Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 102 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | nicht annimmt, nur allein der Spinozism übrig bleibt, in welchem | ||||||
| 02 | Raum und Zeit wesentliche Bestimmungen des Urwesens selbst sind, die | ||||||
| 03 | von ihm abhängige Dinge aber (also auch wir selbst) nicht Substanzen, | ||||||
| 04 | sondern blos ihm inhärirende Accidenzen sind: weil, wenn diese Dinge | ||||||
| 05 | blos als seine Wirkungen in der Zeit existiren, welche die Bedingung | ||||||
| 06 | ihrer Existenz an sich wäre, auch die Handlungen dieser Wesen blos seine | ||||||
| 07 | Handlungen sein müßten, die er irgendwo und irgendwann ausübte. Daher | ||||||
| 08 | schließt der Spinozism unerachtet der Ungereimtheit seiner Grundidee | ||||||
| 09 | doch weit bündiger, als es nach der Schöpfungstheorie geschehen kann, | ||||||
| 10 | wenn die für Substanzen angenommene und an sich in der Zeit existirende | ||||||
| 11 | Wesen als Wirkungen einer obersten Ursache und doch nicht zugleich | ||||||
| 12 | zu ihm und seiner Handlung gehörig, sondern für sich als Substanzen | ||||||
| 13 | angesehen werden. | ||||||
| 14 | Die Auflösung obgedachter Schwierigkeit geschieht kurz und einleuchtend | ||||||
| 15 | auf folgende Art: wenn die Existenz in der Zeit eine bloße | ||||||
| 16 | sinnliche Vorstellungsart der denkenden Wesen in der Welt ist, folglich sie | ||||||
| 17 | als Dinge an sich selbst nicht angeht: so ist die Schöpfung dieser Wesen | ||||||
| 18 | eine Schöpfung der Dinge an sich selbst, weil der Begriff einer Schöpfung | ||||||
| 19 | nicht zu der sinnlichen Vorstellungsart der Existenz und zur Causalität | ||||||
| 20 | gehört, sondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folglich, wenn | ||||||
| 21 | ich von Wesen in der Sinnenwelt sage: sie sind erschaffen, so betrachte ich | ||||||
| 22 | sie so fern als Noumenen. So wie es also ein Widerspruch wäre, zu sagen, | ||||||
| 23 | Gott sei ein Schöpfer von Erscheinungen, so ist es auch ein Widerspruch, | ||||||
| 24 | zu sagen, er sei als Schöpfer Ursache der Handlungen in der Sinnenwelt, | ||||||
| 25 | mithin als Erscheinungen, wenn er gleich Ursache des Daseins der handelnden | ||||||
| 26 | Wesen (als Noumenen) ist. Ist es nun möglich (wenn wir nur | ||||||
| 27 | das Dasein in der Zeit für etwas, was blos von Erscheinungen, nicht von | ||||||
| 28 | Dingen an sich selbst gilt, annehmen), die Freiheit unbeschadet dem Naturmechanism | ||||||
| 29 | der Handlungen als Erscheinungen zu behaupten, so kann, daß | ||||||
| 30 | die handelnden Wesen Geschöpfe sind, nicht die mindeste Änderung hierin | ||||||
| 31 | machen, weil die Schöpfung ihre intelligibele, aber nicht sensibele Existenz | ||||||
| 32 | betrifft und also nicht als Bestimmungsgrund der Erscheinungen angesehen | ||||||
| 33 | werden kann; welches aber ganz anders ausfallen würde , wenn die | ||||||
| 34 | Weltwesen als Dinge an sich selbst in der Zeit existirten, da der Schöpfer | ||||||
| 35 | der Substanz zugleich der Urheber des ganzen Maschinenwesens an | ||||||
| 36 | dieser Substanz sein würde. | ||||||
| 37 | Von so großer Wichtigkeit ist die in der Kritik der reinen speculativen | ||||||
| [ Seite 101 ] [ Seite 103 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||