Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 142 |
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01 | Denn wenn das Urtheil analytisch ist, mag es nun verneinend oder | ||||||
02 | bejahend sein, so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des Widerspruchs | ||||||
03 | hinreichend können erkannt werden. Denn von dem, was in der | ||||||
04 | Erkenntniß des Objects schon als Begriff liegt und gedacht wird, wird | ||||||
05 | das Widerspiel jederzeit richtig verneint, der Begriff selber aber nothwendig | ||||||
06 | von ihm bejaht werden müssen, darum weil das Gegentheil desselben dem | ||||||
07 | Objecte widersprechen würde. | ||||||
08 | Daher müssen wir auch den Satz des Widerspruchs als das allgemeine | ||||||
09 | und völlig hinreichende Principium aller analytischen Erkenntniß | ||||||
10 | gelten lassen; aber weiter geht auch sein Ansehen und Brauchbarkeit | ||||||
11 | nicht, als eines hinreichenden Kriterium der Wahrheit. Denn daß | ||||||
12 | ihm gar keine Erkenntniß zuwider sein könne, ohne sich selbst zu vernichten, | ||||||
13 | das macht diesen Satz wohl zur conditio sine qua non , aber nicht zum | ||||||
14 | Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkenntniß. Da wir es nun | ||||||
15 | eigentlich nur mit dem synthetischen Theile unserer Erkenntniß zu thun | ||||||
16 | haben, so werden wir zwar jederzeit bedacht sein, diesem unverletzlichen | ||||||
17 | Grundsatz niemals zuwider zu handeln, von ihm aber in Ansehung der | ||||||
18 | Wahrheit von dergleichen Art der Erkenntniß niemals einigen Aufschluß | ||||||
19 | gewärtigen können. | ||||||
20 | Es ist aber doch eine Formel dieses berühmten, obzwar von allem | ||||||
21 | Inhalt entblößten und bloß formalen Grundsatzes, die eine Synthesis | ||||||
22 | enthält, welche aus Unvorsichtigkeit und ganz unnöthiger Weise in ihr | ||||||
23 | gemischt worden. Sie heißt: Es ist unmöglich, daß etwas zugleich sei | ||||||
24 | und nicht sei. Außer dem, daß hier die apodiktische Gewißheit (durch das | ||||||
25 | Wort unmöglich) überflüssiger Weise angehängt worden, die sich doch | ||||||
26 | von selbst aus dem Satz muß verstehen lassen, so ist der Satz durch die | ||||||
27 | Bedingung der Zeit afficirt und sagt gleichsam: Ein Ding = A, welches | ||||||
28 | etwas = B ist, kann nicht zu gleicher Zeit non B sein; aber es kann gar | ||||||
29 | wohl beides (B sowohl, als non B) nach einander sein. Z. B. ein Mensch, | ||||||
30 | der jung ist, kann nicht zugleich alt sein, eben derselbe kann aber sehr wohl | ||||||
31 | zu einer Zeit jung, zur andern nicht jung, d. i. alt, sein. Nun muß der | ||||||
32 | Satz des Widerspruchs, als ein bloß logischer Grundsatz, seine Aussprüche | ||||||
33 | gar nicht auf die Zeitverhältnisse einschränken, daher ist eine solche Formel | ||||||
34 | der Absicht desselben ganz zuwider. Der Mißverstand kommt bloß daher: | ||||||
35 | daß man ein Prädicat eines Dinges zuvörderst von dem Begriff desselben | ||||||
36 | absondert und nachher sein Gegentheil mit diesem Prädicate verknüpft, | ||||||
37 | welches niemals einen Widerspruch mit dem Subjecte, sondern nur mit | ||||||
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