begehrungsvermögen: sofern alle diese Vermögen | ||||||
19 | ihre obere Principien a priori haben und gemäß einer unumgänglichen | ||||||
20 | Forderung der Vernunft nach diesen Principien auch unbedingt müssen | ||||||
21 | urtheilen und ihr Object bestimmen können. | ||||||
22 | In Ansehung zweier Antinomieen, der des theoretischen und der des | ||||||
23 | praktischen Gebrauchs, jener obern Erkenntnißvermögen haben wir die | ||||||
24 | Unvermeidlichkeit derselben, wenn dergleichen Urtheile nicht auf ein | ||||||
25 | übersinnliches Substrat der gegebenen Objecte als Erscheinungen zurücksehen, | ||||||
26 | dagegen aber auch die Auflöslichkeit derselben, sobald das letztere | ||||||
27 | geschieht, schon anderwärts gezeigt. Was nun die Antinomie im Gebrauch | ||||||
28 | der Urtheilskraft gemäß der Forderung der Vernunft und deren hier gegebene | ||||||
29 | Auflösung betrifft: so giebt es kein anderes Mittel, derselben auszuweichen, | ||||||
30 | als entweder zu läugnen, daß dem ästhetischen Geschmacksurtheile | ||||||
31 | irgend ein Princip a priori zum Grunde liege, so daß aller | ||||||
32 | Anspruch auf Nothwendigkeit allgemeiner Beistimmung grundloser, leerer | ||||||
33 | Wahn sei, und ein Geschmacksurtheil nur sofern für richtig gehalten zu | ||||||
34 | werden verdiene, weil es sich trifft, daß viele in Ansehung desselben | ||||||
35 | übereinkommen, und auch dieses eigentlich nicht um deswillen, weil man | ||||||
36 | hinter dieser Einstimmung ein Princip a priori vermuthet, sondern (wie | ||||||
37 | im Gaumengeschmack) weil die Subjecte zufälliger Weise gleichförmig | ||||||
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