Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 146 |
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01 | Des |
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02 | Systems der Grundsätze des reinen Verstandes |
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03 | Dritter Abschnitt. |
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04 | Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze |
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05 | desselben. |
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06 | Daß überhaupt irgendwo Grundsätze stattfinden, das ist lediglich | ||||||
07 | dem reinen Verstande zuzuschreiben, der nicht allein das Vermögen der | ||||||
08 | Regeln ist in Ansehung dessen, was geschieht, sondern selbst der Quell der | ||||||
09 | Grundsätze, nach welchem alles (was uns nur als Gegenstand vorkommen | ||||||
10 | kann) nothwendig unter Regeln steht, weil ohne solche den Erscheinungen | ||||||
11 | niemals Erkenntniß eines ihnen correspondirenden Gegenstandes zukommen | ||||||
12 | könnte. Selbst Naturgesetze, wenn sie als Grundsätze des empirischen | ||||||
13 | Verstandesgebrauchs betrachtet werden, führen zugleich einen Ausdruck | ||||||
14 | der Nothwendigkeit, mithin wenigstens die Vermuthung einer Bestimmung | ||||||
15 | aus Gründen, die a priori und vor aller Erfahrung gültig sind, | ||||||
16 | bei sich. Aber ohne Unterschied stehen alle Gesetze der Natur unter höheren | ||||||
17 | Grundsätzen des Verstandes, indem sie diese nur auf besondere Fälle der | ||||||
18 | Erscheinung anwenden. Diese allein geben also den Begriff, der die Bedingung | ||||||
19 | und gleichsam den Exponenten zu einer Regel überhaupt enthält, | ||||||
20 | Erfahrung aber giebt den Fall, der unter der Regel steht. | ||||||
21 | Daß man bloß empirische Grundsätze für Grundsätze des reinen Verstandes | ||||||
22 | oder auch umgekehrt ansehe, deshalb kann wohl eigentlich keine | ||||||
23 | Gefahr sein; denn die Nothwendigkeit nach Begriffen, welche die letztere | ||||||
24 | auszeichnet, und deren Mangel in jedem empirischen Satze, so allgemein | ||||||
25 | er auch gelten mag, leicht wahrgenommen wird, kann diese Verwechselung | ||||||
26 | leicht verhüten. Es giebt aber reine Grundsätze a priori, die ich gleichwohl | ||||||
27 | doch nicht dem reinen Verstande eigenthümlich beimessen möchte, darum | ||||||
28 | weil sie nicht aus reinen Begriffen, sondern aus reinen Anschauungen | ||||||
29 | (obgleich vermittelst des Verstandes) gezogen sind; Verstand ist aber das | ||||||
30 | Vermögen der Begriffe. Die Mathematik hat dergleichen, aber ihre Anwendung | ||||||
31 | auf Erfahrung, mithin ihre objective Gültigkeit, ja die Möglichkeit | ||||||
32 | solcher synthetischen Erkenntniß a priori (die Deduction derselben) beruht | ||||||
33 | doch immer auf dem reinen Verstande. | ||||||
34 | Daher werde ich unter meine Grundsätze die der Mathematik nicht | ||||||
35 | mitzählen, aber wohl diejenigen, worauf sich dieser ihre Möglichkeit und | ||||||
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