Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 163 |
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| 01 | Unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit | ||||||
| 02 | successiv und ist also immer wechselnd. Wir können also dadurch | ||||||
| 03 | allein niemals bestimmen, ob dieses Mannigfaltige als Gegenstand der | ||||||
| 04 | Erfahrung zugleich sei oder nach einander folge, wo an ihr nicht etwas | ||||||
| 05 | zum Grunde liegt, was jederzeit ist, d. i. etwas Bleibendes und | ||||||
| 06 | Beharrliches, von welchem aller Wechsel und Zugleichsein nichts, als | ||||||
| 07 | so viel Arten ( modi der Zeit) sind, wie das Beharrliche existirt. Nur in | ||||||
| 08 | dem Beharrlichen sind also Zeitverhältnisse möglich (denn Simultaneität | ||||||
| 09 | und Succession sind die einzigen Verhältnisse in der Zeit), d. i. das Beharrliche | ||||||
| 10 | ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, | ||||||
| 11 | an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. Die Beharrlichkeit | ||||||
| 12 | drückt überhaupt die Zeit als das beständige Correlatum alles Daseins | ||||||
| 13 | der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung aus. Denn der | ||||||
| 14 | Wechsel trifft die Zeit selbst nicht, sondern nur die Erscheinungen in der | ||||||
| 15 | Zeit (so wie das Zugleichsein nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in | ||||||
| 16 | welcher gar keine Theile zugleich, sondern alle nach einander sind). Wollte | ||||||
| 17 | man der Zeit selbst eine Folge nach einander beilegen, so müßte man noch | ||||||
| 18 | eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre. Durch das | ||||||
| 19 | Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Theilen der | ||||||
| 20 | Zeitreihe nach einander eine Größe, die man Dauer nennt. Denn in | ||||||
| 21 | der bloßen Folge allein ist das Dasein immer verschwindend und anhebend | ||||||
| 22 | und hat niemals die mindeste Größe. Ohne dieses Beharrliche ist | ||||||
| 23 | also kein Zeitverhältniß. Nun kann die Zeit an sich selbst nicht wahrgenommen | ||||||
| 24 | werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Erscheinungen das | ||||||
| 25 | Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch die Bedingung der Möglichkeit | ||||||
| 26 | aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, | ||||||
| 27 | und an diesem Beharrlichen kann alles Dasein und aller Wechsel | ||||||
| 28 | in der Zeit nur als ein modus der Existenz dessen, was bleibt und beharrt, | ||||||
| 29 | angesehen werden. Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche | ||||||
| 30 | der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz (phaenomenon), alles aber, was | ||||||
| 31 | wechselt oder wechseln kann, gehört nur zu der Art, wie diese Substanz | ||||||
| 32 | oder Substanzen existiren, mithin zu ihren Bestimmungen. | ||||||
| 33 | Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht bloß der Philosoph, sondern | ||||||
| 34 | selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit als ein Substratum alles | ||||||
| 35 | Wechsels der Erscheinungen vorausgesetzt haben und auch jederzeit als | ||||||
| 36 | ungezweifelt annehmen werden, nur daß der Philosoph sich hierüber etwas | ||||||
| 37 | bestimmter ausdrückt, indem er sagt: bei allen Veränderungen in der | ||||||
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