Quelle Nummer 320
Rubrik 14 : VOLKSKUNDE Unterrubrik 14.00 : VOLKSKUNDE
HEILIGENVEREHRUNG
GOTTFRIED KORFF
HEILIGENVEREHRUNG IN DER GEGENWART
EMPIRISCHE UNTERSUCHUNGEN IN DER DIOEZES ROTTENBURG
UNTERSUCHUNGEN DES LUDWIG-UHLAND-INSTITUTS DER
UNIVERSITAET TUEBINGEN 29. BAND
TUEBINGER VEREINIGUNG FUER VOLKSKUNDE E.V.
TUEBINGEN SCHLOSS 1970, S. 107-
001 Die Alltagsheiligen - Antonius und Christophorus.
002 Für die Popularität von Antonius und Christophorus ist neben
003 der kirchlichen Kultförderung ihre Affinität zum Alltäglichen
004 verantwortlich zu machen. Ihr Kult verläuft gewissermaßen
005 zweigleisig, denn in beiden Fällen kann man zwischen einer
006 kirchlichen und populären Heiligenauffassung unterscheiden. Das
007 zeigt sich besonders deutlich an der Verehrung des hl. Antonius.
008 Die Frage nach seinem Patronat (Frage 21) hat ergeben, daß
009 er den meisten Befragten als Patron für verlorene Sachen bekannt
010 ist. Wenn man sich mit der Gebetsformel, die 18 Informanten
011 geläufig ist, " Antonius, du guter Mann, führ mich an mein
012 (...) ran " an ihn wendet, " dann ist klar, daß man die Sache
013 wiederfindet ". Bei größeren Verlusten wird im Erhörungsfalle
014 ein Geldbetrag gestiftet, " den bringt man in einen
015 Antoniusopferstock, wie man ihn überall findet ". Dieses
016 Geldopfer ist das Bindeglied zwischen privatem und kirchlichem
017 Kult; es ist seit etwa der Jahrhundertwende unter dem Namen
018 " Antoniusbrot " oder " Brot für die Armen " allerorts bekannt
019 und fungiert als institutionelles Vehikel für die populäre
020 Verehrungsform. Ursprünglich allerdings hatte diese Form des
021 Opferkults nichts mit dem Verlustpatronat zu tun, seine
022 Entstehung steht vielmehr in enger Beziehung zu der sozial-
023 karitativen Tendenz, die Ende des 19.Jahrhunderts in der
024 katholischen Kirche akzentuiert wurde. Dabei handelt es sich um
025 die religiöse Version der privaten und öffentlichen
026 Fürsorgeaktivität und Wohltätigkeitsgesinnung, mit der - vor
027 allem in Frankreich - Not und Elend der Industriearbeiterschaft
028 gemildert werden sollte. Die sozial-ethische Dimension dieser
029 Devotionsform ist der Grund für die rapide und weite Verbreitung,
030 die das " Antoniusbrot " auch gegen die kirchliche
031 Restriktionspraxis fand. Indem sich nämlich darin die katholische
032 Karitasidee auf einem allgemein faßbaren Vorstellungsniveau
033 konkretisiert, gilt die Antoniusverehrung in der kirchlichen
034 Deutung mehr als ein bloß subjektives Frömmigkeitsritual. Das
035 " Schlampenpatronat " - so eine gängige Bezeichnung " -
036 wird zwar kirchlicherseits geduldet und sogar unter der Hand
037 propagiert, aber die Antoniusopferstätten in Kirchen und
038 Wallfahrtsorten sind durchweg als Einrichtungen christlicher
039 Nächstenliebe deklariert. Zweifellos haben sich beide Formen der
040 Antoniusverehrung gegenseitig aufgeschaukelt. Unsere Befragung
041 zeigt, daß man in der Tat von einer " unerhörten Popularität
042 " des hl. Antonius sprechen kann. Aber trotzdem ist das
043 Wissen über ihn minimal, es geht bei keinem der Befragten über
044 die Kenntnis des Namens und der Fürbittetätigkeit hinaus. Auf
045 dieser schmalen Wissensbasis wird Antonius konsequenterweise nur
046 als Schutzpatron, als Alltagshelfer konzipiert. Das verwundert
047 insofern, als ein großer Teil der Befragten die Vorbildfunktion
048 als das Charakteristikum der Heiligen ansieht, deren Fürbitte
049 fähigkeit und Schutzfähigkeit hingegen bezweifelt,
050 vielfach sogar ablehnt. Dieser Widerspruch kommt, wie im
051 einzelnen noch nachzuweisen sein wird, deswegen zustande, weil
052 Begriffe wie " Vorbild " und " Fürbitte " im populären und
053 kirchlichen Denken einen unterschiedlichen Bedeutungsinhalt haben.
054 Das religiöse Bewußtsein der " einfachen Leute " läßt sich
055 nur schwer mit einem kirchlich-organisierten Begriffsapparat
056 greifen. So ist es fraglich, ob die Fürbittetätigkeit des hl.
057 Antonius überhaupt mit religiösen Kategorien gefaßt wird,
058 ob er nicht einfach als fiktiver Helfer angesehen wird, dem eine
059 bloß psychische Entlastungsfunktion zukommt. Eine Reihe von
060 Angaben weist in diese Richtung. Denn mindestens ein Drittel der
061 Befragten erläuterten ihre Antoniusvorstellungen in dem Sinne,
062 daß nicht die Person des Heiligen helfe, sondern allein das
063 Faktum, daß man an ihn denkt. Das beweisen unter anderem auch
064 die Formulierungen; es heißt nicht " Der hl. Antonius hilft
065 ", sondern " Das Gebet zum hl. Antonius hilft ". Dabei
066 ist natürlich anzumerken, daß auch das Gebet nicht im strikt
067 kirchlichen Sinn verstanden wird, sondern eher als eine Form der
068 Überlegung, des " rekreativen Atemholens ". " Das Beten
069 beruhigt mich und dann kann ich beser überlegen, wo ich meine
070 Sache verlegt habe. " Der Heilige ist dabei aus einem
071 transzendenten Kräftefeld gelöst, seine Hilfe wird nicht als "
072 Eingriff von oben ", sondern als ein einfacher psychischer
073 Mechanismus gedeutet. Knapp formulierte ein junger Handwerker: "
074 Erst flucht man, dann betet man, denn denkt man nach.
075 " Diese religiöse Neutralität und ethisch-moralische
076 Anspruchslosigkeit des populären Antoniusverständnisses ist
077 möglicherweise auch der Grund dafür, daß selbst diejenigen,
078 deren Verhältnis zur Kirche distanziert und äußerst kritisch ist,
079 den Heiligen mit einigem Wohlwollen erwähnen. Zwei Befragte
080 entschuldigen sich gewissermaßen dafür, daß sie neben dem Namen
081 auch noch das Patronat kennen und verweisen zur Rechtfertigung auf
082 den Sonderstatus des Antoniuskultes. " Aber das hat ja mit
083 Heiligenverehrung nichts mehr zu tun. " " Das ist ja keine
084 Heiligenverehrung mehr im strengen Sinne, wie es der Pastor
085 vorschreibt; das sieht man schon daran, daß auch die
086 Evangelischen dafür sind. " In einem noch höheren Maße als
087 der Antoniuskult ist der Christophoruskult religiös entladen.
088 Grund dafür ist das Autopatronat, das zwei Dritteln der
089 Befragten bekannt ist. Es ist weitgehend aus seinem kirchlich-
090 religiösen Kontext gelöst, wie zwei divergierende
091 Argumentationsweisen zeigen. Ein Teil der Befragten bestreitet
092 ausdrücklich, daß das Fahrzeugpatronat etwas mit kirchlicher
093 Heiligenverehrung zu tun habe und weist auf eine quasi
094 eigendynamische Entwicklung des " Verkehrskultes " hin. "
095 Vielleicht hat die Kirche das für die Autofahrer erfunden, die
096 hat ja überall ihre Finger im Spiel, aber heute ist das ganz
097 allein Sache der Autofahrer. " Als Beweis für diese Ansicht
098 wird die Christophoruspropagierung des ADAC und der
099 Autoindustrie genannt. Ein Befragter zeigte voller Stolz einen
100 Schlüsselanhänger mit einer Christophorusdarstellung vor, den er
101 auf Antrag für unfallfreies Fahren vom Volkswagenwerk erhalten
102 hatte und erklärte nachdrücklich, daß dies nur als "
103 persönliche Anerkennung " zu verstehen sei, bestritt jedoch
104 jegliche Beziehung zur katholischen Heiligenverehrung. Eine
105 ähnliche Deutung erfahren vielfach auch die Christophorusplaketten,
106 die als bloße Verkehrssymbole fungieren und gewissermaßen als
107 dekoratives Autozubehör angesehen werden. Konsequenterweise
108 lehnen die Befragten mit dieser religiös neutralen
109 Christophorusauffassung die Schutzfunktion der Heiligenplakette
110 strikte ab: " Ich habe eine von der Tankstelle bekommen, ich
111 glaube aber nicht daran, ich kann mir nicht vorstellen, daß das
112 vor Unfall schützen soll. " " Wenn mir einer eine schöne
113 Plakette schenkt, würde ich sie reintun, ohne mir davon etwas zu
114 versprechen; vielleicht würde sie ganz gut aufs Armaturenbrett
115 passen. " Der Heilige wird bei dieser Argumentation aus seiner
116 religiösen Verankerung gelöst und dem Profanbereich Verkehr
117 zugeordnet. Diese Auffassung ist typisch für ein säkularisiertes
118 Weltbild - Kirche und Gesellschaft stehen sich unvereinbar
119 gegenüber. Diese Auffassung herrscht bei denjenigen vor, die
120 keine oder nur eine lockere Bindung an die Kirche haben und den
121 Heiligenkult ablehnen. Anders sieht die Argumentation der
122 Kirchentreuen aus. Sie operieren zwar auch mit dem Unterschied
123 Autopatronat - kirchliche Heiligenverehrung, reflektieren jedoch
124 die Dichotomie und verbinden beide Auffassungen in der
125 Interpretation der Christophorusfigur. Das Verkehrspatronat wird
126 als kirchliche Konzession an die moderne Umwelt gedeutet und als
127 einseitiges Heiligenverständnis desavouiert. Der Schlüssel zum
128 richtig verstandenen Christophoruskult sei - so wird argumentiert
129 - das Leben des Heiligen, der als " starkes männliches Wesen
130 den Heiland durch das Wasser getragen " und sich dabei " in
131 großer Gefahr befunden habe ". Zwölf Befragte stilisieren die
132 Christophoruslegende in diese Richtung und zeichnen von daher die
133 Entwicklung zum Verkehrspatronat auf, wobei freilich stets auf die
134 Dominanz der Christusträger-Symbolik hingewiesen wird.
135 Interessant an dieser Überlegung ist, daß sie ebenfalls die
136 Trennung von Religion und Gesellschaft hypostasiert. Es ist für
137 diese Befragten nur schlecht vorstellbar, daß sich überlieferte
138 religiöse Bewußtseinsformen mit Erscheinungen der modernen
139 Gesellschaft reibungslos verbinden können. Ein Befragter hatte
140 eine plausible Erklärung bereit: " Der Christophorus hat
141 eigentlich nichts mit den Autos zu tun, denn wie der gelebt hat,
142 da hat es ja noch keine Autos gegeben. " Christophorusplaketten
143 werden von diesen Befragten positiv beurteilt, aber unter dem
144 ausdrücklichen Vorbehalt, daß diese gesegnet oder geweiht sind. "
145 Die Plakette hat nur dann einen Sinn, wenn sie vom Pfarrer
146 gesegnet ist. " Drei der Befragten mit fester Kirchenbindung
147 führen ihre Auffassung von einem dualistischen Christophoruskult
148 am Beispiel der Plakette aus. Daran zeige sich nämlich, daß
149 die Beziehung des Heiligen zum Straßenverkehr überhaupt nicht
150 religiös verstanden werde. Als Beweis wird genannt einmal die "
151 vielen unchristlichen Leute, die so eine Plakette ohne rechte
152 Gesinnung in ihrem Auto haben " und zum anderen die SOS-
153 Schildchen, die - so wird angenommen - von der Kirche für "
154 überzeugte Katholiken, die es mit dem Glauben ernst nehmen
155 " bestimmt sind. Freilich gibt es auch noch andere Meinungen zu der
156 Christophorusplakette. Für zwei Befragte fungiert sie als
157 ständiges Erinnerungszeichen an einen glücklich überstandenen
158 Verkehrsunfall. Sechs Befragte sprechen ganz allgemein von "
159 Unfallschutz " oder " Talisman " und messen der Plakette somit
160 eine eher magische als religiös reflektierte Bedeutung bei. In
161 drei Fällen wird der Plakettenbesitz völlig neutral - ohne
162 Rückgriff auf einen komplexen Bedeutungszusammenhang - motiviert,
163 indem auf die " anderen, die auch eine haben " verwiesen wird.
164 Die meisten erfragten Einstellungen lassen sich jedoch ohne
165 weiteres den beiden Christophorusauffassungen zuordnen, die wir
166 vorhin knapp umrissen haben. Lothar Rudolph hat die These
167 aufgestellt, daß sich das Christophorussymbol in seinem Gehalt
168 verändert hat, indem es heute weitgehend auf das Verkehrspatronat
169 beschränkt ist. Rudolph führt das auf die von ihm empirisch
170 festgestellte Tatsache zurück, daß die Christophoruslegende
171 wenigen, und diesen nur wenig bekannt ist. Das heißt, die
172 Legendenkenntnis erstreckt sich lediglich auf einen oder zwei
173 besonders hervorstechende Züge, die aber auch nur einer
174 verhältnismäßig kleinen Anzahl von Befragten geläufig sind.
175 Diese Beobachtung stimmt mit unserem Befragungsergebnis überein.
176 Wenn zur Erklärung des Christophoruspatronats auf die Legende
177 zurückgegriffen wird, was freilich nur 14 Befragte tun, dann wird
178 in allen Fällen nur eine Reduktionsform mitgeteilt, in der die
179 vielsträngige kirchliche Legendenüberlieferung auf das Motiv der
180 Flußüberquerung zusammengeschrumpft ist. Popularisiertes
181 Kirchenwissen. Die Befragung, wiewohl sie nicht explizit auf
182 die populäre Legendenkenntnis zielte, sichert so eine Hypothese,
183 die sich bei einer Reihe von unsystematischen Erhebungen ergeben
184 hat. Bei Erkundungsgesprächen an Wallfahrtsorten oder
185 anläßlich lokaler Heiligenfeste zeigte sich nämlich stets, daß
186 über den verehrten Heiligen nur eine minimale Kenntnis vorhanden
187 ist - selbst Wallfahrer können oftmals über ihr Devotionsobjekt
188 keine oder nur ungenaue Auskunft geben. So vermochten sieben der
189 schon mehrfach erwähnten neun Palmbühlbesucherinnen aus
190 Deißlingen keine Angaben über ihr Pilgerziel, Judas Thaddäus,
191 zu machen. Der Heilige war ihnen zwar allen als Nothelfer
192 bekannt, aber nur zwei wußten über seine Person - " das ist
193 halt ein Apostel " - Bescheid. Bei Befragungen in Steinberg,
194 Kr. Ulm am Pankratius-Patrozinium, das alljährlich als
195 Orstfest gefeiert wird, ergab sich ein ähnliches Bild. Alle der
196 rund 20 wahllos herausgegriffenen Kirchenbesucher waren über die
197 Funktion der Reliquiensegnung informiert - Schutz vor
198 Kinderkrankheiten -, die Frage nach der Person und der Legende
199 des Heiligen wurde jedoch nur von zwei Befragten positiv
200 beantwortet. " Man verehrt ihn, aber verfolgt die Sach nicht so
201 ", diese Äußerung eines älteren Steinbergers bezeichnet
202 schlagwortartig die populäre Einstellung zum Heiligenkult, die
203 auf umfassendes Wissen nicht angewiesen ist. So erklärte denn
204 auch der größte Teil der befragten Steinberger, sie hätten vom
205 Leben des hl. Pankratius schon einmal gehört, hätten das aber
206 im Laufe der Zeit wieder vergessen, weil " einem so viel anderes
207 im Kopf herumgeht ". Sichere Auskunft könne man nur vom
208 Pfarrer erwarten, " der ist für solche Sachen zuständig ".
209 Der Hinweis auf die kirchliche Lehrautorität, auf Pfarrer und
210 Predigt, findet sich auch in den beiden Kurzformen der
211 Pankratiusvita, die das Leben des Heiligen in Form eines knappen
212 Berichtes wiedergeben, ohne bestimmten biographischen Details oder
213 legendären Motiven besondere Beachtung zu schenken. Ein etwa
214 40jähriger Metzger erzählte: " Der hl. Pankrazius, des
215 war a jonger Kerle, mit wieviel Johr, also des woiß i au nemme
216 gnau, on der h†t onder dem König oder Kaiser Sowieso, den
217 Name woiß i au nemme, dr Pfarrer NN. hot des gnau gewißt,
218 on do hot sich der ebe zom Chrischdetom bekehrt - in Rom war des,
219 ja - on no hot mr ihn naus - do vor die Stadttore, on no
220 habet se ihn gschteinigt on habet ehn no enthauptet. Meh woiß i au
221 neda. " Ein 58jähriger Landwirt erzählte: " pankrazius, ja
222 9 i woiß, daß er als jonger Märtyrer in Rom mit zwölf J†hr
223 war. Also die Dinge sen so, wie mr " s predigt hot.
224 Net w†hr, er wurde enthauptet, weil er fescht an dem Glaube,
225 also dem treu blieba isch. " Diese Steinberger Protokolle,
226 wie übrigens auch alle anderen aufgezeichneten Legenden, stehen in
227 einem auffallenden Widerspruch zu den einschlägigen Sammlungen der
228 Erzählforscher. Dort begegnen einem meistens geschlossene und
229 erstaunlich ausgefüllte Erzählformen, die sich vielfach durch ein
230 umfassendes Motivarsenal auszeichnen, aber nur selten so
231 skelettartig und skizzenhaft aufgebaut sind wie unsere
232 Heiligenberichte. Dieser Widerspruch erklärt sich wahrscheinlich
233 daher, daß die Beispiele volkskundlicher Legendensammlungen
234 entweder schriftlichen Quellen entnommen sind oder aber aus dem
235 Mund von talentierten Gewährspersonen stammen. Beide
236 Legendenversionen sind aber solcherart ungeeignet, das religiöse
237 Alltagswissen zu repräsentieren. Gewährspersonen werden
238 üblicherweise nach vorgegebenen Merkmalen ausgesucht - etwa nach
239 Erzählfreudigkeit oder Erinnerungsvermögen. Aber gerade in
240 ihrer oftmals überdurchschnittlichen Gedächtnisleistung liegt ein
241 wesentlicher Unterschied zu den normalen Überlieferungsmechanismen
242 im Bereich des populären Wissens. Unsere wenigen, völlig
243 unsystematisch erhobenen Legendenbeispiele repräsentieren
244 natürlich ebensowenig das religiöse Wissen des einfachen
245 Katholiken. Auch sie stammen von überdurchschnittlich gut
246 informierten und besonders auskunftsfreudigen Informanten. Dennoch
247 fällt der geringe informatorische Gehalt als durchgängiges
248 Merkmal in den protokollierten Heiligenerzählungen ins Auge.
249 Zum anderen findet sich in allen so etwas wie Quellenangaben oder
250 Hinweise darauf, woher der Erzähler seine Kenntnisse hat.
251 Deutlich verrät sich darin die " Dominanz des kirchlich-
252 oberschichtlichen Einflusses ", der über verschiedene
253 Vermittlungsformen - Legendenbuch, Predigt und
254 Funktionärsansprache - wirksam wird und sich bis in sprachliche
255 Figurationen nachweisen läßt. Kernwörter und
256 Schlüsselbegriffe behaupten sich in einer gewissermaßen
257 " oberschichtlichen " Version in den popularisierten Legenden. Mit
258 der Frage nach dem " Woher " des populären religiösen Wissens
259 kann wieder zur systematisierten Erhebungsform zurückgekehrt werden.
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