Quelle Nummer 387
Rubrik 12 : BILDENDE Unterrubrik 12.01 : PRESSE
KONKRET
NR. 8, 9.4.1970
S.22, 44 (FILM, LITERATUR)
001 PETER HAMM schreibt hier, warum er die Filme
002 " Easy Rider " und " Alices Restaurant " weder modern, schön,
003 noch revolutionär findet Sensibilität statt Klassenkampf
004 oder: Wem nützt EASY RIDER?. " Der amerikanische
005 Film entdeckt die Zivilisationsflüchtlinge ", so lautete
006 kürzlich die Überschrift einer Filmkritik in der ZEIT; in
007 Wahrheit müßte sie freilich lauten: Der amerikanische Film
008 braucht die Zivilisationsflüchtlinge - und zwar sowohl als
009 Spielmaterial wie als Konsumenten. Denn, verblüfft stellen es
010 die Filmkonzerne fest, die Superproduktionen mit den Superstars
011 ziehen nicht mehr, spielen oft kaum ihre Herstellungskosten ein;
012 offensichtlich bleiben die Älteren, die bislang den typischen
013 Hollywood-Schinken zum Massenerfolg verhalfen, inzwischen
014 lieber zu Hause vor dem Fernsehschirm. Die neuen Rekorderfolge
015 sind relativ rasch und billig hergestellte Filme, deren
016 Hauptdarsteller bestenfalls für jugendliche Minderheiten, so
017 etwas wie Stars darstellen. Es sind Filme, in denen
018 amerikanische Kultur und Zivilisation sich nicht mehr
019 selbstgefällig und penetrant unschuldig präsentieren, sondern eher
020 skeptisch und von außen gesehen bzw. ignoriert werden. Es sind
021 Filme, die scheinbar mit jener langmähnigen, zivilsationsmüden
022 Jugend paktieren, die sonst von der Gesellschaft und deren
023 Institutionen immer nur verteufelt wird. Scheinbar, denn
024 tatsächlich haben es gerade diese Filme mit dem jugendlichen
025 AußenseiterImage und Subkultur-Image auf nicht
026 anderes als Integration und Versöhnung abgesehen. Dies läßt
027 sich leicht belegen, wenn man einmal die beiden erfolgreichsten von
028 ihnen, " Easy Rider " und " Alices Restaurant ", analytisch
029 betrachtet - und ihre Rezeption dazu. Mit 50000 Dollars
030 für Heroin auf den Trip. Zunächst wird man zugeben müssen,
031 daß gerade diese beiden Filme, die inzwischen auch in Europa die
032 Kinos wochenlang mit Jugendlichen füllen, außergewöhnlich gut
033 gemacht sind und auch im aufgeklärten Zuschauer durchaus den
034 Eindruck zu erwecken vermögen, jene Freiheiten, die sie so breit
035 und berauschend ausmalen, seien nun einmal endlich nicht die
036 üblichen Kinolügen, sondern seien von vielen, besonders
037 sympathisch wirkenden jungen Leuten bereits ausprobiert und
038 realisiert - und also erstrebenswert. Kurz: ansteckend
039 wirken diese Filme, und dies schon durch die Beat-Musik, in
040 die sie liebevoll gewickelt sind und die sie auch dann noch
041 vorantreibt, wenn die Handlung stockt oder komische Sprünge macht.
042 Was heißt überhaupt Handlung: Mit Recht verzichten diese
043 Filme aufjenen dramaturgisch fein ausgedachten und auf einen
044 Höhepunkt zusteuernden Ablauf, den es realisierter ohnehin nie
045 außerhalb des Kinos oder Theaters gibt; doch ganz so ziellos,
046 wie sie sich geben, sind sie dann doch wieder nicht. Auch wenn in
047 " Easy Rider " Dennis Hopper und Peter Fonda auf ihren
048 chromglitzernden Motorrädern scheinbar absichtslos von Los
049 Angeles nach New Orleans aufbrechen, auch wenn Arlo Guthrie
050 zwischen Alices Restaurant, das irgendwo in Massachusetts liegt,
051 und New York mit seinem roten VW-Bus scheinbar grundlos hin
052 kurvt und herkurvt - sie alle befinden sich immer schon
053 auf dem Weg der Anpassung, weil sie ja lediglich Urlaub
054 von dieser von ihnen mit Recht verabscheuten Gesellschaft genommen
055 haben, weil ihre Alternative zu dieser Gesellschaft nur eine
056 psychodelische und keine politische, also keine Alternative
057 ist, sondern nur eine Flucht, eine vergebliche Fluchtbewegung.
058 Bezeichnenderweise ist weder in " Easy Rider " noch in
059 " Alices Restaurant " von den materiellen Voraussetzungen die Rede,
060 die auch für eine solche Fluchtbewegung noch nötig sind, zu der
061 ja immerhin Benzin und Nahrungsmittel gehören, wenn schon das
062 Dach überm Kopf offenbar drüben kein überwältigendes Problem
063 zu sein scheint. Im Falle von " Easy Rider " wirft ein
064 geglückter Heroin-Schmuggel gleich zu Beginn des Films 50000
065 Dollars (!) ab, mit denen kommt man ganz schön weit, klar;
066 nur, und diese Frage bleibt völlig offen, wie haben Hopper und
067 Fonda diese Menge Heroin einmal bezahlt - und was tun sie, wenn
068 die 50000 dann doch einmal verbraucht sind? Fonda und Hopper
069 ersparen sich solche Überlegungen, schon deshalb, weil sie ja -
070 und dies nun doch ganz öde dramaturgisch - zum Schluß des Films
071 von bösen Bürgern wie Tontauben von ihren Motorrädern
072 herabgeknallt werden, d.h. sie flüchten sich vor der
073 Einsicht, daß sie auf dem Weg der Anpassung sind, lieber in den
074 Märtyrertod - und begreifen nicht, daß auch dies eine Form der
075 Anpassung ist. Irrt Reinhard Baumgart mit Absicht?.
076 Arthur Penn, berühmt geworden durch " Bonny und Clyde ", der
077 jetzt " Alices Restaurant " gedreht hat, löst das materielle
078 Problem noch einfacher: Arlo Guthrie bekommt entweder von seinen
079 Eltern Geld, oder er und seine vielen Freunde leben von dem, was
080 Alices Restaurant, das in einer ehemaligen Kirche untergebracht
081 ist und offenbar floriert, abwirft. So sehr sich übrigens die
082 amerikanische Hippie-Szene in ihrer ebenso betörenden wie
083 unerträglichen Mischung aus Urchristentum, Wandervogel und
084 Peter Stuyvesant in beiden Filmen gleicht, so übereinstimmend
085 die Flucht aus der Gesellschaft in den Trip von beiden Filmen
086 erklärt wird, so unterschiedlich handeln beide das Thema der
087 Gewalt ab. Während in " Easy Rider " Gewalt permanent
088 dämonisiert wird und eben deshalb unwirklich oder zumindest harmlos
089 wirkt, wird sie in " Alices Restaurant " schlicht ignoriert:
090 Guthrie steht weder auf Kriegsfuß mit seinen Eltern noch wird er,
091 was naheläge, seiner langen Haare wegen beim Trampen von
092 Fernfahrern aus dem Wagen geschmissen, sogar Polizisten sind
093 ausgesprochen nett zu ihm, und der Musterung zum Militär folgt er
094 offenbar deshalb so bereitwillig, weil er schon ganz genau weiß,
095 daß er, der Clown, ohnehin nicht akzeptiert wird. Innerhalb von
096 Alices Restaurant-Kommune gibt es zwar einige Schwierigkeiten,
097 aber ernsthafte nur, weil einer partout stärkere Sachen als
098 Hasch rauchen möchte; der wird dann auch mit merkwürdig
099 moralischen Argumenten so penetrant eingedeckt, daß er
100 schließlich angewidert auf seinem Motorrad in den Tod rast (der
101 für Arthur Penn leider nicht mehr als eine hochstilisierte,
102 sentimentale Begräbnisszene hergibt). In beiden Filmen wird
103 jedenfalls nirgendwo die Einsicht artikuliert, daß die Inhaber
104 der gesellschaftlichen Gewalt die Flucht in Droge und Traum nur
105 allzu gern goutieren, weil sie am besten wissen, wie wichtig es ist,
106 daß alle diese Flüchtlinge niemals auf die Idee kommen, daß
107 gegen Gewalt nur Gewalt hilft. Nun hat Reinhard Baumgart
108 allerdings in einer Rezension in der SÜDDEUTSCHEN
109 ZEITUNG betont, man müsse " Easy Rider " von seinem
110 tödlichen Schluß her sehen, um zu begreifen, " wie vergeblich
111 alle Befreiung zu zweit oder dritt bleibt ". Dem ist
112 entgegenzuhalten, daß dieser Schluß eben so ungeheuer aufgesetzt
113 und wie eine Ausrede wirkt und daß der Weg bis in diesen Schluß
114 -Tod so verführerisch ausgemalt wird, daß dieser Tod
115 niemanden mehr zu einer Einsicht bringen kann, die er nicht bereits
116 mit in Kino brachte. Wie richtig solche Bedenken leider sind,
117 zeigt die publizistische Reaktion, die " Easy Rider " und
118 " Alices Restaurant " hierzulande auslösten. So rühmt etwa der
119 junge Wim Wenders in der sonst doch so kritischen " Filmkritik "
120 " Easy Rider " ausdrücklich als " politischen Film ". Und
121 warum wohl? Antwort: " Weil er schön ist: weil das Land,
122 durch das man die beiden ungetümen Motorräder fahren sieht,
123 schön ist; weil die Bilder, die der Film von diesem Land macht,
124 schön und ruhig sind; weil die Musik, die man in dem Film
125 hört, schön ist; weil die Bewegungen von Peter Fonda schön
126 sind; weil (...) " Nun, das geht lange so weiter, und der langen
127 Rede kurzer Sinn bzw. Unsinn: politisch ist, was schön ist!
128 Als wäre niemals von einem Walter Benjamin gerade die
129 Auflösung der Politik in Ästhetik als markantes Beispiel des
130 Faschismus nachgewiesen worden, preisen neben Wim Wenders noch
131 viele andere vermeintlich linke Kritiker " Easy Rider " (der ja
132 nicht von ungefähr von der FBW in Wiesbaden mit dem höchsten
133 Prädikat bedacht wurde) als " Glücksfall eines politischen
134 Films " (WELTWOCHE). Sie alle berauschen sich
135 vornehmlich an der Sensibilität des Films. Kein Zweifel:
136 das neue Zauberwort heißt seit einiger Zeit Sensibilität.
137 Eine neue Jugendbewegung. Jene neue Innerlichkeit,
138 die statt mit Fahrrad, Rilke und Heiderose inzwischen mit
139 Motorrad, Hasch, Porno und Posters daherkommt (wobei die
140 Gitarre beibehalten wurde, wenngleich jetzt elektrisch verstärkt),
141 jene " neueste Stimmung im Westen ", die Martin Walser
142 gerade in einem bemerkenswerten KURSBUCH-Aufsatz anhand
143 der amerikanischen Anthologie " Accid " auch in der neuesten
144 Literatur feststellte, sie vertraut allen Ernstes auf ihre
145 Sensibilität wie auf eine politische Waffe (vielleicht erinnert
146 man sich bei dieser Gelegenheit, daß etwa auch Reimut Reiche vom
147 SDS in dem Band " Die Linke antwortet Jürgen Habermas "
148 diese Sensibilität propagierte, wenngleich als " Neue
149 Sensibilität ", was die Sache kaum vernünftiger macht). Es
150 scheint so, als fungiere diese Sensibilität heute ähnlich wie in
151 den zwanziger und dreißiger Jahren der Geist, der damals
152 leider auch unentwegt mit einer Waffe verwechselt wurde (man denke
153 bloß an Kurt Hiller und seinen " Rat geistiger Arbeiter ").
154 In seinem Aufsatz " Der Autor als Produzent " hat Walter
155 Benjamin 1934 derartig leichtfertige Geistgläubigkeit angeprangert;
156 er hat dort nachgewiesen, daß einer, je genauer er um seinen
157 Posten im Produktionsprozeß wisse, desto weniger auf den
158 Gedanken komme, sich als " Geistiger " auszugeben, denn:
159 " Der Geist, der sich im Namen des Faschismus vernehmbar macht,
160 muß verschwinden. Der Geist der ihm im Vertrauen auf die
161 eigene Wunderkraft entgegentritt, wird verschwinden. Denn
162 der revolutionäre Kampf spielt sich nicht zwischen dem
163 Kapitalismus und dem Geist, sondern zwischen dem Kapitalismus und
164 dem Proletariat ab. " Setzt man in diesen Sätzen statt
165 Geist das Wort Sensibilität, treffen sie genau jene
166 neuen amerikanischen Filme, die suggerieren, der Kampf spiele
167 sich ab zwischen der Gewalt und der Sensibilität, zwischen den
168 Angepaßten und Unangepaßten, zwischen Autoritären und
169 Antiautoritären. Es wimmelt von Sensiblen. In dieser
170 Situation kann die sensible, die sexuelle, die psychodelische,
171 kurz: die Pop-Revolution mit wahrer Begeisterung von denen
172 propagiert werden, die sich vor nichts mehr zu fürchten hätten als
173 vor einer Revolution jener, die sich nicht auf psychodelischem Weg
174 befreien können. Der Weg nach innen, wie ihn Filme wie " Easy
175 Rider " und " Alices Restaurant " weisen, sichert denen, die
176 draußen, in der Gesellschaft, alle Wege schon besetzt halten,
177 unangefochten die Herrschaft. Martin Walser hat in dem bereits
178 erwähnten Essay " über die neueste Stimmung im Westen " die
179 Flucht vor der Rationalität und vor der Anstrengung der Analyse
180 und des Kampfs, des Klassenkampfs, die Flucht in Pop-Pot
181 -Biedermeier so beschrieben: " Befreiung des Menschen von
182 der Gesellschaft, in der irrsinnig hoffnungslosen Hoffnung, daß
183 da in uns neuro-physiologische Kapazitäten schlummern, die uns
184 für alles gesellschaftliche Ärgernis entschädigen: Eine solche
185 Gesellschaft ist nicht schwer zu haben. In ihr stirbt mit jedem
186 Ausflug ins Innere eine demokratische Möglichkeit ab, und die
187 Möglichkeit zum Gegenteil - und das heißt Faschismus - nimmt
188 zu. Jeder lutscht dann an seinem Mythos und hält sich seine
189 Freizeit lang im Inneren auf. Die übrige Zeit steht er zur
190 Verfügung (...) Die Bewirtschaftung der amerikanischen Freizeit
191 zeigt erst Züge dieser Praxis. Noch stören manchmal Schwarze
192 und Studenten. " Bezeichnenderweise kommen Schwarze, jene also,
193 die in Amerika Befreiung sicherlich am nötigsten hätten, in
194 " Easy Rider " und " Alices Restaurant " nicht vor oder nur ganz
195 am Rande, gewissermaßen als Farbflecken, und auch Studenten
196 artukulieren sich da nirgends. In solchen Filmen plaudert sich
197 also, sieht man genau hin, nichts als die alte Illusion des
198 Bürgers aus, der glaubt frei zu sein, wenn er frei von
199 gesellschaftlichen Pflichten ist - und für den Freiheit nicht
200 etwa (nach Engels) Einsicht in die Notwendigkeit bedeutet,
201 sondern schlicht deren Unkenntnis. Insofern stellen solche Filme
202 gefährliche Integrations-Fallen dar, obwohl sie das genaue
203 Gegenteil vorgeben. Gillys Liebesabenteuer 4..
204 Gilly liebt einen Boxer. Wußten Sie schon, daß Boxer
205 manchmal eine zarte Kinderseele haben? Schwergewichtsmeister
206 Paddy z.B. hatte ein Seelchen wie ein Kind. Aber auch
207 sonst war in diesem Muskelprotz nicht alles Gold was glänzt.
208 Aber das konnte Gilly wirklich nicht wissen. Er war so stark,
209 So stark (...) Er hatte überall Muskelpakete - nur an einer
210 Stelle nicht Der Wind aus Richtung Kanada, der
211 nur noch einen Hauch seiner ursprünglichen Kraft hatte, blies die
212 letzten Blätter von den beiden Eichen im Hof und schüttete sie
213 vor der Ligusterhecke an der Südwestgrenze von Agnes Madigans
214 " Besitz " zu einem braunen Wall auf. Alles um sich herum
215 betrachtete Agnes als ihren " Besitz ", auch die Nachbarn und
216 selbst die Passanten auf der Straße vor dem Haus. Wenn sie mit
217 ihrem Mann Paddy allein war, nannte sie auch ihn ihren " Besitz ".
218 Und sie konnte es sagen, weil es stimmte. Sie sah
219 haargenau aus wie ein bestimmtes Foto im PLAYBOY Zwar
220 hatte Paddy das Geld in die Ehe mitgebracht, aber schon vor
221 Jahren war ihm klar geworden, daß sie ohne Agnes' Kassenführung
222 längst keinen Dollar mehr gehabt hätten. Alles was er war,
223 verdankte er Agnes. Sie hatte es ihm immer wieder gesagt, und er
224 wußte, daß sie recht hatte. Er hatte sich ihr mit Leib und
225 Seele ergeben und sich damit den Anspruch auf einen Platz in ihren
226 Mutterarmen erworben. An diesem milden Wintertag beschäftigte
227 Paddy sich damit, mit einem eisernen Rechen die Blätter
228 zusammenzuharken. Der Rechen hakte sich an einer Wurzel fest und
229 blieb stecken. Paddy sagte " Scheiße ". Er sah sich wieder
230 nach dem Haus um und zuckte die Achseln. Plötzlich hörte er aus
231 dem Garten jenseits des alten Lattenzauns ein Lachen. Es kam von
232 der Seite, wo die Blakes wohnten und die Earbrows. " Hallo,
233 mein Lieber ", rief die Stimme. " Ich finde es herrlich, daß
234 solche Kleinigkeiten Sie bereits so in Rage bringen können. "
235 Paddy schaute herum, um ausfindig zu machen, woher die Stimme kam.
236 Frauen verwirrten ihn leicht, und solche mit der rauchigen
237 Stimme einer Bardame erschreckten ihn sogar. Agnes hatte recht,
238 daß sie diese Frauen verachtete. Agnes hatte immer Recht.
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