Quelle Nummer 410
Rubrik 10 : SPRACHE Unterrubrik 10.01 : LEHRBUECHER
STIL-UEBUNGSBUCH
OTTO SCHOENBERGER
UEBUNGSBUCH DES LATEINISCHEN STILS
CARL WINTER UNIVERSITAETSVERLAG HEIDELBERG 1970, S.9
001 Alte Römerart. Mit vollem Recht kann man vom
002 alten Rom behaupten, es habe in seiner Blütezeit neben tausend
003 großen, im Kriege fast unüberwindlichen Helden besonders auch
004 die charakterfestesten Männer hervorgebracht. Daher brauchen wir
005 uns auch nicht sehr zu wundern, wenn spätere römische
006 Schriftsteller, die sich natürlich für die besseren
007 Verhältnisse früherer Zeiten lebhaft interessierten, Lobredner
008 der Vergangenheit waren und die männlichen Taten der Vorfahren
009 mit den höchsten Lobsprüchen verherrlichten, während sie die
010 schlimmen Eigenschaften ihrer Zeitgenossen aufs bitterste tadelten.
011 Eine Tugend jener älteren Römer ist es in erster Linie,
012 durch die sie die übrigen Nationen weit überragt haben. Denn wer
013 wüßte nicht, daß sie die glühendste Vaterlandsliebe besaßen,
014 die je ein Volk beseelte? In dem Bewußtsein freilich, sie
015 seien ohne jeden Zweifel die hervorragendsten Staatsbürger der
016 ganzen Welt, sahen sie in der Regel geradeso wie die Hellenen,
017 die nach Tacitus nur das Ihrige bewunderten, auf andere Stämme
018 mit stolzer Verachtung herab. Indes werden wir ihnen diesen
019 Fehler mit Rücksicht auf ihre großen Vorzüge unbedenklich
020 verzeihen, besonders wenn wir bedenken, daß ihr stolzes
021 Selbstvertrauen gerade der unglaublichen Größe ihrer Kriegstaten
022 entsprang. Ihr Streben war nicht, wie es sonst bei schwachen
023 Menschenkindern der Fall ist, auf Erwerb und Gewinn, nicht auf
024 Spiel und Scherz und sinnliches Vergnügen, sondern einzig und
025 allein auf Ruhm und Ehre gerichtet. Daher jene Ausdauer im
026 Ertragen von Mühen, daher jener unüberwindliche Mut. Fast nie
027 suchten sie, wenn sie Unglück hatten, Frieden mit dem Feinde zu
028 schießen, der sie etwa besiegt hatte, und wenn ihr erster Angriff
029 den Gegner nicht zu werfen vermocht hatte, so gingen sie auf ihn
030 unaufhörlich los in der festen Überzeugung, daß ihrer tapferen,
031 festen Haltung auf die Dauer niemand widerstehen könne. Hatten
032 sie dann einmal ein Volk unterworfen, so verstanden sie es auch
033 dauernd in der Unterwürfigkeit zu erhalten. Was ihr Privatleben
034 angeht, so herrschte in ihm große Sparsamkeit, Keuschheit und
035 Einfachheit. Sie hielten daher keinen für einen guten Bürger,
036 der nicht zugleich ein guter Hausvater war. Ihre Frömmigkeit
037 endlich kann man am besten daraus erkennen, daß sie die Götter
038 immer mit der gewissenhaftesten Treue ehrten und den Gottesdienst
039 mit den Staatsgeschäften aufs innigste verbanden. Der
040 Auszug der Plebs. Als das römische Volk wegen der vielen von
041 den Patriziern erlittenen Unbilden auf den heiligen Berg
042 ausgewandert war, geriet der Senat in solche Bestürzung, daß er
043 Gesandte abordnete, um das Volk zur Rückkehr in die Stadt zu
044 bewegen. Als diese vor die Volksversammlung getreten waren,
045 versicherten sie, die Patrizier trügen ihnen nach ihrer Rückkehr
046 das Vorgefallene nicht im geringsten nach, und forderten sie auf,
047 zu erklären, unter welchen Bedingungen sie den Streit beilegen
048 wollten, da der Senat alles, was billig sei, genehmigen werde.
049 So sprachen die Gesandten. Aus dem Volke aber erhob sich Iunius
050 Brutus, der gewohnt war, im römischen Staatsleben Unruhe zu
051 stiften, und suchte es zu warnen, den eitlen Versprechungen der
052 Gesandten zu trauen, die Waffen niederzulegen und sich mit dem
053 Patriziern auszusöhnen. Denn nichts, sagte er, von dem, was
054 sie versprächen, sei verläßlich, und es sei offenkundig, daß
055 sie nur solange dem Volke schmeichelten, als sie durch die Gefahr
056 gezwungen seien. Viele zollten ihm Beifall, da er wahrheitsgetreu
057 die Falschheit des Senats dargetan habe, und beinahe hätte der
058 Vorschlag gesiegt, man solle die Gesandten aus dem Lager jagen.
059 Da erhob sich Menenius Agrippa, der von den Gesandten beim Volk
060 am beliebtesten war, und erzählte die Fabel von den Gliedern des
061 menschlichen Leibes, die sich einst gegen den Magen verschworen
062 hatten. Und wirklich: die Wahrheit der Fabel und die
063 Rechtschaffenheit des Mannes machten einen solchen Eindruck auf
064 das Volk, daß die Mehrzahl bereit war, den Groll aufzugeben und
065 dem Streit ein Ende zu machen. Pyrrhus und Rom. Der
066 Entschluß des Pyrrhus, dem Hilferuf der Tarentiner Folge zu
067 leisten, bedeutete für Rom einen Kampf um die Herrschaft, den
068 es auf dem Boden der Heimat zu bestehen hatte. Die ersten
069 glücklichen Erfolge des Königs mochten die Begründung einer
070 Obergewalt über das Abendland nach Alexanders Vorbild im Orient
071 erwarten lassen. Kaum war er nämlich in Italien erschienen, als
072 er schon den Römern bei Heraklea eine vollständige Niederlage
073 beibrachte. Hätte nicht ein tapferer römischer Krieger, C.
074 Minucius, einen Elefanten verwundet und dadurch die verfolgenden
075 feindlichen Truppen in Verwirrung gebracht, wäre das römische
076 Heer wahrscheinlich vernichtet worden; so aber gelang es, den
077 Rest der römischen Truppen über den Siris zurückzuführen.
078 Aber auch so war die Bedrängnis Roms allem Anschein nach immer
079 noch groß. Bei dem vollständigen Umschwung, der nach der
080 Eröffnung des Krieges mit den Römern unerwartet rasch eintrat,
081 ist es interessant, die Lage beider Parteien nach dieser ersten
082 Schlacht genauer zu betrachten. Dabei wird sich herausstellen,
083 daß schon damals die Überlegenheit des Königs im Grunde nur
084 scheinbar war. Der Sieg in der ersten Schlacht gegen die Römer
085 war für Pyrrhus ein unschätzbarer Erfolg. Die Opfer, die er
086 gekostet hatte, kamen in politischer Beziehung kaum in Betracht.
087 Seine neue Taktik hatte sich auch auf diesem Schlachtfeld
088 glänzend bewährt, und wenn irgend etwas, so mußte der Sieg von
089 Heraklea dem matten Bund der Italiker Einigkeit und Energie
090 einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges
091 waren ansehnlich. Die Griechen und Sabeller, bekanntlich
092 hartnäckige Widersacher der römischen Oberherrschaft, traten zu
093 Pyrrhus über. Doch weitere Wirkungen hatte dieser Sieg auch
094 nicht. Wenn sich vor allem bei den Latinern wider Erhoffen keine
095 Neigung zeigte, sich der römischen Herrschaft, so schwer ihr
096 Druck sein mochte, mit Hilfe eines fremden Königs zu entledigen,
097 so wirkte das ungemein störend auf seine Berechnungen und mußte
098 ihm sehr unangenehm sein. Auch sonst erlebte er manche
099 Enttäuschungen. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere
100 Haltung der ritterliche König durch ehrenvollste Behandlung
101 anerkannt hatte, bot er nach griechischer Sitte den Eintritt in
102 sein Heer an; allein er sollte den Unterschied zwischen
103 Söldnern und Bürgern, die für Haus und Hof kämpfen, bald
104 merken. Nicht einer, Römer oder Latiner, nahm bei ihm Dienst.
105 Es gab also keinen Latiner, der nicht in dem König, der sich
106 doch als Befreier der Völker Italiens angekündigt hatte, den
107 Nationalfeind erblickt hätte. Dazu kam, daß er sich sogar auf
108 seine Bundesgenossen, die Tarentiner, nicht verlassen konnte.
109 Die unkriegerische Art dieses Volkes hatte er gleich bei seiner
110 Ankunft in Italien lennenlernen müssen. Sie hatten dem König,
111 noch ehe er in seiner Heimat an Bord ging, durch ihre Gesandten
112 den Oberbefehl über ihre gesamte Heeresmacht übertragen, die
113 nach ihrer Erklärung 350000 Mann zu Fuß und 20000 Reiter stark
114 sein sollte; aber zu diesen großen Worten bildete die
115 Wirklichkeit einen für Pyrrhus sehr unerfreulichen Kontrast:
116 das Heer, über das man ihm den Oberbefehl übertragen, war erst
117 noch zu schaffen. Jetzt befahl der König die Anwerbung eines
118 italischen Söldnerheeres mit tarentinischem Geld und hob die
119 kriegstauglichen Leute aus der Bürgerschaft Tarents aus. Die
120 Tarentiner aber, die an diesem Kriege zunächst Beteiligten,
121 hatten sich nach ihrer Ansicht den Sieg wie eine andere Ware für
122 ihr gutes Geld gekauft; nun sahen sie sich in ihrer Erwartung,
123 der König werde den Krieg führen, ohne sie selbst zum
124 Kriegsdienst aufzubieten, getäuscht, weshalb die größte
125 Unzufriedenheit bei ihnen entstehen mußte. Aber Pyrrhus war
126 durchaus nicht der Mann, der sich vor Gewaltmaßregeln gegen
127 pflichtvergessene Bundesgenossen gescheut hätte: er behandelte
128 die Stadt wie eine eroberte. Trotz dem glänzenden Sieg bei
129 Heraklea hatte sich also gar manches zugetragen, was nach der
130 eigenen Überzeugung des Königs nicht hätte eintreten dürfen,
131 wenn sein Unternehmen Erfolg haben sollte. Er bot daher in der
132 Absicht, den rechten Zeitpunkt zu benützen, Rom den Frieden an;
133 denn er war ein zu einsichtiger Stratege, um das Mißliche
134 seiner Lage zu verkennen. In Rom gab es manche Leute, die auf
135 keinen Sieg mehr hofften und so die Annahme der von Kineas
136 überbrachten Friedensanträge für eine gebieterische Forderung
137 der Lage erklärten. Ja es hätte wenig gefehlt, und auch der
138 Senat hätte sich nicht gescheut, einen Frieden zu schließen,
139 von dem jeder echte Römer sich sagen mußte, er sei mit der Ehre
140 des römischen Namens nicht vereinbar. Aber der greise, blinde
141 Consular Appius Claudius, der sich längst von der Politik
142 zurückgezogen hatte, ließ sich in diesem entscheidenden
143 Augenblick in den Senat tragen und brachte mit feurigen Worten den
144 Entmutigten oder Schwankenden die Pflicht eines Römers zum
145 Bewußtsein. Da zeigte sich die stählende und begeisternde Kraft,
146 welche die unerschütterliche Festigkeit eines einzigen Mannes in
147 bedenklicher Lage haben kann. Dem Appius war es zu verdanken,
148 daß der Senat dem König das stolze Wort entbot, das jetzt
149 zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz wurde, Rom
150 unterhandle nicht, solange fremde Truppen auf italischem Boden
151 ständen. Und um dieses Wort zu verwirklichen, wies man die
152 Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war
153 verfehlt, und der gewandte Diplomat hatte, statt mit seiner
154 Redekunst Effekt zu machen, sich selbst imponieren lassen durch
155 diesen männlichen Ernst nach so schwerer Niederlage: er
156 erklärte nach seiner Rückkehr von dem Herrscher, daß ihm in
157 dieser Stadt jeder Bürger erschienen sei wie ein König; der
158 Höfling hatte eben ein freies Volk zu Gesicht bekommen. Die
159 Haltung der Römer blieb während des ganzen langen Krieges
160 dieselbe wie in jenem ersten Jahre, und so entsprach dem
161 Mißerfolg jener Friedensanträge des Königs auch der für ihn
162 unglückliche Ausgang des ganzen Krieges. Man hat Pyrrhus mit
163 Alexander von Makedonien verglichen; und in der Tat, die
164 Gründung eines westhellenischen Reiches war ein so großer,
165 kühner Gedanke wie der, welcher den makedonischen König über
166 den Hellespont führte. Aber nicht nur der verschiedene Ausgang
167 unterscheidet den westlichen Heereszug vom östlichen. Was immer
168 man ins Auge fassen mag: die eigene Macht, die Bundesgenossen,
169 die Kräfte des Gegners - überall erscheint der Plan des
170 Makedoniers als eine ausführbare, der des Epiroten als eine
171 unmögliche Unternehmung. Beide Männer waren große, kühne
172 Naturen, aber ungewöhnlich kühne Geister zeigen oft besonders
173 nach einer Richtung eine Schwäche. Mit der Verwegenheit geht
174 nämlich in der Regel der Mangel an Erkenntnis des Möglichen und
175 Unmöglichen Hand in Hand. Ennius. Quintus Ennius,
176 im sechsten Jahrhundert der Stadt zu Rudiae, einer griechischen
177 Stadt Calabriens, geboren, wurde, wie jeder weiß, nachher als
178 junger Mann von einem der größten Männer seiner Zeit, dem
179 Cato Censorius, mit nach Rom genommen. Er fand dort nicht nur
180 Aufnahme in der Bürgerschaft, sondern auch in dem vertrauten
181 Freundeskreis der großen Männer und ward so der Vater der
182 römischen Poesie. Daß ihm dies gelang und daß er das
183 Mittelmäßige der früheren Leistungen auf diesem Gebiete weit
184 übertraf, verdankte er ebensosehr der damaligen günstigen
185 Zeitlage als seiner glänzenden, außerordentlichen Begabung und
186 seinen vielseitigen gelehrten Kenntnissen. Die größten Männer
187 nämlich, die damals durch kriegerische Verdienste und Tapferkeit
188 über alle anderen hinausragten, waren zugleich schon so milde
189 geworden und durch gesellige Bildung verfeinert, daß sie sich zu
190 den schönen Künsten und Wissenschaften und zu den bisher
191 vernachlässigten gelehrten Studien hingezogen fühlten und für
192 deren liebevolle Pflege ihren Mitbürgern, soweit diese Sinn für
193 Höheres besaßen, Anregung und Beispiel gaben. Dieser edlen
194 Richtung schloß sich Ennius gerne an: indem er sein ganzes
195 Talent hauptsächlich darauf verwandte, die Taten dieser Männer
196 zu besingen, verlieh er in seinen Werken nicht nur ihrem Namen die
197 Unsterblichkeit, sondern verherrlichte auch den Ruhm des ganzen
198 römischen Volkes. Auf diese Weise verfaßte er sein berühmtes
199 Werk, die Annalen, das die römische Geschichte im Zusammenhang
200 von den Uranfängen der Stadt bis zu den Tagen eines Maximus,
201 Marcellus und Scipio, d.h. bis zu der Zeit des zweiten
202 punischen Krieges, enthielt. Um aber diesem Werk einen
203 leichteren Zugang zum Ohr und dem Herzen der Römer zu
204 verschaffen, verschmähte er den rohen Saturnischen Rhythmus, den
205 vorher Naevius verwendet hatte, und verpflanzte den epischen Vers,
206 den er selbst den langen nannte, von Griechenland auf Latiums
207 Boden, weshalb ihn seine Landsleute mit Recht und nach Verdienst
208 für den zweiten Homer hielten und auch so nannten. Mit diesem
209 Gedicht, das zum ersten Mal einer gewissen Begeisterung
210 entströmt war, eine etwas künstlerische Feile zeigte und zugleich
211 echt römisch und national heißen konnte, läßt sich keines aus
212 den anderen Gattungen, deren Ennius viele versuchte, vergleichen:
213 so sehr stimmen über seine Vorzüge nicht nur die Zeitgenossen,
214 die freilich noch vom Geschmack der gebildeteren Zeiten ziemlich
215 weit entfernt waren, sondern auch die stimmberechtigsten
216 Kunstrichter aller Epochen überein. Einer zum Beispiel,
217 Quintilian, sagt: " Den Ennius müssen wir verehren wie Haine,
218 die durch die Länge der Zeit heilig geworden sind, in denen die
219 riesigen, alten Stämme nicht so sehr ein schönes Aussehen als
220 Ehrwürdigkeit besitzen. " Ennius war sich aber auch des Wertes
221 der Poesie an sich wie auch seiner eigenen Anlagen und hohen Gaben
222 vollkommen bewußt und begrüßte, um vieles andere zu übergehen,
223 nicht nur sich selbst mit den Worten: Sei du gegrüßt, o
224 Dichter Ennius, der du den Menschen Feuerverse spendest tief aus
225 tiefstem Herz " - gewiß den erhabensten, die es in
226 Rhythmus und Gedanken geben kann - sondern nannte auch den ganzen
227 Stand der Dichter nach Ciceros Zuegnis heilig.
Zum Anfang dieser Seite