Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 201

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 brauchbares zweideutiges Unding machen. Dagegen wird ein jeder inne,      
  02 daß, wenn ihm jemand als Muster der Tugend vorgestellt wird, er doch      
  03 immer das wahre Original blos in seinem eigenen Kopfe habe, womit er      
  04 dieses angebliche Muster vergleicht und es blos darnach schätzt. Dieses ist      
  05 aber die Idee der Tugend, in Ansehung deren alle mögliche Gegenstände      
  06 der Erfahrung zwar als Beispiele (Beweise der Thunlichkeit desjenigen      
  07 im gewissen Grade, was der Begriff der Vernunft heischt), aber nicht als      
  08 Urbilder Dienste thun. Daß niemals ein Mensch demjenigen adäquat      
  09 handeln werde, was die reine Idee der Tugend enthält, beweiset gar nicht      
  10 etwas Chimärisches in diesem Gedanken. Denn es ist gleichwohl alles      
  11 Urtheil über den moralischen Werth oder Unwerth nur vermittelst dieser      
  12 Idee möglich; mithin liegt sie jeder Annäherung zur moralischen Vollkommenheit      
  13 nothwendig zum Grunde, so weit auch die ihrem Grade nach      
  14 nicht zu bestimmende Hindernisse in der menschlichen Natur uns davon      
  15 entfernt halten mögen.      
           
  16 Die Platonische Republik ist als ein vermeintlich auffallendes      
  17 Beispiel von erträumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen      
  18 Denkers ihren Sitz haben kann, zum Sprichwort geworden, und Brucker      
  19 findet es lächerlich, daß der Philosoph behauptete, niemals würde ein Fürst      
  20 wohl regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaftig wäre. Allein man würde      
  21 besser thun, diesem Gedanken mehr nachzugehen und ihn (wo der vortreffliche      
  22 Mann uns ohne Hülfe läßt) durch neue Bemühungen in Licht zu      
  23 stellen, als ihn unter dem sehr elenden und schädlichen Vorwande der Unthunlichkeit      
  24 als unnütz bei Seite zu stellen. Eine Verfassung von der größten      
  25 menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß jedes      
  26 Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann (nicht      
  27 von der größten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen), ist      
  28 doch wenigstens eine nothwendige Idee, die man nicht blos im ersten Entwurfe      
  29 einer Staatsverfassung, sondern auch bei allen Gesetzen zum Grunde      
  30 legen muß, und wobei man anfänglich von den gegenwärtigen Hindernissen      
  31 abstrahiren muß, die vielleicht nicht sowohl aus der menschlichen Natur unvermeidlich      
  32 entspringen mögen, als vielmehr aus der Vernachlässigung      
  33 der ächten Ideen bei der Gesetzgebung. Denn nichts kann Schädlicheres      
  34 und eines Philosophen Unwürdigeres gefunden werden, als die pöbelhafte      
  35 Berufung auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht      
  36 existiren würde, wenn jene Anstalten zu rechter Zeit nach den Ideen getroffen      
  37 würden, und an deren statt nicht rohe Begriffe, eben darum weil      
           
     

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