Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 187 |
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Text (Kant):
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| 01 | der Möglichkeit eines Gegenstandes, der durch einen synthetischen | ||||||
| 02 | Begriff a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Synthesis | ||||||
| 03 | geschieht, welche die Form der empirischen Erkenntniß der Objecte | ||||||
| 04 | ausmacht? Daß in einem solchen Begriffe kein Widerspruch enthalten sein | ||||||
| 05 | müsse, ist zwar eine nothwendige logische Bedingung; aber zur objectiven | ||||||
| 06 | Realität des Begriffs, d. i. der Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, | ||||||
| 07 | als durch den Begriff gedacht wird, bei weitem nicht genug. So ist in dem | ||||||
| 08 | Begriffe einer Figur, die in zwei geraden Linien eingeschlossen ist, kein | ||||||
| 09 | Widerspruch, denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstoßung | ||||||
| 10 | enthalten keine Verneinung einer Figur; sondern die Unmöglichkeit | ||||||
| 11 | beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, sondern der Construction | ||||||
| 12 | desselben im Raume, d. i. den Bedingungen des Raumes und | ||||||
| 13 | der Bestimmung desselben; diese haben aber wiederum ihre objective Realität, | ||||||
| 14 | d. i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung | ||||||
| 15 | überhaupt a priori in sich enthalten. | ||||||
| 16 | Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und Einfluß dieses | ||||||
| 17 | Postulats der Möglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir ein Ding vorstelle, | ||||||
| 18 | das beharrlich ist, so daß alles, was da wechselt, bloß zu seinem Zustande | ||||||
| 19 | gehört, so kann ich niemals aus einem solchen Begriffe allein erkennen, | ||||||
| 20 | daß ein dergleichen Ding möglich sei. Oder ich stelle mir etwas | ||||||
| 21 | vor, welches so beschaffen sein soll, daß, wenn es gesetzt wird, jederzeit und | ||||||
| 22 | unausbleiblich etwas anderes darauf erfolgt, so mag dieses allerdings ohne | ||||||
| 23 | Widerspruch so gedacht werden können; ob aber dergleichen Eigenschaft | ||||||
| 24 | (als Causalität) an irgend einem möglichen Dinge angetroffen werde, | ||||||
| 25 | kann dadurch nicht geurtheilt werden. Endlich kann ich mir verschiedene | ||||||
| 26 | Dinge (Substanzen) vorstellen, die so beschaffen sind, daß der Zustand des | ||||||
| 27 | einen eine Folge im Zustande des andern nach sich zieht und so wechselsweise; | ||||||
| 28 | aber ob dergleichen Verhältniß irgend Dingen zukommen könne, | ||||||
| 29 | kann aus diesen Begriffen, welche eine bloß willkürliche Synthesis enthalten, | ||||||
| 30 | gar nicht abgenommen werden. Nur daran also, daß diese Begriffe | ||||||
| 31 | die Verhältnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a priori ausdrücken, | ||||||
| 32 | erkennt man ihre objective Realität, d. i. ihre transscendentale | ||||||
| 33 | Wahrheit, und zwar freilich unabhängig von der Erfahrung, aber doch | ||||||
| 34 | nicht unabhängig von aller Beziehung auf die Form einer Erfahrung überhaupt | ||||||
| 35 | und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstände empirisch | ||||||
| 36 | können erkannt werden. | ||||||
| 37 | Wenn man sich aber gar neue Begriffe von Substanzen, von Kräften, | ||||||
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