Kant: AA I, Die Frage, ob die Erde veralte, ... , Seite 205 |
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| 01 | zur Bestätigung seiner Meinung, daß die Höhe des Meeres beständig | ||||||
| 02 | zugenommen habe, den Fußboden der St. Markus=Kirche zu Venedig | ||||||
| 03 | an, der jetzt so niedrig ist: daß, wenn die Lagune angeschwollen, sowohl | ||||||
| 04 | der St. Markus=Platz bisweilen überschwemmt, als auch er selber | ||||||
| 05 | unter Wasser gesetzt wird; da doch nicht zu vermuthen steht: daß bei | ||||||
| 06 | ihrer Erbauung es schon also bewandt gewesen sein werde. Imgleichen | ||||||
| 07 | beruft er sich auf die marmorne Bank, die um das Rathhaus St. Marci | ||||||
| 08 | geführt worden vermuthlich den Schifffahrenden zu Gute, um zu Fuße | ||||||
| 09 | in ihre Fahrzeuge zu kommen, welche zu diesem Zwecke nunmehr beinahe | ||||||
| 10 | untauglich geworden, weil sie zur Zeit der ordentlichen Fluth einen | ||||||
| 11 | halben Schuh tief unter Wasser steht: daß also aus den angeführten | ||||||
| 12 | Merkmalen erhelle, das Meer müsse anjetzt eine größere Höhe als in | ||||||
| 13 | vorigen Zeiten erlangt haben. Diese Meinung zu erklären, behauptet er: | ||||||
| 14 | daß die Flüsse den Schlamm, womit sie zur Zeit ihres Anschwellens | ||||||
| 15 | angefüllt sind, und den die Regenbäche von den Höhen des festen Landes | ||||||
| 16 | abgespült haben, in das Meer schleppen und dadurch den Boden desselben | ||||||
| 17 | erhöhen, wodurch dasselbe genöthigt werde sich zu erheben nach dem Maße, | ||||||
| 18 | als sein Bette allmählig ausgefüllt worden. Um das Maß dieser Erhöhung | ||||||
| 19 | des Meeres mit derjenigen, die die wirkliche Merkmale an die | ||||||
| 20 | Hand geben, einstimmig zu machen, suchte er die Quantität des Schlammes | ||||||
| 21 | zu schätzen, die die Ströme, wenn sie trüb fließen, mit sich führen, | ||||||
| 22 | indem er gegen das Ende des Hornungs das Wasser des Stroms, der | ||||||
| 23 | bei Bononien fließt, schöpfte und, nachdem er die Erde sich hatte setzen | ||||||
| 24 | lassen, sie 1/174 des Wassers, welches selbige in sich gehalten, befand. | ||||||
| 25 | Hieraus und aus der Menge des Wassers, welches die Ströme in einem | ||||||
| 26 | Jahre ins Meer führen, bestimmte er die Höhe, auf welche das Meer | ||||||
| 27 | durch diese Ursache allmählig steigen sollte, so daß es in 348 Jahren | ||||||
| 28 | auf 5 Zoll müßte höher befunden werden. | ||||||
| 29 | Durch die Betrachtung, welche wir von der marmornen Bank um | ||||||
| 30 | das St. Markus=Rathhaus zu Venedig angeführt haben, und durch | ||||||
| 31 | das Verlangen ein Maß zu haben, die Größe seiner übrigen Bemerkungen | ||||||
| 32 | dadurch zu bestimmen, wurde Manfred bewogen, die vorerwähnte | ||||||
| 33 | Erhöhung der Meeresfläche so weit zu vermehren, daß sie in | ||||||
| 34 | 230 Jahren einen Fuß austrüge, weil, wie er behauptet, die Flüsse | ||||||
| 35 | außer der zarten Erde, die ihre Wasser trübe macht, noch viel Sand, | ||||||
| 36 | Steine u. d. g. mit sich ins Meer schleppen. Auf diesen Fuß würde | ||||||
| 37 | das Unglück der Erde mit ziemlich schnellen Schritten herbeirücken, | ||||||
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