Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 487

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sich sonst verlassen, wenn sie, die allein alle Irrungen abzuthun berufen      
  02 ist, in sich selbst zerrüttet wäre, ohne Frieden und ruhigen Besitz hoffen      
  03 zu können?      
           
  04 Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut.      
  05 Selbst Gifte dienen dazu, andere Gifte, welche sich in unseren eigenen      
  06 Säften erzeugen, zu überwältigen, und dürfen daher in einer vollständigen      
  07 Sammlung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Einwürfe      
  08 wider die Überredungen und den Eigendünkel unserer bloß speculativen      
  09 Vernunft sind selbst durch die Natur dieser Vernunft aufgegeben und      
  10 müssen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben, die man nicht in      
  11 den Wind schlagen muß. Wozu hat uns die Vorsehung manche Gegenstände,      
  12 ob sie gleich mit unserem höchsten Interesse zusammenhängen, so      
  13 hoch gestellt, daß uns fast nur vergönnt ist, sie in einer undeutlichen und      
  14 von uns selbst bezweifelten Wahrnehmung anzutreffen, dadurch ausspähende      
  15 Blicke mehr gereizt als befriedigt werden? Ob es nützlich sei, in      
  16 Ansehung solcher Aussichten dreiste Bestimmungen zu wagen, ist wenigstens      
  17 zweifelhaft, vielleicht gar schädlich. Allemal aber und ohne allen      
  18 Zweifel ist es nützlich, die forschende sowohl als prüfende Vernunft in      
  19 völlige Freiheit zu versetzen, damit sie ungehindert ihr eigen Interesse besorgen      
  20 könne, welches eben so wohl dadurch befördert wird, daß sie ihren      
  21 Einsichten Schranken setzt, als daß sie solche erweitert, und welches allemal      
  22 leidet, wenn sich fremde Hände einmengen, um sie wider ihren natürlichen      
  23 Gang nach erzwungenen Absichten zu lenken.      
           
  24 Lasset demnach euren Gegner nur Vernunft zeigen, und bekämpfet      
  25 ihn bloß mit Waffen der Vernunft. Übrigens seid wegen der guten Sache      
  26 (des praktischen Interesse) außer Sorgen, denn die kommt im bloß speculativen      
  27 Streite niemals mit ins Spiel. Der Streit entdeckt alsdann nichts,      
  28 als eine gewisse Antinomie der Vernunft, die, da sie auf ihrer Natur beruht,      
  29 nothwendig angehört und geprüft werden muß. Er cultivirt dieselbe      
  30 durch Betrachtung ihres Gegenstandes auf zwei Seiten und berichtigt ihr      
  31 Urtheil dadurch, daß er solches einschränkt. Das, was hiebei streitig wird,      
  32 ist nicht die Sache, sondern der Ton. Denn es bleibt euch noch genug      
  33 übrig, um die vor der schärfsten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines      
  34 festen Glaubens zu sprechen, wenn ihr gleich die des Wissens habt aufgeben      
  35 müssen.      
           
           
     

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