Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 156 |
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| 01 | Umschweif im Schließen man immer wolle), bewiese, d. i. es kann aus | ||||||
| 02 | der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren | ||||||
| 03 | Zeit gezogen werden. Denn der gänzliche Mangel des Realen in der | ||||||
| 04 | sinnlichen Anschauung kann erstlich selbst nicht wahrgenommen werden; | ||||||
| 05 | zweitens kann er aus keiner einzigen Erscheinung und dem Unterschiede | ||||||
| 06 | des Grades ihrer Realität gefolgert, oder darf auch zur Erklärung derselben | ||||||
| 07 | niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anschauung | ||||||
| 08 | eines bestimmten Raumes oder Zeit durch und durch real, d. i. | ||||||
| 09 | kein Theil derselben leer ist: so muß es doch, weil jede Realität ihren | ||||||
| 10 | Grad hat, der bei unveränderter extensiven Größe der Erscheinung bis | ||||||
| 11 | zum Nichts (dem Leeren) durch unendliche Stufen abnehmen kann, unendlich | ||||||
| 12 | verschiedene Grade, mit welchen Raum oder Zeit erfüllt sei, geben | ||||||
| 13 | und die intensive Größe in verschiedenen Erscheinungen kleiner oder größer | ||||||
| 14 | sein können, obschon die extensive Größe der Anschauung gleich ist. | ||||||
| 15 | Wir wollen ein Beispiel davon geben. Beinahe alle Naturlehrer, da | ||||||
| 16 | sie einen großen Unterschied der Quantität der Materie von verschiedener | ||||||
| 17 | Art unter gleichem Volumen (theils durch das Moment der Schwere oder | ||||||
| 18 | des Gewichts, theils durch das Moment des Widerstandes gegen andere | ||||||
| 19 | bewegte Materien) wahrnehmen, schließen daraus einstimmig: dieses Volumen | ||||||
| 20 | (extensive Größe der Erscheinung) müsse in allen Materien, obzwar | ||||||
| 21 | in verschiedenem Maße, leer sein. Wer hätte aber von diesen größtentheils | ||||||
| 22 | mathematischen und mechanischen Naturforschern sich wohl jemals einfallen | ||||||
| 23 | lassen, daß sie diesen ihren Schluß lediglich auf eine metaphysische | ||||||
| 24 | Voraussetzung, welche sie doch so sehr zu vermeiden vorgeben, gründeten, | ||||||
| 25 | indem sie annehmen, daß das Reale im Raume (ich mag es hier nicht | ||||||
| 26 | Undurchdringlichkeit oder Gewicht nennen, weil dieses empirische Begriffe | ||||||
| 27 | sind) allerwärts einerlei sei und sich nur der extensiven Größe, d. i. der | ||||||
| 28 | Menge, nach unterscheiden könne. Dieser Voraussetzung, dazu sie keinen | ||||||
| 29 | Grund in der Erfahrung haben konnten, und die also bloß metaphysisch | ||||||
| 30 | ist, setze ich einen transscendentalen Beweis entgegen, der zwar den Unterschied | ||||||
| 31 | in der Erfüllung der Räume nicht erklären soll, aber doch die vermeinte | ||||||
| 32 | Nothwendigkeit jener Voraussetzung, gedachten Unterschied nicht | ||||||
| 33 | anders als durch anzunehmende leere Räume erklären zu können, völlig | ||||||
| 34 | aufhebt und das Verdienst hat, den Verstand wenigstens in Freiheit zu | ||||||
| 35 | versetzen, sich diese Verschiedenheit auch auf andere Art zu denken, wenn | ||||||
| 36 | die Naturerklärung hiezu irgend eine Hypothese nothwendig machen sollte. | ||||||
| 37 | Denn da sehen wir, daß, obschon gleiche Räume von verschiedenen Materien | ||||||
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