Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 211 |
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01 | Aus dem ersten Momente gefolgerte Erklärung des Schönen. |
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02 | Geschmack ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder | ||||||
03 | einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen ohne alles | ||||||
04 | Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön. | ||||||
05 | Zweites Moment |
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06 | des Geschmacksurtheils, nämlich seiner Quantität nach. |
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07 | § 6. |
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08 | Das Schöne ist das, was ohne Begriffe als Object eines |
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09 | allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird. |
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10 | Diese Erklärung des Schönen kann aus der vorigen Erklärung desselben, | ||||||
11 | als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, | ||||||
12 | gefolgert werden. Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen | ||||||
13 | an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sei, das kann | ||||||
14 | derselbe nicht anders als so beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens | ||||||
15 | für jedermann enthalten müsse. Denn da es sich nicht auf irgend | ||||||
16 | eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) | ||||||
17 | gründet, sondern da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, | ||||||
18 | welches er dem Gegenstande widmet, völlig frei fühlt: so kann er | ||||||
19 | keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die | ||||||
20 | sich sein Subject allein hinge, und muß es daher als in demjenigen begründet | ||||||
21 | ansehen, was er auch bei jedem andern voraussetzen kann; folglich | ||||||
22 | muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen | ||||||
23 | zuzumuthen. Er wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit | ||||||
24 | eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch (durch Begriffe | ||||||
25 | vom Objecte eine Erkenntniß desselben ausmachend) wäre; ob es | ||||||
26 | gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des | ||||||
27 | Gegenstandes auf das Subject enthält: darum weil es doch mit dem logischen | ||||||
28 | die Ähnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann | ||||||
29 | daran voraussetzen kann. Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit | ||||||
30 | auch nicht entspringen. Denn von Begriffen giebt es keinen Übergang zum | ||||||
31 | Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen praktischen Gesetzen, | ||||||
32 | die aber ein Interesse bei sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile | ||||||
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