Quelle Nummer 416
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.03 : HISTORISCHE
EDITH BIEWEND
DIE NACHT DES ELIAS TABOR V.DEN MAEHRISCHEN BRUEDERN
EUGEN SALZER VERLAG HEILBRONN 1970
S. 113-
001 Das Nonnenkloster Zur Himmelsrose war eine Gründung der
002 Zisterzienser aus gotischer Zeit. Im dreißigjährigen Krieg
003 weitgehend zerstört, wurde es später in barocken Formen wieder
004 aufgebaut und beherbergte bis zum Jahre 1781 die Frommen Frauen
005 aus dem Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen. Das
006 Toleranzpatent Josephs des Zweiten, das sich so segensreich für
007 die Mährischen Brüder wie für viele andere
008 Glaubensgemeinschaften auswirkte, wurde dem Orden Beatae Mariae
009 Virginis de Monte Carmelo zum Verhängnis, denn der aufgeklärte
010 Monarch hob alle geistlichen Stätten auf, die, wie es wörtlich
011 hieß, " zum Besten des Nächsten und der bürgerlichen
012 Gesellschaft nichts Sichtbares beitragen ". Über sechshundert
013 Klöster fielen diesem Befehl zum Opfer, darunter auch Rosa
014 coeli, da die Karmeliterinnen zu einem beschaulichen Leben
015 verpflichtet waren. Sie mußten ihren angestammten Platz verlassen
016 und fanden Aufnahme in einem Preßburger Konvent. Doch kehrten
017 fünf von ihnen nach Beendigung der napoleonischen Feldzüge
018 illegal zurück und fristeten in einem halbverfallenen Gebäude des
019 ehemaligen Klosterbezirks ein armseliges Dasein. Ich komme noch
020 darauf zu sprechen, was es mit dieser Rückkehr, die ich mir lange
021 nicht erklären konnte, für eine Bewandtnis hatte. Zunächst sei
022 festgestellt, daß das Kloster durch die josephinischen Maßnahmen
023 wie durch die Kriegswirren des Jahres 1805 erheblich gelitten hatte.
024 Nichts wurde mehr ausgebessert, die Mauern bröckelten ab, und
025 das Innere verödete. Französische Kavallerie hatte im
026 Refektorium die Pferde untergebracht; es war nacheinander
027 Marstall, Lazarett und später Fabrik geworden. Als solche
028 wurde der einstmals würdige Raum wiederum wetterfest gemacht,
029 jedoch auf barbarische Weise, die sich um Stilfragen nicht
030 kümmerte. Hier arbeitete unsere Spinnerei, in der zumeist
031 Frauen beschäftigt waren, und ich muß gestehen, daß sich die
032 Maschinen unter den lieblos verglasten Spitzbogenfenstern, aus
033 denen man den Dreipaß herausgebrochen hatte, höchst unziemlich
034 ausnahmen. Onkel Ludwig, der an Kunstfragen nicht interessiert
035 war, hatte keinen Anstoß daran genommen. Mir dagegen war es ein
036 Dorn im Auge, und in dieser Sache stand meine Frau mir zur
037 Seite und bestärkte mich in dem Vorsatz, dem Mißstand
038 abzuhelfen. Als ich eines Sommertages zusammen mit Sophie, die
039 mich bei diesen Gängen oft begleitete, wieder einmal in der
040 Spinnerei nach dem Rechten gesehen hatte, begegneten wir im
041 Klosterhof Schwester Scholastika, der ältesten unter den
042 Karmeliterinnen, und führten mit ihr ein längeres Gespräch.
043 Es ging zunächst um praktische Dinge, um die Beschaffung von
044 neuem Verbandszeug und Medikamenten. Die hier hausenden Nonnen
045 hatten einem rein kontemplativen Leben längst entsagt und hätten
046 sich damit auch nicht behaupten können. Sie versorgten ihr Haus
047 und den großen Gewürzgarten, den sie mit viel Fleiß und
048 Geschick angelegt hatten, aber sie wußten auch in der
049 Krankenpflege Bescheid und leisteten Hilfe, wenn eine unserer
050 Arbeiterinnen sich verletzt hatte oder sich aus anderen Gründen
051 nicht wohl fühlte. Auf diese Weise waren wir in engere
052 Verbindung zu den Klosterfrauen getreten, und so fragte ich an
053 diesem Tage einmal nach dem Sinn ihrer Rückkehr. Ich hatte
054 inzwischen erfahren, daß der Orden hier kein Heimatrecht mehr
055 besaß und daß die Schwestern auf diesem Boden lediglich geduldet
056 wurden. Die Greisin in der braunen Tracht kreuzte die Hände
057 über dem weißen Skapulier und blickte betreten zur Erde. Dann
058 erzählte sie mit leiser, zunächst noch stockender Stimme ihre
059 Geschichte, während wir über den Vorhof zum anschließenden
060 Garten hinübergingen. " Das Generalkapitel hat freilich keine
061 offizielle Erlaubnis erteilt, Herr Tabor, und nach geltendem
062 Recht sind wir hier exterritorial. Die Verhältnisse scheinen ein
063 bisserl konfus. daran ist der böse Erlaß schuld, der unsere
064 Schwestern von hier vertrieb. Aber seit unsere Ehrwürdige
065 Mutter Veronika ihre Vision gehabt hat damals zu Preßburg, ein
066 paar Jahre nach der Vertreibung, läßt die Kongregation es zu,
067 daß wir die Stellung halten, bis die Prophezeiung sich erfüllt. "
068 " Eine Vision, eine Prophezeiung? " fragte Sophie
069 stirnrunzelnd. " Wir verstehen nicht, wovon Sie sprechen,
070 Schwester. " Die kleine Frau warf einen scheuen Blick auf die
071 Fragerin, deren reformierte Einstellung ihr bekannt sein mochte.
072 Ein freundliches Kopfnicken von meiner Seite ermutigte sie dann
073 aber, uns Aufschluß zu geben. " Die heilige Teresa von Avila
074 ist unserer Priorin erschienen und hat ihr geweissagt, daß Rosa
075 coeli einmal wieder als Kloster anerkannt und mit einer neuen
076 Aufgabe betraut wird. Darum sind schon im sechzehner Jahr fünf
077 Karmeliterinnen hierher zurückgeschickt worden, und bei dieser
078 Zahl werden wir bleiben, getreu dem Gleichnis von den zehn
079 Jungfrauen, darin fünf so klug waren, ihre Lampen bereitzuhalten
080 für die Ankunft der Bräutigams. Die Öllämpchen, die Sie
081 jeden Abend hinter dem Fenster dort brennen sehen - sie sind ein
082 Zeichen unserer Wachsamkeit und unseres geduldigen Wartens. Die
083 heilige Kiche besteht schon so lange, daß es uns auf ein paar
084 Jahrzehnte nicht ankommen soll. Wir harren aus und achten darauf,
085 daß der Boden nicht völlig entweiht und profanisiert werde. "
086 Jetzt war die Reihe an mir, betreten den Kopf zu senken. Was
087 sie mit der Entweihung des heiligen Ortes meinte, lag auf der
088 Hand, da uns das surrende Geräusch der Spinnmaschinen aus dem
089 Refektorium bis an den Zaun verfolgte. Schwester Scholastika
090 verabschiedete sich von uns mit einer leichten Verneigung und ging
091 in ihren Garten, wo wir sie bald darauf in gebückter Haltung mit
092 dem Auszupfen des Unkrauts beschäftigt sahen. Wir verließen den
093 Klosterbereich durch eine Pforte und gelangten in unseren Park,
094 der hier steil anstieg, von Wildwuchs überwuchert bis zur
095 Schwelle, wo der flächige und kultivierte Teil begann, der sich
096 an der Rotunde vorbei auf verschlungenen Kieswegen zur Salla
097 Terrana und damit zum Erdgeschoß unseres Hauses hinzog. Sophie
098 hüllte sich in ihre Stola und stützte sich auf meinen Arm.
099 Sobald wir in den Schatten kamen, begann sie zu frieren, trotz
100 der Wärme, die sich unter den Bäumen angesammelt hatte. Ich
101 darf annehmen, daß du an derartige Visionen nicht glaubst?
102 " fragte sie spöttisch, doch auch mit einer kleinen Unsicherheit in
103 der Stimme. Unsere religiösen Auffassungen gingen oft
104 auseinander. Ich beschloß, ihre Frage zu überhören. Was mir
105 mit Visionen widerfahren war, hätte ich keinem Menschen
106 offenbaren können, schon gar nicht meiner Frau. Sie deutete mein
107 Schweigen als Zustimmung und fuhr fort: " Als sie von
108 Entweihung sprach, Elias, da hab ich ihr allerdings recht geben
109 müssen, wenn ich es auch in einem anderen Sinn verstehe. Es ist
110 ein Frevel, diesen historischen Platz mit Industrie zu
111 verschandeln. " " Na, na, ein Frevel gleich - " " Ein
112 Frevel, sage ich. " Ihr Gesicht überzog sich mit einer
113 schwachen Röte, wie immer, wenn sie sich erregte, und ich
114 forderte sie absichtlich heraus, weil ich ein Engagement statt
115 einer bloßen Laune bei ihr zu gern und leider sehr selten bemerkte.
116 Sie ging mir aber nicht auf den Leim. " Geh, jetzt neckst du
117 mich, Elias. Brauchst dich nicht zu verstellen, ich weiß doch,
118 daß dir die Klosterfabrik genauso zuwider ist wie mir. " "
119 Wollen wir es ändern, Sophie? " Sie hob meine Hand zu sich
120 empor und legte sie an ihre Wange. " Du willst wirklich? Schon
121 bald? Aber es wird teuer sein. " " Wir können es uns leisten
122 ", beruhigte ich sie und stand still, um ihre unverhoffte
123 Zärtlichkeit auszukosten. Nicht lange, denn schon straffte sie
124 sich und nahm die letzten Stufen ohne meine Hilfe, beflügelt von
125 der Aussicht auf neue Pläne, an denen ihr viel lag. Sogleich
126 setzte sie mir den Umbau auseinander, zeichnete mit einem Stecken
127 ein Modell auf dem Kies, erläuterte, wo und wie da renoviert
128 werden müsse und daß man keinen gewöhnlichen Steinmetz
129 heranziehen dürfe, da nur ein kunstverständiger die gotischen
130 Reste stilgerecht zu ergänzen vermöchte. Ich hörte ihr
131 verwundert zu und erfreute mich an ihrer Begeisterung. Was hätte
132 ich ihr zuliebe nicht getan um den Lohn einer noch so bescheidenen
133 Vertraulichkeit! Es gab Tage, an denen ich meine Ehe mit
134 Sophie für leidlich gut hielt, wäre nicht in mir der heimliche
135 Groll darüber gewesen, daß sie unser Kind verschmähte. Dies
136 war zweifellos ein krankhafter Zug an ihr; aber krankhaft oder
137 nicht, es sind nun einmal die weiblichen Eigenschaften, die einen
138 Mann an einer Frau entzücken, so anregend ihre geistigen Gaben
139 auch sein mögen. Daß ihr jede Mütterlichkeit fehlte, stieß
140 mich zuweilen ab, wie es übrigens auch andere Menschen in unserer
141 Umgebung befremdete. Sie mußte es spüren und versuchte es
142 dadurch wettzumachen, daß sie ihre Hausfrauenpflichten mit nahezu
143 penibler Sorgfalt erfüllte. Als Gastgeberin konnte sie bei aller
144 Förmlichkeit auch herzlich sein. Zog eine Geselligkeit sich
145 einmal über Gebühr in die Länge, so gab sie sich bis aufs
146 letzte aus, auch wenn ich sie bat, sich vorzeitig zurückzuziehen,
147 wofür doch jeder in unserem Kreise Verständnis gehabt hätte.
148 Sie aber blieb bis zum Schluß und fand auch bei mitternächtlicher
149 Verabschiedung noch für jeden ein liebenswürdiges Wort und ein
150 Lächeln, das nichts von der Überwindung verriet, die es sie
151 kostete. Anfangs rührte mich so viel guter Wille, dann kam ich
152 dahinter, daß der Preis in diesem Falle die Mühe nicht lohnte.
153 Was sie an Fernerstehende verschwendete, wurde nicht nur dem Kind,
154 es wurde auch mir entzogen. Nach jeder geselligen Zusammenkunft
155 in unserem Hause war sie leidend, unzugänglich und mürrisch, da
156 konnte ihr niemand etwas recht machen, mit ihrer hohen Stimme hielt
157 sie die Dienerschaft für lauter unnütze Beschäftigungen in Atem,
158 erteilte Befehle und widerrief sie im Handumdrehen, daß jeder
159 ihr, wo es möglich war, aus dem Wege ging. Ich richtete gegen
160 ihre Launen nichts aus, meine Fürsorge fand sie so lästig wie
161 meine behutsamen Ermahnungen. Ein Geständnis gehört hierher,
162 das mir schwerfällt, weil es micht dem Verdacht aussetzt, als
163 wollte ich mich für eine spätere Verfehlung entschuldigen, für
164 eine Verstickung, die des Zusammenhangs mit Sophies Verhalten
165 nicht ganz entbehrt. Denn strenggenommen lebte ich seit der Geburt
166 meines Kindes in einem unfreiwilligen Zölibat. Ich nahm es hin,
167 mehr ist darüber nicht zu sagen. Ein Mann, der auf der
168 sogenannten ehelichen Pflicht besteht und sie sich zu erzwingen
169 weiß, muß aus anderem Holz geschnitzt sein als ich. Dennoch
170 hätte ich neben Sophie nicht leben, ihren täglichen Anblick
171 nicht ertragen können, wäre nicht die beständige Hoffnung
172 gewesen, daß sie mir einmal wieder ihre Liebe schenkte. Auch an
173 dem Abend nach unserem Gespräch mit der Karmeliterin und der
174 darauffolgenden Liebkosung, auch an diesem Abend, ich sage es
175 voll Gram, verschloß sie mir die Tür. Ich saß noch lange am
176 Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer, dessen Fenster auf den
177 Klosterhof hinausgingen, einen Aufruhr im Blut, den ich mit
178 Lektüre nur mühsam dämpfen konnte. Vor mir lag das Buch mit
179 den gesammelten Briefen des Brüderbischofs Johann Amos Comenius
180 aus der Zeit seiner Emigration. Einer davon war an Samuel
181 Hartlieb gerichtet, den Freund Miltons in London, und ich zwang
182 mich, ihn wiederholt zu lesen, zu meinem Heil, da er meinen
183 schweifenden Gedanken schließlich eine klare Richtung gab. "
184 Alle ", hieß es darin, " alle, die über Frömmigkeit,
185 Sittlichkeit, Wissenschaft und Künste geschrieben haben,
186 gleichviel ob Christ oder Mohammedaner, Jude oder Heide oder
187 welcher Sekte sie immer angehört haben mögen - alle, sage ich,
188 sollen zugelassen und gehört werden. " War das die Resignation
189 eines alten Mannes, der sich, des religiösen Haders
190 überdrüssig, in philanthropischen Schwärmereien erging? Das
191 hätte zu der Entschiedenheit, mit der er bis ans Ende seinen
192 Glauben bekannte, nicht gepaßt. Was in diesen wenigen Zeilen
193 stand, war die Absage an jede Verhärtung, die den
194 andersdenkenden Mitmenschen ausschließt. Ich stand auf und sah
195 durch das offene Fenster zu dem baufälligen Haus hinüber, auf
196 dessen einem Gesims die fünf Lämpchen brannten, die ich oft dort
197 gesehen hatte, ohne mir etwas dabei zu denken. Ihr ruhiges
198 Leuchten tat meinem aufgewühlten Herzen wohl. Ich segnete die
199 Frommen Frauen vom Karmel und betete darum, daß einiges von
200 ihrer unerschütterlichen Zuversicht auch auf mich übergehen möge.
201 Im Gegensatz zu Sophie vermochte ich die Vision der letzten
202 Priorin nicht einfach abzutun als Spuk und Sinnestäuschung. Was
203 wissen wir von unseren Sinnen, wo ist die Grenze zwischen
204 Wirklichkeit und Traum? Vielleicht war ich berufen, die
205 Weissagung der Ehrwürdigen Mutter wahrzumachen, da Gott es doch
206 in meine Macht gegeben hatte. Zwar konnte ich die Kongregation
207 nicht veranlassen, der alten Stätte ihren sakralen Charakter
208 zurückzugeben. Die Voraussetzungen dazu aber konnte ich schaffen,
209 und ich nahm mir in dieser Stunde vor, es schon bald zu tun.
210 Die Verlegung der Spinnerei nach Brünn war auch vom
211 kaufmännischen Standpunkt aus ein Gewinn und wäre längst fällig
212 gewesen. Ich mußte Tutschka nicht überreden, er erklärte sich
213 sofort einverstanden und leitete mit seiner praktischen Begabung
214 alles Nötige in die Wege. Das war mir lieb, denn so brauchte
215 ich ihn in die geistlichen Hintergründe meiner Maßnahmen nicht
216 einzuweihen, für die er sohl kaum Verständnis gehabt hätte.
217 Ein glücklicher Zufall wollte es, daß die Eisenbahnlinie Wien
218 -Brünn unseren Ort berührte. Meine Eingabe an die
219 Direktion der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn um Errichtung
220 einer Station in Seelitz, die Graf Dietrichstein an höchster
221 Stelle befürwortete, hatte Erfolg und enthob uns der Mühe,
222 eine Fahrgelegenheit für unsere Arbeiterinnen zu beschaffen. Wir
223 mußten keine von ihnen entlassen, und für die Mehrzahl der
224 Frauen war, bedenkt man den harten Winter, die Fahrt in einem
225 geheizten Zug dem Fußmarsch durch Schnee und Eis vom Dorf zum
226 Kloster herauf bei weitem vorzuziehen. Nachdem die letzten
227 Zeugnisse einer profanen Arbeitswelt aus den Mauern von Rosa
228 coeli geschwunden waren, rückten die Bauleute an und begannen mit
229 der Wiederherstellung der ehemaligen Abtei. Der Verband für
230 Denkmalspflege in Brünn hatte mir freudig die Genehmigung dazu
231 erteilt.
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