Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 488 |
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01 | als ruhig ansehen kann. Da es nun schlechterdings unmöglich ist, von einem | ||||||
02 | empirisch gegebenen Raume, wie erweitert er auch sei, auszumachen, ob er nicht | ||||||
03 | in Ansehung eines in einem noch größeren Umfange ihn einschließenden Raumes | ||||||
04 | selbst wiederum bewegt sei, oder nicht, so muß es aller Erfahrung und jeder Folge | ||||||
05 | aus den Erfahrung völlig einerlei sein, ob ich einen Körper als bewegt, oder ihn als | ||||||
06 | ruhig, den Raum aber in entgegengesetzter Richtung mit gleicher Geschwindigkeit | ||||||
07 | bewegt ansehen will. Noch mehr; da der absolute Raum für alle mögliche Erfahrung | ||||||
08 | nichts ist, so sind auch die Begriffe einerlei, ob ich sage: ein Körper bewegt | ||||||
09 | sich in Ansehung dieses gegebenen Raumes in dieser Richtung mit dieser Geschwindigkeit, | ||||||
10 | oder ob ich ihn mir als ruhig denken und dem Raum alles dieses, aber in | ||||||
11 | entgegengesetzter Richtung beilegen will. Denn ein jeder Begriff ist mit demjenigen, | ||||||
12 | von dessen Unterschiede vom ersteren gar kein Beispiel möglich ist, völlig | ||||||
13 | einerlei und nur in Beziehung auf die Verknüpfung, die wir ihm im Verstande | ||||||
14 | geben wollen, verschieden. | ||||||
15 | Auch sind wir gar nicht im Stande, in irgend einer Erfahrung einen festen | ||||||
16 | Punkt anzugeben, in Beziehung auf welchen, was Bewegung und Ruhe absolut | ||||||
17 | heißen sollte, bestimmt würde; denn alles, was uns auf die Art gegeben wird, ist | ||||||
18 | materiell, also auch beweglich und (da wir im Raume keine äußerste Grenze möglicher | ||||||
19 | Erfahrung kennen) vielleicht auch wirklich bewegt, ohne daß wir diese Bewegung | ||||||
20 | woran wahrnehmen können. - Von dieser Bewegung eines Körpers im | ||||||
21 | empirischen Raume kann ich nun einen Theil der gegebenen Geschwindigkeit dem | ||||||
22 | Körper, den andern dem Raume, aber in entgegengesetzter Richtung geben, und die | ||||||
23 | ganze mögliche Erfahrung in Ansehung der Folgen dieser zwei verbundenen Bewegungen | ||||||
24 | ist völlig einerlei mit derjenigen, da ich den Körper mit der ganzen Geschwindigkeit | ||||||
25 | allein bewegt, oder ihn als ruhig und den Raum mit derselben Geschwindigkeit | ||||||
26 | in entgegengesetzter Richtung bewegt denke. Ich nehme hier aber | ||||||
27 | alle Bewegungen als geradlinicht an. Denn was die krummlinichte betrifft, | ||||||
28 | da es nicht in allen Stücken einerlei ist, ob ich den Körper (z. B. die Erde | ||||||
29 | in ihrer täglichen Umdrehung) als bewegt und den umgebenden Raum (den bestirnten | ||||||
30 | Himmel) als ruhig, oder diesen als bewegt und jenen als ruhig anzusehen | ||||||
31 | befugt bin, davon wird in der Folge besonders gehandelt werden. In der Phoronomie | ||||||
32 | also, wo ich die Bewegung eines Körpers nur mit dem Raume (auf dessen | ||||||
33 | Ruhe oder Bewegung jener gar keinen Einfluß hat) in Verhältniß betrachte, ist | ||||||
34 | es an sich ganz unbestimmt und beliebig, ob und wie viel ich Geschwindigkeit dem | ||||||
35 | einen oder dem andern von der gegebenen Bewegung beilegen will; künftig in der | ||||||
36 | Mechanik, da ein bewegter Körper in wirksamer Beziehung auf andere Körper im | ||||||
37 | Raume seiner Bewegung betrachtet werden soll, wird dieses nicht mehr so völlig | ||||||
38 | einerlei sein, wie es an seinem Orte gezeigt werden soll. | ||||||
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