Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 535

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 verwetten, daß es wenigstens in irgend einem von den Planeten, die      
  02 wir sehen, Einwohner gebe. Daher sage ich, ist es nicht bloß Meinung,      
  03 sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich schon viele Vortheile      
  04 des Lebens wagen würde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe.      
           
  05 Nun müssen wir gestehen, daß die Lehre vom Dasein Gottes zum      
  06 doctrinalen Glauben gehöre. Denn ob ich gleich in Ansehung der theoretischen      
  07 Weltkenntniß nichts zu verfügen habe, was diesen Gedanken als      
  08 Bedingung meiner Erklärungen der Erscheinungen der Welt nothwendig      
  09 voraussetze, sondern vielmehr verbunden bin, meiner Vernunft mich so zu      
  10 bedienen, als ob alles bloß Natur sei: so ist doch die zweckmäßige Einheit      
  11 eine so große Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß      
  12 ich, da mir überdem Erfahrung reichlich davon Beispiele darbietet, sie      
  13 gar nicht vorbeigehen kann. Zu dieser Einheit aber kenne ich keine andere      
  14 Bedingung, die sie mir zum Leitfaden der Naturforschung machte, als      
  15 wenn ich voraussetze, daß eine höchste Intelligenz alles nach den weisesten      
  16 Zwecken so geordnet habe. Folglich ist es eine Bedingung einer zwar zufälligen,      
  17 aber doch nicht unerheblichen Absicht, nämlich um eine Leitung      
  18 in der Nachforschung der Natur zu haben, einen weisen Welturheber vorauszusetzen.      
           
  19 Der Ausgang meiner Versuche bestätigt auch so oft die      
  20 Brauchbarkeit dieser Voraussetzung, und nichts kann auf entscheidende      
  21 Art dawider angeführt werden, daß ich viel zu wenig sage, wenn ich mein      
  22 Fürwahrhalten bloß ein Meinen nennen wollte; sondern es kann selbst in      
  23 diesem theoretischen Verhältnisse gesagt werden, daß ich festiglich einen      
  24 Gott glaube; aber alsdann ist dieser Glaube in strenger Bedeutung dennoch      
  25 nicht praktisch, sondern muß ein doctrinaler Glaube genannt werden,      
  26 den die Theologie der Natur (Physikotheologie) nothwendig allerwärts      
  27 bewirken muß. In Ansehung eben derselben Weisheit, in Rücksicht auf die      
  28 vortreffliche Ausstattung der menschlichen Natur und die derselben so      
  29 schlecht angemessene Kürze des Lebens kann eben sowohl genugsamer      
  30 Grund zu einem doctrinalen Glauben des künftigen Lebens der menschlichen      
  31 Seele angetroffen werden.      
  32 Der Ausdruck des Glaubens ist in solchen Fällen ein Ausdruck der      
  33 Bescheidenheit in objectiver Absicht, aber doch zugleich der Festigkeit des      
  34 Zutrauens in subjectiver. Wenn ich das bloß theoretische Fürwahrhalten      
  35 hier auch nur Hypothese nennen wollte, die ich anzunehmen berechtigt      
  36 wäre, so würde ich mich dadurch schon anheischig machen, mehr von      
  37 der Beschaffenheit einer Weltursache und einer andern Welt Begriff zu      
           
     

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