Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 158

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 a priori zu Stande gebrachte) Erscheinung ist. Der Begriff der Größe      
  02 sucht in eben der Wissenschaft seine Haltung und Sinn in der Zahl, diese      
  03 aber an den Fingern, den Korallen des Rechenbrets, oder den Strichen      
  04 und Punkten, die vor Augen gestellt werden. Der Begriff bleibt immer      
  05 a priori erzeugt sammt den synthetischen Grundsätzen oder Formeln aus      
  06 solchen Begriffen; aber der Gebrauch derselben und Beziehung auf angebliche      
  07 Gegenstände kann am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung gesucht      
  08 werden, deren Möglichkeit (der Form nach) jene a priori enthalten.      
           
  09 Daß dieses aber auch der Fall mit allen Kategorien und den daraus      
  10 gesponnenen Grundsätzen sei, erhellt auch daraus, daß wir sogar keine      
  11 einzige derselben definiren können, ohne uns sofort zu Bedingungen der      
  12 Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen herabzulassen, als auf      
  13 welche als ihre einzige Gegenstände sie folglich eingeschränkt sein müssen,      
  14 weil, wenn man diese Bedingung wegnimmt, alle Bedeutung, d. i. Beziehung      
  15 aufs Object, wegfällt, und man durch kein Beispiel sich selbst faßlich      
  16 machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein      
  17 Ding gemeint sei. Oben bei Darstellung der Tafel der Kategorien überhoben      
  18 wir uns der Definition einer jeden derselben dadurch: daß unsere      
  19 Absicht, die lediglich auf den synthetischen Gebrauch derselben geht, sie      
  20 nicht nöthig mache, und man sich mit unnöthigen Unternehmungen keiner      
  21 Verantwortung aussetzen müsse, deren man überhoben sein kann. Das      
  22 war keine Ausrede, sondern eine nicht unerhebliche Klugheitsregel, sich      
  23 nicht sofort ans Definiren zu wagen und Vollständigkeit oder Präcision in      
  24 der Bestimmung des Begriffs zu versuchen oder vorzugeben, wenn man mit      
  25 irgend einem oder andern Merkmale desselben auslangen kann, ohne eben      
  26 dazu eine vollständige Herzählung aller derselben, die den ganzen Begriff      
  27 ausmachen, zu bedürfen. Jetzt aber zeigt sich, daß der Grund dieser Vorsicht      
  28 noch tiefer liege, nämlich daß wir sie nicht definiren konnten, wenn      
  29 wir auch wollten*), sondern, wenn man alle Bedingungen der Sinnlichkeit      
           
    *) Ich verstehe hier die Realdefinition, welche nicht blos den Namen einer Sache andere und verständlichere Wörter unterlegt, sondern die, so ein klares Merkmal, daran der Gegenstand ( definitum ) jederzeit sicher erkannt werden kann, und den erklärten Begriff zur Anwendung brauchbar macht, in sich enthält. Die Realerklärung würde also diejenige sein, welche nicht blos einen Begriff, sondern zugleich die objective Realität desselben deutlich macht. Die mathematische Erklärungen, welche den Gegenstand dem Begriffe gemäß in der Anschauung darstellen, sind von der letzteren Art.      
           
     

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