Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 144 |
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01 | Also zugegeben, daß man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen | ||||||
02 | müsse, um ihn mit einem andern synthetisch zu vergleichen: so ist ein | ||||||
03 | Drittes nöthig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann. | ||||||
04 | Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthetischen Urtheile? | ||||||
05 | Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten | ||||||
06 | sind, nämlich der innre Sinn und die Form desselben a priori, die Zeit. | ||||||
07 | Die Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungskraft, die | ||||||
08 | synthetische Einheit derselben aber (die zum Urtheile erforderlich ist) auf | ||||||
09 | der Einheit der Apperception. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer | ||||||
10 | Urtheile und, da alle drei die Quellen zu Vorstellungen a priori | ||||||
11 | enthalten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urtheile zu suchen sein; | ||||||
12 | ja sie werden sogar aus diesen Gründen nothwendig sein, wenn eine Erkenntniß | ||||||
13 | von Gegenständen zu Stande kommen soll, die lediglich auf der | ||||||
14 | Synthesis der Vorstellungen beruht. | ||||||
15 | Wenn eine Erkenntniß objective Realität haben, d. i. sich auf einen | ||||||
16 | Gegenstand beziehen und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, | ||||||
17 | so muß der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können. | ||||||
18 | Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in | ||||||
19 | der That aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen | ||||||
20 | gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn dieses nicht wiederum | ||||||
21 | nur mittelbar gemeint sein soll, sondern unmittelbar in der Anschauung | ||||||
22 | darstellen, ist nichts anders, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei | ||||||
23 | wirkliche oder doch mögliche) beziehen. Selbst der Raum und die Zeit, | ||||||
24 | so rein diese Begriffe auch von allem Empirischen sind, und so gewiß es | ||||||
25 | auch ist, daß sie völlig a priori im Gemüthe vorgestellt werden, würden | ||||||
26 | doch ohne objective Gültigkeit und ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn | ||||||
27 | ihr nothwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung nicht | ||||||
28 | gezeigt würde; ja ihre Vorstellung ist ein bloßes Schema, das sich immer | ||||||
29 | auf die reproductive Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenstände der | ||||||
30 | Erfahrung herbei ruft, ohne die sie keine Bedeutung haben würden; und | ||||||
31 | so ist es mit allen Begriffen ohne Unterschied. | ||||||
32 | Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unsern | ||||||
33 | Erkenntnissen a priori objective Realität giebt. Nun beruht Erfahrung | ||||||
34 | auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d. i. auf einer Synthesis | ||||||
35 | nach Begriffen vom Gegenstande der Erscheinungen überhaupt, ohne welche | ||||||
36 | sie nicht einmal Erkenntniß, sondern eine Rhapsodie von Wahrnehmungen | ||||||
37 | sein würde, die sich in keinen Context nach Regeln eines durchgängig verknüpften | ||||||
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