Quelle Nummer 438
Rubrik 23 : BOTANIK Unterrubrik 23.00 : BOTANIK
GENMUTATION
WERNER GOTTSCHALK
DIE BEDEUTUNG DER GENMUTATIONEN FUER DIE EVOLUTION
DER PFLANZEN
MIT 65 ABBILDUNGEN UND ZAHLREICHEN TABELLEN
FORTSCHRITTE DER EVOLUTIONSFORSCHUNG BAND VI
HRSG. VON GERHARD HEBERER UND FRANZ SCHWANITZ
GUSTAV FISCHER VERLAG STUTTGART 1971, S. 41-
001 Die soeben erwähnte Gerstensorte " Mari " ist ein
002 interessantes Beispiel für die Flexibilität einer Mutante, die
003 fraglos größer ist als die Anpassungsmöglichkeiten der
004 Ausgangsform. Dies haben vornehmlich Versuche im Phytotron
005 gezeigt. Ihre Stammform " Bonus " reagiert wie eine
006 Langtagspflanze. Kultiviert man die beiden Formen unter extremen
007 Langtagsbedingungen im Dauerlicht, so blüht die Mutante eine
008 Woche vor der Ausgangsform; unter etwas abgeschwächten
009 Langtagsbedingungen hingegen (16-Stunden-Tag) tritt sie
010 3 Wochen früher in die Blühperiode ein. Aus den Versuchen von
011 KERBERG (1966) geht besonders drastisch hervor, wie
012 relativ das Merkmal " Frühreife " dieser Mutante ist. Er
013 verglich die Reifetermine von " Mari " mit denen der Sorte
014 " Edda 2 ", die als frühreife Gerste in Nordschweden kultiviert
015 wird. In Teneriffa (28^ nördlicher Breite) reifte Mari 16
016 Tage vor Edda, war also extrem frühreif. In Svalöf (55^
017 nördlicher Breite) reifte sie nur noch 2 Tage früher, während
018 sie im Angermanland (63^ nördlicher Breite) 8 Tage später
019 zur Reife gelangte. Vergleichbare Befunde hat BRÜCHER
020 (1943) an der matura-Mutante von Antirrhinum majus
021 erhalten. Sie blüht im Freiland als ausgesprochene Frühform
022 etwa 2 Wochen vor der Sippe 50, während sie bei niedrigen
023 Dauertemperaturen von 5 und einer späteren Erhöhung auf 12^ C
024 erst nach der Stammform in die Blühperiode eintritt.
025 BRÜCHER (1941, 1943) war einer der Ersten, der
026 Modellversuche mit Mutanten unter künstlichen Klimabedingungen
027 durchführte; er verwendete 11 zufällig ausgewählte
028 Antirrhinum-Mutanten des BAURschen Sortiments. Das
029 Ziel seiner Untersuchungen bestand darin, festzustellen, ob
030 bestimmte Mutanten ein anderes klimatisches Optimum aufweisen als
031 die Ausgangsform. In seinen Klimaschränken konnte er Temperatur,
032 Luftfeuchtigkeit und Belichtung variieren. In der
033 " natürlichen " Umwelt war die Stammform allen Mutanten überlegen;
034 sie schnitt interessanterweise aber bei stark abgeänderten
035 Verhältnissen regelmäßig sehr schlecht ab, ein Beweis für ihre
036 geringe ökologische Flexibilität. In verschiedenen
037 " künstlichen " Klimaten waren stets mehrere Mutanten der
038 Stammform überlegen, die Rangfolge der verschiedenen Genotypen
039 war jedoch beim Vergleich verschiedener Klimate unterschiedlich.
040 Einzelheiten können der Tab. 8 entnommen werden, wobei als
041 Maß für die Leistungsfähigkeit die Wuchshöhe verwendet wurde.
042 Es sei besonders darauf hingewiesen, daß die beiden Mutanten
043 " zierlich " und " hellgrün B ", die durch eine recht schwache
044 Vitalität gekennzeichnet sind, bei niederen Temperaturen und sehr
045 hoher Bodenfeuchtigkeit allen übrigen Formen überlegen waren,
046 sich einem derartigen ökologischen Milieu also gut anpassen würden.
047 Die Befunde BRÜCHER's zeigen besonders eindrucksvoll,
048 wie relativ der Begriff " Vitalität " ist und wie wenig
049 berechtigt Verallgemeinerungen auf diesem Sektor der
050 Mutationsforschung sind. Ähnliche Ergebnisse hat STUBBE
051 (1950, 1966) im Rahmen mehrjähriger Konkurrenzversuche mit
052 verschiedenen Antirrhinum-Mutanten erhalten. Der
053 positive Selektionswert der Mutante victrix trat im
054 feuchten Sommer 1948 deutlich in Erscheinung. Diese typische
055 Kleinmutante besitzt eine gewisse Resistenz gegen den Rostpilz
056 Puccinia Antirrhini, die eine Fertilitätssteigerung von etwa
057 100 % gegenüber der Ausgangsform zur Folge hatte.
058 Nachstehend seien noch einige besonders drastische Beispiele über
059 die Veränderung des Selektionswerts durch unterschiedliche
060 Milieubedingungen angeführt. HONING (1923) beschreibt eine
061 Tabakmutante, die wegen ihrer schmalen, langgestielten Blätter
062 und der gut ausgebildeten Träufelspitze so stark von nicotiana
063 tabacum abweicht, daß er ihr den Namen Nicotiana deformis
064 gegeben hat. Diese auf Sumatra spontan aufgetretene
065 zwergenhafte Form kommt unter den dortigen tropischen Bedingungen
066 niemals zur Blütenbildung; in Holland hingegen erreicht sie
067 normale Höhe, blüht und setzt Samen an, wenn ihre Fertilität
068 auch etwas geringer als diejenige der Normalform ist. Bei einer
069 anderen Tabakmutante wirkt sich die photoperiodische Reaktion auf
070 den Selektionswert aus. Sie blüht am Ort ihrer Entstehung wegen
071 der dort herrschenden Langtagsbedingungen nicht. Reduziert man
072 jedoch die Tageslänge auf 12 Stunden, so blüht sie und zeigt
073 besseren Samenertrag als die Stammform (GARNER und
074 ALLARD 1920). Interessante, im einzelnen noch nicht
075 geklärte Verhältnisse liegen bei einer von TEDIN und
076 HAGBERG (1952) sowie von TEDIN (1954) bearbeiteten
077 Mutante von Lupinus luteus vor, deren Stengel nicht die
078 normale negativ geotropische Reaktion zeigt, sondern dem Erdboden
079 ageotrop aufliegt. Sie bildete einige Samen, aus denen sich
080 jedoch voll fertile Pflanzen mit völlig normalem geotropischen
081 Verhalten entwickelten. Der mutative Effekt konnte erst in
082 späteren Generationen gelegentlich in abgeschwächter Form wieder
083 beobachtet werden. Die Autoren interpretieren diese Befunde im
084 Sinne einer spezifischen Reaktion des mutierten Gens auf bestimmte
085 Entwicklungsbedingungen. Das Gen kann - offenbar, wenn die
086 Mutante gute Entwicklungsmöglichkeiten vorfindet - einen
087 semiletalen Effekt entfalten, während sich seine Wirkung unter
088 veränderten Bedingungen überhaupt nicht manifestiert. Weit
089 weniger gravierend, aber noch immer deutlich genug wirken sich
090 bestimmte Umweltfaktoren auf das Wachstum der Mutante nana
091 von Tagetes erecta aus. Diese voll fertile Form wird im
092 Freiland wegen ihrer stark verkürzten Internodien nur 30-40 cm
093 hoch, während der Zwergwuchs bei Winterkultur im Gewächshaus
094 kaum noch in Erscheinung tritt (BOLZ 1961). Die von WALL
095 und ANDRUS (1959) bearbeitete Tomatenmutante " brittle "
096 zeigt unter normalen Feldbedingungen einen
097 Wachstumsstillstand und wirft ihre Blätter und Blüten ab. Bei
098 niederen Temperaturen sind diese Erscheinungen nicht zu beobachten,
099 die Ontogenese verläuft vielmehr normal. Auch die spontan
100 aufgetretene Tomatenmutante " variable male-sterile "
101 zeigt eine außerordentlich charakteristische Reaktion gegenüber
102 unterschiedlichen Temperaturen. Hohe Temperaturen, die im
103 Freiland über 30, im Gewächshaus über 33^ C liegen müssen,
104 führen nicht nur zur Ausbildung einer defekten Corolle, sondern
105 auch zu reduzierten, deformierten Staubblättern, die eine
106 Sterilität im männlichen Geschlecht zur Folge haben. Wird
107 dieser Schwellenwert nicht überschritten, so werden normale, voll
108 funktionsfähige Blüten ausdifferenziert (RICK und
109 BOYNTON 1967). Interessante Beziehungen zwischen
110 bestimmten Klimafaktoren und der Leistungsfähigkeit bestimmter
111 Genotypen sind für Simmondsia chinensis bekannt.
112 GENTRY (1958) fand am natürlichen Standort dieser Species
113 in der Sonora-Wüste 4 verschiedene Typen, die sich in der
114 Blütenzahl je Nodus bzw. Blütenzahl je Infloreszenz
115 unterscheiden. Man sollte erwarten, daß der Typus mit besonders
116 reichblühenden Infloreszenzen in der Population am häufigsten
117 vertreten ist, da für ihn der stärkste Fortpflanzungsdruck
118 anzunehmen ist; er ist jedoch der seltenste. Genotypen mit
119 geringer Blütenzahl treten in größerer Häufigkeit auf als
120 Genotypen mit höheren Blütenzahlen. Dies hängt offenbar damit
121 zusammen, daß die schwach blühenden Pflanzen dieser Species
122 einen geringeren Wasserbedarf haben, daß sie folglich die
123 Trockenperioden dieser Wüste besser überstehen können. Bei den
124 anderen Typen muß das wenige verfügbare Wasser auf eine größere
125 Anzahl heranwachsender Früchte verteilt werden; als Folge
126 hiervon erreichen nur wenige Samen das Stadium der Vollreife.
127 Das Merkmal " hohe Blütenzahl je Infloreszenz " ist unter den
128 gegebenen Umweltbedingungen also keineswegs gleichbedeutend mit
129 einem hohen Fortpflanzungsdruck. Unter der Einwirkung eines
130 feuchteren Klimas würde die Population im Hinblick auf die eben
131 genannten Typen sicherlich ganz anders zusammengesetzt sein. Eine
132 gewisse Sonderstellung nehmen die wachslosen Mutanten ein,
133 die von zahlreichen Arten bekannt sind. Von genetisch intensiv
134 bearbeiteten Objekten - etwa von pisum sativum - weiß
135 man, daß die Wachslosigkeit ein genetisch recht komplexes
136 Phänomen ist, an dessen Realisierung nicht nur verschiedene Loci,
137 sondern polymere Gene, Serien multipler Allele sowie Teile
138 pleiotroper Wirkungsspektren beteiligt sind. Entsprechend
139 vielgestaltig sind die Mutanten dieser Gruppe
140 (WELLENSIEK 1925 b, 1928 a, b, NILSSON 1932, 1933,
141 LAMPRECHT 1939 a, 1944 a, 1955, GOTTSCHALK
142 1964 b, CHEN 1969). Man sollte annehmen, daß der
143 Selektionswert dieser Mutanten in einer direkten Beziehung zur
144 Wasserversorgung steht. Länger anhaltende Trockenperioden
145 während der ersten Hälfte der Ontogenese werden eine
146 ungewöhnlich hohe kutikuläre Transpiration zur Folge haben, die
147 bei gedrosselter Wasserversorgung nicht genügend kompensiert werden
148 kann. Es sind folglich geringe Samenerträge zu erwarten,
149 während sich der fehlende Wachsbelag in feuchten Jahren nicht
150 nachteilig bemerkbar machen wird. Wir haben mit unseren wachslosen
151 Mutanten von Pisum sativum derartige Erfahrungen gemacht.
152 SCHEIBE (1955) hat eine spontan aufgetretene, völlig
153 wachslose Futtererbse gemeinsam mit der wachshaltigen Ausgangsform
154 für mehrjährige Konkurrenzversuche verwendet und hat diese
155 Erwartungen bestätigt. Die Ausgangspopulation bestand zu je 50
156 % aus wachshaltigen und wachslosen Individuen; die Samen
157 aller Pflanzen wurden geerntet, alljährlich wurden 4
158 Wiederholungen zu je 500 Samen ausgelegt. Wie Abb. 11 zeigt,
159 ist eine rasche Abnahme des Anteils wachsloser Individuen in der
160 Population feststellbar; 4 Jahre nach Versuchsbeginn betrug ihr
161 Anteil nur noch 19 %. In trockenen Jahren brachte der hohe
162 Transpirationsverlust die Pflanzen häufig schon in frühesten
163 ontogenetischen Stadien zum Absterben. In Mischkultur mit Hafer
164 war zwar prinzipiell die gleiche Gesetzmäßigkeit feststellbar,
165 der Eliminierungsprozeß der wachslosen Genotypen verlief jedoch
166 langsamer. (Abb.) Auch diese Ergebnisse lassen sich nicht
167 verallgemeinern. Bei den Abietaceen sind seit langem glauca
168 -Sippen mit starkem Wachsüberzug und viridis-
169 Sippen mit dünner Wachsschicht bekannt. Die Stärke des
170 Wachsbelages hat bei diesen Formen jedoch keine ökologische
171 Bedeutung, denn es lassen sich keine Verschiebungen in der
172 Zusammensetzung der Populationen an extremen Standorten
173 feststellen. Nach Untersuchungen von SCHMUCKER (1948)
174 zeigen die beiden Sippen bei Pseudotsuga taxifolia keine
175 Unterschiede im Grad der Kutikulären Transpiration. Bei
176 Picea canadensis weist die glauca-Sippe
177 unerwarteterweise sogar die doppelte Transpiration gegenüber der
178 viridis-Sippe auf. Interessante Ergebnisse über den
179 Selektionswert wachsloser Formen von Ricinus communis hat
180 HARLAND (1947) in Peru erhalten. In den Andengebieten
181 ostwärts von Lima finden sich in 2600 m Höhe ausschließlich
182 wachshaltige Pflanzen, die offenbar an das sonnige, klare Wetter
183 dieser Regionen angepaßt sind. Ihr Anteil nimmt jedoch unterhalb
184 der bei 700 m liegenden Wolkenbank rapid ab und beträgt im
185 Stadtgebiet von Lima nur noch 0,15 %. Die wachslose
186 Mutante hat in den Niederungen mit ihren Winternebeln die
187 Ausgangsform völlig verdrängt. Ihr positiver Selektionswert
188 dürfte darüber hinaus noch darauf zurückzuführen sein, daß sie
189 im Gegensatz zur wachshaltigen Form in der Lage ist, auch
190 während der kühlen Jahreszeit Samen zu bilden. Im
191 Stickstoffwechsel der Leguminosen spielen die Wurzelknöllchen
192 eine wesentliche Rolle. Für Pisum haben GELIN
193 und BLIXT (1964) die beiden Gene No und Nod
194 erfassen können, die eine gewisse Kontrolle auf den
195 Knöllchenbesatz ausüben. Bei Dominanz der beiden Gene werden
196 im Mittel etwa 10 Knöllchen je Pflanze gebildet. Ist nur eines
197 im dominanten Zustand vorhanden, steigt der Mittelwert auf 32,
198 bei Rezessivität beider Gene sogar auf 63. Außerdem wurde -
199 unter der Voraussetzung, daß die zu vergleichenden Stämme keine
200 größeren genotypischen Unterschiede aufweisen - eine strenge
201 Korrelation zwischen Samenertrag und Knöllchenbesatz festgestellt.
202 Der Selektionswert mutierter Gene, die diese Situation
203 beeinflußen, wird von der sonstigen Stickstoffversorgung der
204 Pflanze abhängen. Für Soja ist eine Mutante bekannt,
205 die nach Inokulation mit Rhizobium japonicum nicht in der
206 Lage ist, Knöllchen zu bilden. Bei reichlichen N-Gaben
207 ist die Mutante in der Fertilität kaum benachteiligt; ist
208 Stickstoff hingegen nur beschränkt verfügbar, so sinkt der
209 Samenertrag auf die Hälfte ab (SEARS und LYNCH 1951,
210 WILLIAMS und LYNCH 1954). Wir haben bei einigen
211 Pisum-Mutanten ebenfalls deutliche Unterschiede im
212 Knöllchenbesatz gefunden, es ist jedoch an diesem Material nicht
213 möglich, direkte Beziehungen zwischen Knöllchenzahl und
214 Fertilitätsgrad zu erfassen, weil zahlreiche Mutanten unseres
215 Sortiments auf Grund unspezifischer physiologischer Störungen,
216 die nicht als unmittelbare Wirkung der mutierten Gene erkennbar
217 werden, einen verminderten Samenansatz aufweisen, ohne daß die
218 Wurzelknöllchen hierbei eine Rolle spielen. Im Zusammenhang mit
219 der Stickstoffversorgung des Bodens sind auch die erectoides
220 -Mutanten der Gerste zu nennen, die von zahlreichen
221 Autoren bearbeitet worden sind. Diese kurzstrohigen, standfesten
222 Genotypen sind in weit besserem Maße als die Ausgangsform in der
223 Lage, hohe Stickstoffmengen des Bodens zu verwerten, werden
224 daher von GUSTAFSSON (1954) als " Stickstoff-
225 Ökotypen " bezeichnet. Ein gewisses Analogon hierzu stellt die
226 von v. SENGBUSCH (1940) bearbeitete Mutante niveus
227 von Lupinus luteus dar. Sie ist im Gegensatz zur
228 Ausgangsform unempfindlich gegenüber relativ hohem Kalk
229 gehalt und Wassergehalt des Bodens, würde daher in der Lage
230 sein, Lebensräume zu besiedeln, die für die Stammform
231 ungeeignet sind. Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch eine
232 lagerfeste Erbsenmutante erwähnt, die SIDOROVA et al.
233 (1969) nach Anwendung mutagener Agentien erhalten haben.
234 Besonders drastisch wirken sich bestimmte Umweltfaktoren auf die
235 Pigmentsynthese einer großen Anzahl von
236 Chlorophyllmutanten aus. Diese Gruppe läßt sich im Hinblick
237 auf die Abhängigkeit der Chlorophyllbildung von Außenfaktoren in
238 3 Untergruppen aufgliedern: Die Chlorophyllsynthese ist
239 lichtabhängig. Bei zahlreichen chlorophylldefekten
240 Letalmutanten kann die effektive Letalphase im Sinne von
241 HADORN (1955) während des ontogenetischen
242 Entwicklungsablaufs beträchtlich verzögert werden; es kann sogar
243 die Letalwirkung des mutierten Gens u.U. völlig
244 aufgehoben werden, wenn man durch Gewächshausaufzucht eine zu
245 starke Insolation vermeidet. Entsprechende Befunde liegen vor
246 für Avena (AKERMAN 1922), Secale
247 (SIRKS 1929), Zea (DEMEREC 1935, KOSKI
248 und SMITH 1951, ANDERSON und ROBERTSON 1960),
249 Linum (LEVAN 1944), Lupinus (TEDIN
250 und HAGBERG 1952), Pisum (RASMUSSON 1938,
251 BLIXT 1961, GOTTSCHALK 1964 b,
252 GOTTSCHALK und MÜLLER 1964) und Helianthus
253 (WALLACE und SCHWARTING 1954, WALLACE und
254 HABERMANN 1959). Fertile Chlorophyllmutanten können den
255 gleichen Effekt in abgeschwächter Form zeigen (Lupinus:
256 HAGBERG und TEDIN[ 1952 ], Lycopersicon:
257 STUBBE[ 1957 ], Arabidopsis:
258 RÖBBELEN[ 1957 ], Antirrhinum:
259 BERGFELD[ 1958 ], Pisum: LAMPRECHT
260 [1960 c ]). BERGFELD (1958) hat für eine
261 Antirrhinum-Mutante im Gegensatz hierzu eine Förderung
262 der Chlorophyllbildung mit zunehmender Lichtintensität
263 nachgewiesen. Auch die Lichtqualität (BRIX 1955)
264 sowie die Tageslänge (SAGROMSKY 1954) können in
265 Sonderfällen den Grad der Chlorophyllbildung beeinflußen.
266 Die Chlorophyllsynthese ist temperaturabhängig..
267 Bei der Mehrzahl temperaturlabiler Mutanten wirken sich tiefe
268 Temperaturen im Sinne einer Einschränkung oder Sistierung der
269 Chlorophyllbildung aus. Kultiviert man sie hingegen bei höheren
270 Temperaturen, so wird die Wirkung der mutierten Gene oftmals
271 überhaupt nicht erkennbar. Die Pisum-Mutante 159
272 unseres Sortiments ist bei Freilandaufzucht infolge eines starken
273 Chlorophyllmangels letal, unterscheidet sich bei Aufzucht in
274 Klimakammern im Hinblick auf Pigmentgehalt und physiologischer
275 Leistungsfähigkeit jedoch nicht von der Normalform. Der
276 Temperaturschwellenwert für die Chlorophyllsynthese liegt exakt
277 bei 17^ C (Einzelheiten bei GOTTSCHALK und
278 MÜLLER 1964). Vereinzelt sind Mutanten mit umgekehrten
279 Verhalten bekannt geworden: die Chlorophyllbildung wird bei
280 höheren Temperaturen eingeschränkt, nähert sich aber bei
281 herabgesetzter Temperatur dem Normalzustand (LANGRIDGE
282 [1955 ]für Arabidopsis, ROBERTSON und
283 ANDERSON[ 1961 ]für Zea). Die
284 Chlorophyllsynthese ist nicht oder nur in untergeordnetem Maße von
285 der Umwelt abhängig. In dieser Gruppe werden zwar im
286 Augenblick noch nahezu alle Chlorophyllmutanten eingeordnet, eine
287 exakte Bearbeitung dieses Materials würde aber mit Sicherheit
288 zeigen, daß viele dieser Genotypen den ersten beiden Gruppen
289 zuzuordnen sind. HENTRICH (1964, 1967) hat mehr als 600
290 Chlorophyllmutanten der Gerste auf die Beziehungen zwischen
291 Temperatur und Ausprägung des Chlorophylldefekts untersucht und
292 hat festgestellt, daß bei knapp 50 % aller bearbeiteten
293 Genotypen eine derartige Korrelation besteht. Die gleichen
294 Erfahrungen haben wir für zahlreiche Chlorophyllmutanten der
295 Erbse im Hinblick auf Temperatur und Lichtintensität gemacht
296 (HIPKE 1970). Zur Reaktion eines mutierten Gens auf
297 bestimmte Umweltbedingungen gehört schließlich noch das Verhalten
298 von Mutanten in Mischbeständen. Schon 1942 hat
299 MONTGOMERY festgestellt, daß sich die
300 Leistungsfähigkeit einer Varietät bei Aufzucht in Reinkultur
301 nicht ohne weiteres übertragen läßt auf ihr Verhalten in
302 Mischkultur. Es kann also vorkommen, daß eine Sorte, die beim
303 Leistungsvergleich in homozygoten Beständen an der Spitze liegt,
304 in Mischbeständen mit anderen, weniger leistungsfähigen Sorten
305 deutlich abfällt. Analoge Befunde haben SUKATSCHEW
306 (1928) an Taraxacum officinale, LAUDE und
307 SWANSON (1942) am Winterweizen, ferner SUNESON und
308 WIEBE (1942) an Weizen und Gerste sowie ROY (1960),
309 JENNINGS und AQUINO (1968) am Reis erhalten. In
310 allen diesen Fällen sind zwischen den konkurrierenden Genotypen
311 deutliche Wechselbeziehungen feststellbar, die sich auf die
312 Samenproduktion auswirken. Die Konkurrenz erweist sich damit
313 schon innerhalb sehr kurzer Zeiträume als ein sehr wesentlicher
314 Faktor zur Veränderung der Populationsstruktur.
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