Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 459

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 könne, welches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären,      
  02 wie Freiheit möglich sei.      
           
  03 Denn wir können nichts erklären, als was wir auf Gesetze zurückführen      
  04 können, deren Gegenstand in irgend einer möglichen Erfahrung      
  05 gegeben werden kann. Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objective      
  06 Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgend      
  07 einer möglichen Erfahrung dargethan werden kann, die also darum, weil      
  08 ihr selbst niemals nach irgend einer Analogie ein Beispiel untergelegt werden      
  09 mag, niemals begriffen, oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt      
  10 nur als nothwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das      
  11 sich eines Willens, d. i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen      
  12 Vermögens, (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin      
  13 nach Gesetzen der Vernunft unabhängig von Naturinstincten zu bestimmen)      
  14 bewußt zu sein glaubt. Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen      
  15 aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig als      
  16 Vertheidigung, d. i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das      
  17 Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben und darum die Freiheit      
  18 dreust für unmöglich erklären. Man kann ihnen nur zeigen, daß der vermeintlich      
  19 von ihnen darin entdeckte Widerspruch nirgend anders liege als      
  20 darin, daß, da sie, um das Naturgesetz in Ansehung menschlicher Handlungen      
  21 geltend zu machen, den Menschen nothwendig als Erscheinung betrachten      
  22 mußten und nun, da man von ihnen fordert, daß sie ihn als Intelligenz      
  23 auch als Ding an sich selbst denken sollten, sie ihn immer auch da      
  24 noch als Erscheinung betrachten, wo denn freilich die Absonderung seiner      
  25 Causalität (d. i. seines Willens) von allen Naturgesetzen der Sinnenwelt      
  26 in einem und demselben Subjecte im Widerspruche stehen würde, welcher      
  27 aber wegfällt, wenn sie sich besinnen und wie billig eingestehen wollten,      
  28 daß hinter den Erscheinungen doch die Sachen an sich selbst (obzwar verborgen)      
  29 zum Grunde liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht      
  30 verlangen kann, daß sie mit denen einerlei sein sollten, unter denen ihre      
  31 Erscheinungen stehen.      
           
  32 Die subjective Unmöglichkeit, die Freiheit des Willens zu erklären,      
  33 ist mit der Unmöglichkeit, ein Interesse*) ausfindig und begreiflich zu      
           
    *) Interesse ist das, wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird. Daher sagt man nur von einem vernünftigen Wesen, daß es woran ein Interesse nehme, vernunftlose Geschöpfe fühlen nur sinnliche Antriebe. [Seitenumbruch] Ein unmittelbares Interesse nimmt die Vernunft nur alsdann an der Handlung, wenn die Allgemeingültigkeit der Maxime derselben ein gnugsamer Bestimmungsgrund des Willens ist. Ein solches Interesse ist allein rein. Wenn sie aber den Willen nur vermittelst eines anderen Objects des Begehrens, oder unter Voraussetzung eines besonderen Gefühls des Subjects bestimmen kann, so nimmt die Vernunft nur ein mittelbares Interesse an der Handlung, und da Vernunft für sich allein weder Objecte des Willens, noch ein besonderes ihm zu Grunde liegendes Gefühl ohne Erfahrung ausfindig machen kann, so würde das letztere Interesse nur empirisch und kein reines Vernunftinteresse sein. Das logische Interesse der Vernunft (ihre Einsichten zu befördern) ist niemals unmittelbar, sondern setzt Absichten ihres Gebrauchs voraus.      
           
     

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