Quelle Nummer 432
Rubrik 13 : GESCHICHTE Unterrubrik 13.03 : TEILGEBIETE
GESCHICHTE DER PSYCHOLOGIE
FRIEDERICH DOUCET
FORSCHUNGSOBJEKT SEELE
EINE GESCHICHTE DER PSYCHOLOGIE
VERLEGT BEI KINDLER VERLAG, MUENCHEN 1971, S. 35-
001 DIE NACHCHRISTLICHEN
002 PHILOSOPHEN SEELENKUNDLICHE
003 ANSCHAUUNGEN DER NEUZEITLICHEN
004 PHILOSOPHIE. Die Seele wird zum Machtfaktor.
005 Bereits zu Lebzeiten des ARISTOTELES hatte Griechenland
006 - und mit ihm dessen wichtigster Stadtstaat Athen - seine
007 politische Bedeutung in der damaligen Welt eingebüßt.
008 ALEXANDER von Makedonien, dessen Lehrer
009 ARISTOTELES zeitweilig war, begann ein Weltreich zu
010 errichten - doch sicher nicht als Folge seines Studiums der
011 griechischen Philosophie. Dazu war der aristotelische
012 Rationalismus - psychologisch gesehen - allzu wirklichkeitsfremd.
013 So bestechend die Kausalitätslehre von ARISTOTELES in
014 ihrer Lokig auch war, indem sie alle Lebenserscheinungen auf
015 verstandesmäßig erklärbare Ursachen zurückführte - für ein
016 Verständnis kollektivpsychischer Phänomene und politischer
017 Strukturwandlungen reichte diese Lehre nicht aus. Da der Mensch
018 durch seine vernunftbegabte Eigenseele allen anderen Lebewesen mit
019 einer nur animalischen Körperseele überlegen war, mußte der
020 Lebenssinn des Menschen auch die Vernunft sein. Und da der
021 Mensch, was keines weiteren Beweises bedarf, in einer
022 Gemeinschaft lebt und ein Sozialleben führt, muß es auch im
023 Sinne der Vernunft liegen, die für ein angenehmes und
024 beschauliches Leben als Bürger nötigen Charaktertugenden
025 auszubilden. Wer also genügend Verstand, Gerechtigkeitssinn und
026 Güte besaß, der sollte auch an den Regierungsgeschäften
027 mitwirken urd an der politischen Macht teilhaben. Für die
028 politische Elite der Wohlstandrepublik Athen war
029 ARISTOTELES' Übertragung des philosophischen
030 Dualismus und der zweckgerichteten Kausalitätslehre auf seine
031 Idealstaatslehre sicher eine ihrem Selbstverständnis entsprechende
032 Philosophie. Nur blieb sie reine Theorie. Die barbarischen
033 Makedonier unter ALEXANDER jedenfalls widerlegten sie.
034 Sie eroberten Griechenland. Mochten sie nach Meinung der
035 Griechen auch nur eine animalische Körperseele besitzen, die
036 nicht eine nach Tugenden strebende Vernunft als oberstes
037 Weltprinzip kannte, und mochte für sie ALEXANDER ein
038 lebender Gott sein, ihre psychischen wie materiellen Bedürfnisse
039 jedenfalls befriedigte er - konkret und real. In der Folgezeit,
040 auch als die Weltherrschaft auf die Römer überging, führten die
041 Philosophen ein zurückgezogenes Dasein " im Elfenbeinturm ".
042 Die Seelenlehre des ARISTOTELES wurde zu einer Art
043 Trostlehre ausgebaut. Stoiker und Epikuräer lehrten
044 Abgeklärtheit, Vernunft und allgemeine Toleranz. Die Seele
045 galt als sterblich, doch wurde Todesfurcht als unbegründet
046 angesehen. Denn über allem waltete ein ewiger, mehr
047 philosophischer als göttlicher Weltgeist; der Weise aber lebt in
048 seinen Werken fort. Für die Massen der besitzlosen Veteranen,
049 der rechtlosen Sklaven und für die - nach römischen Recht -
050 praktisch zum Eigentum des Mannes degradierten Frauen waren
051 derartige philosophische Ratschläge jedoch kein Trost. Überall
052 im römischen Weltreich fanden Sklavenaufstände statt. Die
053 offizielle Staatsreligion war zu einem inhaltsleeren Diesseitskult
054 abgesunken. Sie bot den in Erregung geratenen Massen der
055 Bevölkerung keine kollektivpsychischen Leitmuster einer seelischen
056 Orientierung. Durch Steigerung des Konsums bzw. der
057 Lebensmittelversorgung und durch Zirkusspiele als
058 Freizeitgestaltung versuchten die römischen Kaiser und die
059 Staatsbürokratie dieser zweiten großen Kulturkrise des
060 Abendlandes zu begegnen. Um die kollektivpsychischen Muster eines
061 Wandlungsvorganges ihrer Zeit zu verstehen, dazu war die
062 herrschende Elite, die in einem allzu rationalistischen und
063 utilitaristischen Denkschema befangen war, nicht imstande.
064 Seelisches war kein Gegenstand ernsthafter Überlegungen. Eine
065 - sei es theologische oder philosophische - Psychologie
066 existierte nicht. Die Ausbreitung der christlichen Lehre bis zum
067 Aufstieg zur Staatsreligion unter Kaiser KONSTANTIN
068 läßt sich nicht allein als ein sozialpsychologischer Vorgang
069 erklären. Es handelt sich vielmehr um einen kollektiven
070 Bewußtseinssprung, wie er sich rund zweitausendeinhundert Jahre
071 zuvor in Ägypten zur Zeit des Unterganges des Alten Reiches
072 vollzogen hatte. Die kollektive Erweiterung des
073 Sozialbewußtseins im untergehenden Römischen Reich war nur eine
074 Folge der christlichen Seelenvorstellung. Soweit die sogenannten
075 " Kirchenväter " über die Seele nachdachten, ist der Einfluß
076 der antiken griechischen Philosophie unverkennbar.
077 TERTULLIAN dachte sich, in Anlehnung an die Atomtheorie
078 von DEMOKKRIT, die Seele als einen hauchartigen feinen
079 Stoff in der Art eines Subtle-body oder
080 Astralkörpers. GREGOR VON NYSSA dagegen verwirft
081 später jede körperliche Vorstellung der Seele. Von
082 TERTULLIAN und nach ihm von ORIGENES wird übrigens
083 die von JESUS CHRISTUS verkündete Gleichheit bereits
084 wieder eingeschränkt: Daß auch die Frau eine Seele haben
085 könne, wird von diesen beiden frühchristlichen Philosophen
086 energisch bezweifelt. Der einzige, der sich zu jener Zeit als
087 Nichtchrist nicht nur philosophisch, sondern naturwissenschaftlich
088 mit psychischen Erscheinungen beschäftigt, ist der neben
089 HIPPOKRATES zweite berühmteste Arzt der Antike,
090 CLAUDIUS GALENUS. Er gilt als der Verfasser einer
091 Fülle von medizinischen und philosophischen Schriften, nahezu
092 dreihundert, von denen jedoch nur ein Drittel von ihm selber
093 stammen dürfte. Seine anatomischen und physiologischen Studien
094 bleiben bis ins späte Mittelalter die Lehrgrundlagen der Medizin.
095 Er befaßt sich als Psychologe vornehmlich mit den
096 Bewußtseinsvorgängen und unterscheidet die Wahrnehmung der
097 Sinneseindrücke als Bewußthaben vom denkenden BewÜßtsein.
098 Doch beides gehöre zur geistigen Tätigkeit der Seele. Die
099 überragendste Persönlichkeit auf dem Gebiet der Seelenforschung
100 im ersten nachchristlichen Jahrtausend ist dann hundert Jahre
101 später PLOTIN. Heimat und Herkunft hielt er geheim.
102 Bekannt ist nur, daß er elf Jahre in der damaligen Weltstadt
103 Alexandria lebte, dann im Gefolge des römischen Kaisers Gordian
104 3.nach Persien ging und seit dem Jahre 244 in Rom eine
105 wissenschaftliche Lehrtätigkeit ausübte. Die Art seines
106 Lehrens war für akademische Begriffe allerdings höchst
107 undogmatisch und entsprach in keiner Weise der aristotelischen
108 Tradition. Er lehrte eine universale Psychologie, wobei er alle
109 religiösen und philosophischen Seelenvorstellungen, alle
110 psychischen Techniken, ob magisch oder nicht, unter dem Aspekt
111 psychischer " Informationen " untersuchte und auf ihre
112 Brauchbarkeit prüfte. Sein Lehrgebäude, soweit es aus seinen
113 später von seinen Schülern veröffentlichten Schriften
114 erkenntlich wird, enthält ungefähr folgende Theorie: Psyche,
115 Mensch und Kosmos bilden eine Einheit. Psyche ist das Muster,
116 nach dem die Materieteilchen sich zusammenschließen. Psyche ist
117 aber auch gleichzeitig die Bindungsenergie der Teilchen, die das
118 Muster oder die Struktur gestalten. Als Bindungsenergie und
119 damit Dynamik der Psyche ist es der Geist, der Dinge aus der
120 Materie schafft. Die konkrete Welt der Dinge ist Vielheit.
121 Soweit ein Ding eine Einheit ist, wird es von der Seele dazu
122 gemacht. Das klingt recht modern, denn auch die heutige
123 Atomwissenschaft teilt die Bewegungsformen der Kernteilchen in
124 " kollektive Bewegungen " und " Einteilchenbewegungen " ein.
125 PLOTIN denkt sich diesen Vorgang in einer Stufenfolge,
126 vergleichbar unserer Vorstellurg vom Aufbau des Lebendigen
127 (Kernteilchen, Atomkern, Atom, Molekül, Zelle,
128 Zellorganismus, Organ, lebender Körper). Auch der gesamte
129 Kosmos stellt nach PLOTIN einen Körper dar, den
130 Makrokosmos, der dem Mikrokosmos des Menschen entspricht. Diese
131 Symbolvorstellung, die, wie wir wissen, von DEMOKRIT
132 stammt, ist für PLOTIN jedoch nicht nur gedanklich bildhaft.
133 Sie ist real. Die psychischen Realitäten sind nicht etwa
134 schwächer als die sinnlichen materiellen. Sie sind die wahre
135 Realität, weil sie aus dem Untergrund des Seins stammen. Die
136 Zeit ist etwas Relatives. Einen Anfang und ein Ende der Welt
137 gibt es nicht. Der Schöpfungsprozeß hat keinen Zeitverlauf.
138 Er geschieht ständig. Die Zeit ist nur ein Symbol für die
139 Rangordnung der Stufen des Schöpfungsprozesses. " Geschichte "
140 im Sinne von früher und später ist ein metaphysischer
141 Wertbegriff. Daß alle diese Gedankengänge PLOTINS
142 bereits von seinen Zeitgenossen heftigst kritisiert und auch in den
143 Jahrhunderten danach abgelehnt wurden, ist nur zu verständlich.
144 PLOTIN war seiner Zeit zu weit voraus, und für die
145 theologisch akzentuierte Psychologie der christlichen Philosophen
146 waren derartige Vorstellungen reine Ketzerei. PLOTIN ist
147 auch heute wenig bekannt. Daß er später als Sektierer und
148 Ketzer abgetan wurde, resultiert aus seiner für christliche
149 Begriffe unannehmbaren Ethik. Für ihn existiert im christlich
150 -wertmaterialen Sinn weder Gut noch Böse. Diese
151 Erscheinungen des menschlichen Wesens sind vielmehr aus seiner
152 Verstrickung zwischen Bewußtsein und Unbewußtem zu erklären.
153 Denn auch den Begriff des Unbewußten und sogar des
154 Kollektiven Unbewußten nimmt PLOTIN bereits vorweg.
155 Den Dualismus - Ich-Gott, Ich-Welt, Ich
156 -Du - kennt er nicht. Für ihn ist dies alles innen und
157 außen. Die Psyche ist der Spiegel des Bewußtseins, und das
158 individuelle Bewußtsein ist eben nur ein Teil des Ganzen, des
159 Selbst-Bewußtseins oder Selbst-Verstehens des
160 Universums. Gewiß, auch PLOTIN empfiehlt die Versenkung
161 in das eigene seelische Innere als Erkenntnisweg, um so zur Schau
162 - zur theoria - der psychischen Welt zu gelangen. Und
163 die Voraussetzungen hierfür sind Tugendreinheit und Askese.
164 Aber er schreibt keine dogmatischen Methoden und Regeln vor. Im
165 Gegensatz zu der passiv visionären Schau bei PLATON und
166 einem offenkundigen Vorläufer von PLOTIN, der das Pseudonym
167 HERMES TRISMEGISTOS benutzte, wird die
168 Selbstversenkung weit mehr im Sinne einer Aktivierung der
169 Intuition beschrieben. Das ist eher heuristisch gedacht als
170 mystisch. Voller Spott wendet sich PLOTIN gegen das magische
171 Denken und den Mystizismus, der in den meisten Sekten seiner
172 Zeit herrscht. Und er weiß, daß der Grundgehalt seiner Lehre
173 nur von wenigen verstanden wird. Übrigens muß PLOTIN als
174 Berater des Kaisers Gallienus bereits eine Art brain-
175 trust aus einer Reihe bedeutender Gelehrter zusammengestellt
176 haben. Sein Wunsch, ihm für die Errichtung einer unabhängigen
177 Gelehrtenrepublik eine Stadt zu schenken, wurde allerdings nicht
178 erfüllt. Mit der Anerkennung des Christentums als
179 Staatsreligion durch KONSTANTIN auf dem Konzil von
180 Nicäa und der späteren Taufe des Kaisers durch Papst
181 SYLVESTER 1.erhält auch die Seele, soweit
182 Psychisches philosophischen Spekulationen unterzogen wird, eine
183 andere Bedeutung als bisher. Der Glaube an die Unsterblichkeit
184 der Seele ist die stärkste Grundlage der christlichen
185 Weltanschauung. Und so ist die Seele zu einem politischen Faktor
186 ersten Ranges geworden. Der bedeutendste christliche
187 Seelenforscher, dessen Lehren fast ein Jahrtausend hindurch
188 doktrinären Charakter erhalten sollen, ist der Afrikaner
189 AURELIUS AUGUSTINUS. Als Lehrer der Rhetorik
190 erst in Karthago, dann in Rom und Mailand, kennt er die Wirkung
191 ideologisch untermauerter Vorstellungen auf die Massen. Im
192 Vordergrund seiner Beobachtung psychischer Vorgänge steht die
193 Evidenz, die Erkenntnis durch das seelische Erlebnis. Auch
194 für AUGUSTINUS ist die meditative Selbstversenkung, wie
195 aus seinen " Confessiones " und anderen Schriften hervorgeht,
196 ein Weg zur Bewußtseinserweiterung. Nur ist diese zweckgebunden.
197 Das Evidenzerlebnis bei AUGUSTINUS darf nicht mit der
198 Gnosis von PLOTIN, dessen Schriften er übrigens
199 gekannt haben muß, gleichgesetzt werden. Die Gnostiker strebten
200 nach Naturerkenntnis, wobei sie auch alle religiösen
201 Glaubensvorstellungen objektiv auf Wahrheitsgehalte untersuchten.
202 Für AUGUSTINUS dient die Evidenz der
203 Bestätigung der christlichen Glaubenslehre, zu der er sich in
204 einem an PAULUS erinnernden spontanen Akt bekehrt hat. Der
205 paulinische Glaubensgrundsatz, daß der Mensch primär ein
206 sündhaftes Wesen sei, der seit dem Sündenfall der ersten
207 Menschen mit dem Makel der Erbsünde behaftet zur Welt komme und
208 erst durch das Bekenntnis zur christlichen Lehre (in der Taufe
209 vollzogen) die eigenständige seelische Fähigkeit erlangt, sich
210 für das Gute oder Böse zu entscheiden, bildet für
211 AUGUSTINUS das Leitmotiv. Diese Glaubensüberzeugung
212 ist für ihn die Voraussetzung, sich mit der Seele zu
213 beschäftigen, das Gewissen zu erforschen und durch die
214 Kultivierung innerer Erlebnisse ein unmittelbares Erfahrungswissen
215 über das Wirken und Wesen der Seele zu erlangen. So paßt
216 AUGUSTINUS die Lehre des ARISTOTELES von der
217 Seele, mit der er sich sehr eingehend befaßt, der christlichen
218 Glaubenslehre an und formt dessen naturwissenschaftliche Begriffe
219 in moral-theologische Begriffe um. Gedächtnis, Denken und
220 Wollen setzt er in Analogie zur Trinität Gottes. Von
221 PLATON übernimmt er den Begriff der ewigen Ideen, die bei
222 ihm zu unveränderlichen göttlichen Wahrheiten werden. Auf dem
223 Wege der Introspektion kann der Mensch sie durch die Gnade
224 göttlicher Erleuchtung erkennen. Die Sinnesorgane und das
225 Gehirn sowie die Motorik der körperlichen Organe werden von der
226 Seele gelenkt. Sie sind die Medien für die Seele, sich in der
227 irdischen Welt zu orientieren und an ihr teilzuhaben. Die
228 körperlichen Bedürfnisse, Triebe, Begierden und
229 gewohnheitsmäßigen Reaktionen stellen ein gewisses Problem dar.
230 Denn sie behindern die Seele beständig in ihrer freien Entfaltung.
231 Doch andererseits verfüge der Mensch über Gedächtnis,
232 Verstand und Phantasie als seelische Eigenschaften, so daß er
233 die infolge der Erbsünde dem Bösen zuzurechnenden Triebe und
234 Instinkte überwinden könne. Als zwei weitere Philosophen dieser
235 Übergangszeit von der Antike zum Mittelalter seien noch
236 ANICIUS BOETHIUS und und PROKLOS erwähnt.
237 BOETHIUS, Ratgeber des Ostgotenkönigs
238 THEODERICH, gilt als Märtyrer, weil er seines
239 christlich-römischen Glaubens wegen hingerichtet wurde. Sein
240 fünfbändiges Werk " De consolatione philosophiae " enthält
241 jedoch kaum christliche Gedankengänge. Seine Bedeutung liegt
242 vielmehr in der Übersetzung und Kommentierung der Philosophie und
243 Logik des ARISTOTELES, die er so erneut zur Diskussion
244 stellt. PROKLOS übersetzte und kommentierte die Schriften
245 PLATONS und schrieb eine sechsbändige Einleitung in die
246 platonische Philosophie. Er lehrte in Athen und gilt als der
247 bedeutendste Vertreter des sogenannten Neuplatonismus. Auch er
248 betont den Wert des Ekstaseerlebnisses, und zwar als den Weg zur
249 Erkenntnis des Absoluten, Einen, der seelischen Ureinheit im
250 Bereich der für PLATON unerforschlichen Ideenwelt. Aus
251 dieser Ureinheit, einer Urseele, gehen dann laut PROKLOS
252 in der Form von Triaden alle weiteren Erscheinungen hervor. Der
253 höchste Verstand, eine Art Allwissenheit, liegt bei der
254 Ureinheit. Auch beim Menschen scheint das Seelische aus seiner
255 rangmäßig vom Urwesen über die Götter weiter sich
256 fortpflanzenden Intelligenz hervorzugehen. Hier wird das
257 Seelische wiederum in eine Dreiform gegliedert: göttliche,
258 dämonische und menschliche Seele. Die Seele als Objekt
259 dogmatischer Glaubensstreitigkeiten. Während der folgenden
260 fünfhundert Jahre bis zum Beginn des zweiten nachchristlichen
261 Jahrtausends unterblieb offenbar jegliche weitere philosophische
262 Auseinandersetzung mit der Seele. Alles Wissenswerte war bei
263 AUGUSTINUS zu erfahren. Irgendwelche praktische
264 Bedeutung konnte eine wissenschaftliche Beschäftigung mit
265 psychischen Vorgängen nicht haben. Die Theorie der Seele war im
266 christlich-abendländischen Bereich durch die Glaubensdogmen
267 festgelegt. Es ist die Epoche, die in polemischer Abwertung
268 vielfach als finsteres Mittelalter bezeichnet wird. Psychologisch
269 gesehen könnte man von einer kollektiv-psychischen
270 Introversion sprechen. Dann, um die Jahrtausendwende,
271 ausgelöst durch die Begegnung mit den Arabern, die nach Europa
272 vordringen, beginnen die mittelalterlichen Theologen und
273 Klostergelehrten allmählich wieder, das Thema Seele zu
274 diskutieren.
Zum Anfang dieser Seite