Kant: AA I, Von den Ursachen der ... , Seite 419 |
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| 01 | Große Begebenheiten, die das Schicksal aller Menschen betreffen, erregen | ||||||
| 02 | mit Recht diejenige rühmliche Neubegierde, die bei allem, was | ||||||
| 03 | außerordentlich ist, aufwacht und nach den Ursachen derselben zu fragen | ||||||
| 04 | pflegt. In solchem Falle soll die Verbindlichkeit gegen das Publicum den | ||||||
| 05 | Naturforscher vermögen, von den Einsichten Rechenschaft zu thun, die ihm | ||||||
| 06 | Beobachtung und Untersuchung gewähren können. Ich begebe mich der | ||||||
| 07 | Ehre dieser Pflicht in ihrem ganzen Umfange ein Gnüge zu leisten und | ||||||
| 08 | überlasse sie demjenigen, wenn ein solcher aufstehen wird, der von sich | ||||||
| 09 | rühmen kann, das Inwendige der Erde genau durchschaut zu haben. Meine | ||||||
| 10 | Betrachtung wird nur ein Entwurf sein. Er wird, um mich frei zu erklären, | ||||||
| 11 | fast alles enthalten, was man mit Wahrscheinlichkeit bis jetzt davon | ||||||
| 12 | sagen kann, allein freilich nicht genug, um diejenige strenge Beurtheilung | ||||||
| 13 | zufrieden zu stellen, die alles an dem Probirstein der mathematischen | ||||||
| 14 | Gewißheit prüft. Wir wohnen ruhig auf einem Boden, dessen | ||||||
| 15 | Grundfeste zuweilen erschüttert wird. Wir baün unbekümmert auf Gewölbern, | ||||||
| 16 | deren Pfeiler hin und wieder wanken und mit dem Einsturze | ||||||
| 17 | drohen. Unbesorgt wegen des Schicksals, welches vielleicht von uns selber | ||||||
| 18 | nicht fern ist, geben wir statt der Furcht dem Mitleiden Platz, wenn | ||||||
| 19 | wir die Verheerung gewahr werden, die das Verderben, das sich unter | ||||||
| 20 | unsern Füßen verbirgt, in der Nachbarschaft anrichtet. Es ist ohne Zweifel | ||||||
| 21 | eine Wohlthat der Vorsehung von der Furcht solcher Schicksale unangefochten | ||||||
| 22 | zu sein, zu deren Hintertreibung alle mögliche Bekümmerniß nicht | ||||||
| 23 | das Geringste beitragen kann, und unser wirkliches Leiden nicht durch die | ||||||
| 24 | Furcht vor demjenigen zu vergrößern, was wir als möglich erkennen. | ||||||
| 25 | Das erste, was sich unserer Aufmerksamkeit darbietet, ist, daß der | ||||||
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