Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 010

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aufgelöst. Zwar ist die Beantwortung jener Fragen gar nicht so ausgefallen,      
  02 als dogmatisch schwärmende Wißbegierde erwarten mochte; denn      
  03 die könnte nicht anders als durch Zauberkünste, darauf ich mich nicht verstehe,      
  04 befriedigt werden. Allein das war auch wohl nicht die Absicht der      
  05 Naturbestimmung unserer Vernunft, und die Pflicht der Philosophie war,      
  06 das Blendwerk, das aus Mißdeutung entsprang, aufzuheben, sollte auch      
  07 noch so viel gepriesener und beliebter Wahn dabei zu nichte gehen. In      
  08 dieser Beschäftigung habe ich Ausführlichkeit mein großes Augenmerk sein      
  09 lassen, und ich erkühne mich zu sagen, daß nicht eine einzige metaphysische      
  10 Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst, oder zu deren Auflösung nicht      
  11 wenigstens der Schlüssel dargereicht worden. In der That ist auch reine      
  12 Vernunft eine so vollkommene Einheit, daß, wenn das Princip derselben      
  13 auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur      
  14 aufgegeben sind, unzureichend wäre, man dieses immerhin nur wegwerfen      
  15 könnte, weil es alsdann auch keiner der übrigen mit völliger Zuverlässigkeit      
  16 gewachsen sein würde.      
           
  17 Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Gesichte des Lesers einen      
  18 mit Verachtung vermischten Unwillen über dem Anscheine nach so ruhmredige      
  19 und unbescheidene Ansprüche wahrzunehmen; und gleichwohl sind      
  20 sie ohne Vergleichung gemäßigter, als die eines jeden Verfassers des gemeinsten      
  21 Programms, der darin etwa die einfache Natur der Seele, oder      
  22 die Nothwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu beweisen vorgiebt.      
  23 Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkenntniß über alle      
  24 Gränzen möglicher Erfahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demüthig      
  25 gestehe, daß dieses mein Vermögen gänzlich übersteige; an dessen Statt      
  26 ich es lediglich mit der Vernunft selbst und ihrem reinen Denken zu thun      
  27 habe, nach deren ausführlicher Kenntniß ich nicht weit um mich suchen      
  28 darf, weil ich sie in mir selbst antreffe, und wovon mir auch schon die gemeine      
  29 Logik ein Beispiel giebt, daß sich alle ihre einfache Handlungen      
  30 völlig und systematisch aufzählen lassen; nur daß hier die Frage aufgeworfen      
  31 wird, wie viel ich mit derselben, wenn mir aller Stoff und Beistand      
  32 der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen dürfe.      
           
  33 So viel von der Vollständigkeit in Erreichung eines jeden und      
  34 der Ausführlichkeit in Erreichung aller Zwecke zusammen, die nicht      
  35 ein beliebiger Vorsatz, sondern die Natur der Erkenntniß selbst uns aufgiebt,      
  36 als der Materie unserer kritischen Untersuchung.      
           
  37 Noch sind Gewißheit und Deutlichkeit, zwei Stücke, die die      
           
     

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