Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 259

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 a priori, gedacht werde und auf solche Weise eine von aller Erfahrung unabhängige      
  02 innre Wahrheit und daher auch wohl weiter ausgedehnte      
  03 Brauchbarkeit habe, die nicht blos auf Gegenstände der Erfahrung eingeschränkt      
  04 sei: hierüber erwartete Hume Eröffnung. Es war ja nur die      
  05 Rede von dem Ursprunge dieses Begriffs, nicht von der Unentbehrlichkeit      
  06 desselben im Gebrauche: wäre jener nur ausgemittelt, so würde es sich      
  07 wegen der Bedingungen seines Gebrauches und des Umfangs, in welchem      
  08 er gültig sein kann, schon von selbst gegeben haben.      
           
  09 Die Gegner des berühmten Mannes hätten aber, um der Aufgabe      
  10 ein Gnüge zu thun, sehr tief in die Natur der Vernunft, so fern sie blos      
  11 mit reinem Denken beschäftigt ist, hineindringen müssen, welches ihnen      
  12 ungelegen war. Sie erfanden daher ein bequemeres Mittel, ohne alle Einsicht      
  13 trotzig zu thun, nämlich die Berufung auf den gemeinen Menschenverstand.      
  14 In der That ists eine große Gabe des Himmels, einen      
  15 geraden (oder, wie man es neuerlich benannt hat, schlichten) Menschenverstand      
  16 zu besitzen. Aber man muß ihn durch Thaten beweisen, durch das      
  17 Überlegte und Vernünftige, was man denkt und sagt, nicht aber dadurch,      
  18 daß, wenn man nichts Kluges zu seiner Rechtfertigung vorzubringen weiß,      
  19 man sich auf ihn als ein Orakel beruft. Wenn Einsicht und Wissenschaft      
  20 auf die Neige gehen, alsdann und nicht eher sich auf den gemeinen Menschenverstand      
  21 zu berufen, das ist eine von den subtilen Erfindungen neuerer      
  22 Zeiten, dabei es der schalste Schwätzer mit dem gründlichsten Kopfe getrost      
  23 aufnehmen und es mit ihm aushalten kann. So lange aber noch ein      
  24 kleiner Rest von Einsicht da ist, wird man sich wohl hüten, diese Nothhülfe      
  25 zu ergreifen. Und beim Lichte besehen, ist diese Appellation nichts anders      
  26 als eine Berufung auf das Urtheil der Menge; ein Zuklatschen, über das      
  27 der Philosoph erröthet, der populäre Witzling aber triumphirt und trotzig      
  28 thut. Ich sollte aber doch denken, Hume habe auf einen gesunden Verstand      
  29 eben so wohl Anspruch machen können, als Beattie und noch überdem      
  30 auf das, was dieser gewiß nicht besaß, nämlich eine kritische Vernunft,      
  31 die den gemeinen Verstand in Schranken hält, damit er sich nicht      
  32 in Speculationen versteige, oder, wenn blos von diesen die Rede ist, nichts      
  33 zu entscheiden begehre, weil er sich über seine Grundsätze nicht zu rechtfertigen      
  34 versteht; denn nur so allein wird er ein gesunder Verstand bleiben.      
  35 Meißel und Schlägel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück      
  36 Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muß man die Radirnadel      
  37 brauchen. So sind gesunder Verstand sowohl als speculativer beide,      
           
     

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