Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 205

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 mich endlich gar leicht überzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten      
  02 Eilande ohne Hoffnung jemals wieder zu Menschen zu kommen      
  03 befände, und ich durch meinen bloßen Wunsch ein solches Prachtgebäude      
  04 hinzaubern könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum geben      
  05 würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. Man      
  06 kann mir alles dieses einräumen und gutheißen; nur davon ist jetzt nicht      
  07 die Rede. Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes      
  08 in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, so gleichgültig ich auch immer      
  09 in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung sein mag.      
  10 Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir      
  11 selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes      
  12 abhänge, ankomme, um zu sagen, er sei schön, und zu beweisen, ich habe      
  13 Geschmack. Ein jeder muß eingestehen, daß dasjenige Urtheil über Schönheit,      
  14 worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein      
  15 reines Geschmacksurtheil sei. Man muß nicht im mindesten für die Existenz      
  16 der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig      
  17 sein, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen.      
           
  18 Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist,      
  19 nicht besser erläutern, als wenn wir dem reinen, uninteressirten*) Wohlgefallen      
  20 im Geschmacksurtheile dasjenige, was mit Interesse verbunden      
  21 ist, entgegensetzen: vornehmlich wenn wir zugleich gewiß sein können, daß      
  22 es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht      
  23 werden sollen.      
           
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§ 3.

     
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Das Wohlgefallen am Angenehmen ist mit Interesse verbunden.

     
           
  26 Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung      
  27 gefällt. Hier zeigt sich nun sofort die Gelegenheit, eine ganz gewöhnliche      
  28 Verwechselung der doppelten Bedeutung, die das Wort Empfindung      
  29 haben kann, zu rügen und darauf aufmerksam zu machen. Alles Wohlgefallen      
  30 (sagt oder denkt man) ist selbst Empfindung (einer Lust). Mithin      
           
    *)Ein Urtheil über einen Gegenstand des Wohlgefallens kann ganz uninteressirt, aber doch sehr interessant sein, d. i. es gründet sich auf keinem Interesse, aber es bringt ein Interesse hervor; dergleichen sind alle reine moralische Urtheile. Aber die Geschmacksurtheile begründen an sich auch gar kein Interesse. Nur in der Gesellschaft wird es interessant, Geschmack zu haben, wovon der Grund in der Folge angezeigt werden wird.      
           
     

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