Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 534

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einerlei Anziehungskraft in verschiedenen Materien dem Grade nach ursprünglich      
  02 verschieden sein könne, folglich auch der Grad der Ausdehnung dieser      
  03 Materien bei derselben Quantität der Materie und umgekehrt die Quantität der      
  04 Materie unter demselben Volumen, d. i. die Dichtigkeit derselben,ursprünglich      
  05 gar große specifische Verschiedenheiten zulasse. Auf diese Art würde man es nicht      
  06 unmöglich finden, sich eine Materie zu denken (wie man sich etwa den Äther vorstellt),      
  07 die ihren Raum ohne alles Leere ganz erfüllte und doch mit ohne Vergleichung      
  08 minderer Quantität der Materie unter gleichem Volumen, als alle      
  09 Körper, die wir unseren Versuchen unterwerfen können. Die repulsive Kraft      
  10 muß am Äther in Verhältniß auf die eigene Anziehungskraft desselben ohne Vergleichung      
  11 größer gedacht werden, als an allen andern uns bekannten Materien.      
  12 Und das ist denn auch das einzige, was wir blos darum annehmen, weil es sich      
  13 denken läßt, nur zum Widerspiel einer Hypothese (der leeren Räume), die sich      
  14 allein auf das Vorgeben stützt, daß sich dergleichen ohne leere Räume nicht denken      
  15 lasse. Denn außer diesem darf weder irgend ein Gesetz der anziehenden,      
  16 noch zurückstoßenden Kraft auf Muthmaßungen a priori gewagt, sondern alles,      
  17 selbst die allgemeine Attraction als Ursache der Schweren muß sammt ihrem Gesetze      
  18 aus Datis der Erfahrung geschlossen werden. Noch weniger wird dergleichen      
  19 bei den chemischen Verwandtschaften anders, als durch den Weg des Experiments      
  20 versucht werden dürfen. Denn es ist überhaupt über den Gesichtskreis      
  21 unserer Vernunft gelegen, ursprüngliche Kräfte a priori ihrer Möglichkeit nach      
  22 einzusehen, vielmehr besteht alle Naturphilosophie in der Zurückführung gegebener,      
  23 dem Anscheine nach verschiedener Kräfte auf eine geringere Zahl Kräfte und      
  24 Vermögen, die zu Erklärung der Wirkungen der ersten zulangen, welche Reduction      
  25 aber nur bis zu Grundkräften fortgeht, über die unsere Vernunft nicht hinaus      
  26 kann. Und so ist Nachforschung der Metaphysik hinter dem, was dem empirischen      
  27 Begriffe der Materie zum Grunde liegt, nur zu der Absicht nützlich, die      
  28 Naturphilosophie, so weit als es immer möglich ist, auf die Erforschung der dynamischen      
  29 Erklärungsgründe zu leiten, weil diese allein bestimmte Gesetze, folglich      
  30 wahren Vernunftzusammenhang der Erklärungen hoffen lassen.      
  31 Dies ist nun alles, was Metaphysik zur Construction des Begriffs der      
  32 Materie, mithin zum Behuf der Anwendung der Mathematik auf Naturwissenschaft      
  33 in Ansehung der Eigenschaften, wodurch Materie einen Raum in bestimmtem      
  34 Maße erfüllt, nur immer leisten kann, nämlich diese Eigenschaften als dynamisch      
  35 anzusehen und nicht als unbedingte ursprüngliche Positionen, wie sie etwan      
  36 eine blos mathematische Behandlung postuliren würde.      
  37 Den Beschluß kann die bekannte Frage wegen der Zulässigkeit leerer Räume      
  38 in der Welt machen. Die Möglichkeit derselben läßt sich nicht streiten. Denn      
  39 zu allen Kräften der Materie wird Raum erfordert und, da dieser auch die Bedingungen      
  40 der Gesetze der Verbreitung jener enthält, nothwendig vor aller Materie      
           
     

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