Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 173 |
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01 | wodurch sich ein Ding vom andern nach transscendentalen Begriffen | ||||||
02 | unterscheidet. Der Verstand nämlich verlangt zuerst, daß etwas | ||||||
03 | gegeben sei (wenigstens im Begriffe), um es auf gewisse Art bestimmen | ||||||
04 | zu können. Daher geht im Begriffe des reinen Verstandes die Materie der | ||||||
05 | Form vor, und Leibniz nahm um deswillen zuerst Dinge an (Monaden) | ||||||
06 | und innerlich eine Vorstellungskraft derselben, um darnach das äußere | ||||||
07 | Verhältniß derselben und die Gemeinschaft ihrer Zustände (nämlich der | ||||||
08 | Vorstellungen) darauf zu gründen. Daher waren Raum und Zeit, jener | ||||||
09 | nur durch das Verhältniß der Substanzen, diese durch die Verknüpfung | ||||||
10 | der Bestimmungen derselben unter einander als Gründe und Folgen, | ||||||
11 | möglich. So würde es auch in der That sein müssen, wenn der reine Verstand | ||||||
12 | unmittelbar auf Gegenstände bezogen werden könnte und wenn | ||||||
13 | Raum und Zeit Bestimmungen der Dinge an sich selbst wären. Sind es | ||||||
14 | aber nur sinnliche Anschauungen, in denen wir alle Gegenstände lediglich | ||||||
15 | als Erscheinungen bestimmen, so geht die Form der Anschauung (als eine | ||||||
16 | subjective Beschaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller Materie (den Empfindungen), | ||||||
17 | mithin Raum und Zeit vor allen Erscheinungen und allen datis | ||||||
18 | der Erfahrung vorher und macht diese vielmehr allererst möglich. Der | ||||||
19 | Intellectualphilosoph konnte es nicht leiden, daß die Form vor den Dingen | ||||||
20 | selbst vorhergehen und dieser ihre Möglichkeit bestimmen sollte; eine ganz | ||||||
21 | richtige Censur, wenn er annahm, daß wir die Dinge anschauen, wie sie | ||||||
22 | sind (obgleich mit verworrener Vorstellung). Da aber die sinnliche Anschauung | ||||||
23 | eine ganz besondere subjective Bedingung ist, welche aller Wahrnehmung | ||||||
24 | a priori zum Grunde liegt und deren Form ursprünglich ist, so | ||||||
25 | ist die Form für sich allein gegeben; und weit gefehlt daß die Materie | ||||||
26 | (oder die Dinge selbst, welche erscheinen) zum Grunde liegen sollten (wie | ||||||
27 | man nach bloßen Begriffen urtheilen müßte), so setzt die Möglichkeit derselben | ||||||
28 | vielmehr eine formale Anschauung (Zeit und Raum) als gegeben | ||||||
29 | voraus. | ||||||
30 | Anmerkung |
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31 | zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe. |
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32 | Man erlaube mir, die Stelle, welche wir einem Begriffe entweder in | ||||||
33 | der Sinnlichkeit, oder im reinen Verstande ertheilen, den transscendentalen | ||||||
34 | Ort zu nennen. Auf solche Weise wäre die Beurtheilung dieser | ||||||
35 | Stelle, die jedem Begriffe nach Verschiedenheit seines Gebrauchs zukommt, | ||||||
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