Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 513

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der einzigen Bedingung der objectiven Möglichkeit eines Begriffs von dem,      
  02 was überhaupt geschieht, gezogen: daß die Bestimmung einer Begebenheit      
  03 in der Zeit, mithin diese (Begebenheit) als zur Erfahrung gehörig,      
  04 ohne unter einer solchen dynamischen Regel zu stehen, unmöglich wäre.      
  05 Dieses ist nun auch der einzig mögliche Beweisgrund; denn dadurch nur,      
  06 daß dem Begriffe vermittelst des Gesetzes der Causalität ein Gegenstand      
  07 bestimmt wird, hat die vorgestellte Begebenheit objective Gültigkeit, d. i.      
  08 Wahrheit. Man hat zwar noch andere Beweise von diesem Grundsatze,      
  09 z. B. aus der Zufälligkeit, versucht; allein wenn dieser beim Lichte betrachtet      
  10 wird, so kann man kein Kennzeichen der Zufälligkeit auffinden      
  11 als das Geschehen, d. i. das Dasein, vor welchem ein Nichtsein des Gegenstandes      
  12 vorhergeht, und kommt also immer wiederum auf den nämlichen      
  13 Beweisgrund zurück. Wenn der Satz bewiesen werden soll: alles,      
  14 was denkt, ist einfach, so hält man sich nicht bei dem Mannigfaltigen des      
  15 Denkens auf, sondern beharrt bloß bei dem Begriffe des Ich, welcher einfach      
  16 ist und worauf alles Denken bezogen wird. Eben so ist es mit dem      
  17 transscendentalen Beweise vom Dasein Gottes bewandt, welcher lediglich      
  18 auf der Reciprocabilität der Begriffe vom realsten und nothwendigen Wesen      
  19 beruht und nirgends anders gesucht werden kann.      
           
  20 Durch diese warnende Anmerkung wird die Kritik der Vernunftbehauptungen      
  21 sehr ins Kleine gebracht. Wo Vernunft ihr Geschäfte durch      
  22 bloße Begriffe treibt, da ist nur ein einziger Beweis möglich, wenn überall      
  23 nur irgend einer möglich ist. Daher wenn man schon den Dogmatiker      
  24 mit zehn Beweisen auftreten sieht, da kann man sicher glauben, daß er      
  25 gar keinen habe. Denn hätte er einen, der (wie es in Sachen der reinen      
  26 Vernunft sein muß) apodiktisch bewiese, wozu bedürfte er der übrigen?      
  27 Seine Absicht ist nur wie die von jenem Parlamentsadvocaten: das eine      
  28 Argument ist für diesen, das andere für jenen, nämlich um sich die      
  29 Schwäche seiner Richter zu Nutze zu machen, die, ohne sich tief einzulassen      
  30 und um von dem Geschäfte bald loszukommen, das Erste Beste, was ihnen      
  31 eben auffällt, ergreifen und darnach entscheiden.      
           
  32 Die dritte eigenthümliche Regel der reinen Vernunft, wenn sie in      
  33 Ansehung transscendentaler Beweise einer Disciplin unterworfen wird,      
  34 ist: daß ihre Beweise niemals apagogisch, sondern jederzeit ostensiv      
  35 sein müssen. Der directe oder ostensive Beweis ist in aller Art der Erkenntniß      
  36 derjenige, welcher mit der Überzeugung von der Wahrheit zugleich      
  37 Einsicht in die Quellen derselben verbindet; der apagogische dagegen      
           
     

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