Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 393 |
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01 | jede in demselben aushält. Sie fängt nicht von Begriffen, sondern von | ||||||
02 | der gemeinen Erfahrung an und legt also etwas Existirendes zum Grunde. | ||||||
03 | Dieser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des | ||||||
04 | Absolutnothwendigen ruht. Dieser selber aber schwebt ohne Stütze, wenn | ||||||
05 | noch außer und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles erfüllt | ||||||
06 | und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt, d. i. der Realität | ||||||
07 | nach unendlich ist. | ||||||
08 | Wenn etwas, was es auch sei, existirt, so muß auch eingeräumt werden, | ||||||
09 | daß irgend etwas nothwendigerweise existire. Denn das Zufällige | ||||||
10 | existirt nur unter der Bedingung eines anderen als seiner Ursache, | ||||||
11 | und von dieser gilt der Schluß fernerhin bis zu einer Ursache, die nicht | ||||||
12 | zufällig und eben darum ohne Bedingung nothwendigerweise da ist. Das | ||||||
13 | ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen | ||||||
14 | gründet. | ||||||
15 | Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das | ||||||
16 | sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz als die unbedingte Nothwendigkeit | ||||||
17 | schicke, nicht sowohl um alsdann von dem Begriffe desselben a priori | ||||||
18 | auf sein Dasein zu schließen (denn getrauete sie sich dieses, so dürfte sie | ||||||
19 | überhaupt nur unter bloßen Begriffen forschen und hätte nicht nöthig, ein | ||||||
20 | gegebenes Dasein zum Grunde zu legen), sondern nur um unter allen | ||||||
21 | Begriffen möglicher Dinge denjenigen zu finden, der nichts der absoluten | ||||||
22 | Nothwendigkeit Widerstreitendes in sich hat. Denn daß doch irgend etwas | ||||||
23 | schlechthin nothwendig existiren müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse | ||||||
24 | schon für ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kann, was sich mit | ||||||
25 | dieser Nothwendigkeit nicht verträgt, außer einem: so ist dieses das schlechthin | ||||||
26 | nothwendige Wesen, man mag nun die Nothwendigkeit desselben begreifen, | ||||||
27 | d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder nicht. | ||||||
28 | Nun scheint dasjenige, dessen Begriff zu allem Warum das Darum | ||||||
29 | in sich enthält, das in keinem Stücke und in keiner Absicht defect ist, welches | ||||||
30 | allerwärts als Bedingung hinreicht, eben darum das zur absoluten | ||||||
31 | Nothwendigkeit schickliche Wesen zu sein, weil es bei dem Selbstbesitz aller | ||||||
32 | Bedingungen zu allem Möglichen selbst keiner Bedingung bedarf, ja derselben | ||||||
33 | nicht einmal fähig ist, folglich wenigstens in einem Stücke dem Begriffe | ||||||
34 | der unbedingten Nothwendigkeit ein Genüge thut, darin es kein | ||||||
35 | anderer Begriff ihm gleichthun kann, der, weil er mangelhaft und der Ergänzung | ||||||
36 | bedürftig ist, kein solches Merkmal der Unabhängigkeit von allen | ||||||
37 | ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, daß hieraus noch nicht | ||||||
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