Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 014 |
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Text (Kant):
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| 01 | XI |
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| 02 | Wir wollen, ehe wir diesen Vorbericht endigen, uns den jetzigen | ||||||
| 03 | Zustand der Streitsache von den lebendigen Kräften annoch kürzlich | ||||||
| 04 | bekannt machen. | ||||||
| 05 | Der Herr von Leibniz hat allem Ansehen nach die lebendigen | ||||||
| 06 | Kräfte in den Fällen nicht zuerst erblickt, darin er sie zuerst der Welt | ||||||
| 07 | darstellte. Der Anfang einer Meinung ist gemeiniglich viel einfacher, | ||||||
| 08 | besonders einer Meinung, die etwas so Kühnes und Wunderbares mit | ||||||
| 09 | sich führt, als die von der Schätzung nach dem Quadrat. man hat | ||||||
| 10 | gewisse Erfahrungen, die sehr gemein sind und dadurch wir wahrnehmen: | ||||||
| 11 | daß eine wirkliche Bewegung, z. E. ein Schlag oder Stoß, | ||||||
| 12 | immer mehr Gewalt mit sich führe, als ein todter Druck, wenn er | ||||||
| 13 | gleich stark ist. Diese Beobachtung war vielleicht der Same eines | ||||||
| 14 | Gedankens, der unter den Händen des Herrn von Leibniz nicht unfruchtbar | ||||||
| 15 | bleiben konnte, und der nach der Hand zu der Größe eines | ||||||
| 16 | der berühmtesten Lehrgebäude erwuchs. | ||||||
| 17 | XII |
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| 18 | Überhaupt zu reden, scheint die Sache der lebendigen Kräfte so | ||||||
| 19 | zu sagen recht dazu gemacht zu sein, daß der Verstand einmal, es hätte | ||||||
| 20 | auch zu einer Zeit sein mögen, welche es wollte, durch dieselbe mußte | ||||||
| 21 | verführt werden. Die überwältigten Hindernisse der Schwere, | ||||||
| 22 | die verrückte Materien, die zugedrückte Federn, die bewegte | ||||||
| 23 | Massen, die in zusammengesetzter Bewegung entspringende | ||||||
| 24 | Geschwindigkeiten, alles stimmt auf eine wunderbare Art zusammen, | ||||||
| 25 | den Schein der Schätzung nach dem Quadrat zuwege zu bringen. | ||||||
| 26 | Es giebt eine Zeit, darin die Vielheit der Beweise dasjenige gilt, was | ||||||
| 27 | zu einer andern ihre Schärfe und Deutlichkeit ausrichten würde. diese | ||||||
| 28 | Zeit ist jetzt unter den Vertheidigern der lebendigen Kräfte vorhanden. | ||||||
| 29 | wenn sie bei einem oder dem andern von ihren Beweisen etwa wenig | ||||||
| 30 | Überzeugung fühlen, so befestigt der Schein der Wahrheit, der sich | ||||||
| 31 | dagegen von desto mehr Seiten hervorthut, ihren Beifall und läßt | ||||||
| 32 | ihn nicht wankend werden. | ||||||
| 33 | XIII |
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| 34 | Es ist schwerer zu sagen, auf welcher Seite sich bis daher in der | ||||||
| 35 | Streitsache der lebendigen Kräfte die Vermuthung des Sieges am | ||||||
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