Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 174 |
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01 | II |
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02 | Vom Gebiete der Philosophie überhaupt. |
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03 | So weit Begriffe a priori ihre Anwendung haben, so weit reicht der | ||||||
04 | Gebrauch unseres Erkenntnißvermögens nach Principien und mit ihm die | ||||||
05 | Philosophie. | ||||||
06 | Der Inbegriff aller Gegenstände aber, worauf jene Begriffe bezogen | ||||||
07 | werden, um wo möglich ein Erkenntniß derselben zu Stande zu bringen, | ||||||
08 | kann nach der verschiedenen Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit unserer | ||||||
09 | Vermögen zu dieser Absicht eingetheilt werden. | ||||||
10 | Begriffe, sofern sie auf Gegenstände bezogen werden, unangesehen | ||||||
11 | ob ein Erkenntniß derselben möglich sei oder nicht, haben ihr Feld, welches | ||||||
12 | bloß nach dem Verhältnisse, das ihr Object zu unserem Erkenntnißvermögen | ||||||
13 | überhaupt hat, bestimmt wird. - Der Theil dieses Feldes | ||||||
14 | worin für uns Erkenntniß möglich ist, ist ein Boden ( territorium ) für | ||||||
15 | diese Begriffe und das dazu erforderliche Erkenntnißvermögen. Der Theil | ||||||
16 | des Bodens, worauf diese gesetzgebend sind, ist das Gebiet ( ditio ) dieser | ||||||
17 | Begriffe und der ihnen zustehenden Erkenntnißvermögen. Erfahrungsbegriffe | ||||||
18 | haben also zwar ihren Boden in der Natur, als dem Inbegriffe | ||||||
19 | aller Gegenstände der Sinne, aber kein Gebiet (sondern nur ihren Aufenthalt, | ||||||
20 | domicilium ): weil sie zwar gesetzlich erzeugt werden, aber nicht gesetzgebend | ||||||
21 | sind, sondern die auf sie gegründeten Regeln empirisch, mithin | ||||||
22 | zufällig sind. | ||||||
23 | Unser gesammtes Erkenntnißvermögen hat zwei Gebiete, das der | ||||||
24 | Naturbegriffe und das des Freiheitsbegriffs; denn durch beide ist es a | ||||||
25 | priori gesetzgebend. Die Philosophie theilt sich nun auch diesem gemäß in | ||||||
26 | die theoretische und die praktische. Aber der Boden, auf welchem ihr Gebiet | ||||||
27 | errichtet und ihre Gesetzgebung ausgeübt wird, ist immer doch nur | ||||||
28 | der Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, sofern sie für | ||||||
29 | nichts mehr als bloße Erscheinungen genommen werden; denn ohnedas | ||||||
30 | würde keine Gesetzgebung des Verstandes in Ansehung derselben gedacht | ||||||
31 | werden können. | ||||||
32 | Die Gesetzgebung durch Naturbegriffe geschieht durch den Verstand | ||||||
33 | und ist theoretisch. Die Gesetzgebung durch den Freiheitsbegriff geschieht | ||||||
34 | von der Vernunft und ist bloß praktisch. Nur allein im Praktischen kann | ||||||
35 | die Vernunft gesetzgebend sein; in Ansehung des theoretischen Erkenntnisses | ||||||
36 | (der Natur) kann sie nur (als gesetzkundig vermittelst des Verstandes) | ||||||
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