Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 036

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 welches er gleichwohl damit verknüpft zu sein erachtet? Erfahrung kann      
  02 es nicht sein, weil der angeführte Grundsatz nicht allein mit größerer Allgemeinheit      
  03 als die Erfahrung verschaffen kann, sondern auch mit dem Ausdruck      
  04 der Nothwendigkeit, mithin gänzlich a priori und aus bloßen Begriffen      
  05 diese zweite Vorstellung zu der ersteren hinzugefügt. Nun      
  06 beruht auf solchen synthetischen, d. i. Erweiterungs=Grundsätzen die ganze      
  07 Endabsicht unserer speculativen Erkenntniß a priori; denn die analytischen      
  08 sind zwar höchst wichtig und nöthig, aber nur um zu derjenigen Deutlichkeit      
  09 der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreiteten      
  10 Synthesis, als zu einem wirklich neuen Erwerb, erforderlich ist.      
           
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V

     
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In allen theoretischen Wissenschaften der Vernunft sind synthetische

     
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Urtheile a priori als Principien enthalten.

     
           
  14 1. Mathematische Urtheile sind insgesammt synthetisch.      
  15 Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zergliederer der menschlichen      
  16 Vernunft bisher entgangen, ja allen ihren Vermuthungen gerade entgegengesetzt      
  17 zu sein, ob er gleich unwidersprechlich gewiß und in der Folge      
  18 sehr wichtig ist. Denn weil man fand, daß die Schlüsse der Mathematiker      
  19 alle nach dem Satze des Widerspruchs fortgehen (welches die Natur      
  20 einer jeden apodiktischen Gewißheit erfordert), so überredete man sich, daß      
  21 auch die Grundsätze aus dem Satze des Widerspruchs erkannt würden,      
  22 worin sie sich irrten; denn ein synthetischer Satz kann allerdings nach      
  23 dem Satze des Widerspruchs eingesehen werden, aber nur so, daß ein anderer      
  24 synthetischer Satz vorausgesetzt wird, aus dem er gefolgert werden      
  25 kann, niemals aber an sich selbst.      
           
  26 Zuvörderst muß bemerkt werden: daß eigentliche mathematische Sätze      
  27 jederzeit Urtheile a priori und nicht empirisch sind, weil sie Nothwendigkeit      
           
     

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