Quelle Nummer 297
Rubrik 06 : RECHT Unterrubrik 06.13 : INLAENDISCHES
REVISIONSZULASSUNG
FELIX WEYREUTHER
REVISIONSZULASSUNG UND NICHTZULASSUNGSBESCHWERDE IN
DER RECHTSPRECHUNG DER OBERSTEN BUNDESGERICHTE
SCHRIFTENREIHE DER NEUEN JURISTISCHEN WOCHENSCHRIFT
HEFT 14
VERLAG C.H. BECK, MUENCHEN 1971, S. 1-
001 Revision, Revisionszulassung, Revisionsgerichte.A.
002 Revision und Rechtseinheit. Die Revision
003 nimmt unter den Rechtsmitteln des gerichtlichen Verfahrens eine
004 Sonderstellung ein. An dieser Sonderstellung fällt in erster
005 Linie auf, daß die Revision lediglich eine Überprüfung der
006 Rechtsanwendung des Vordergerichts ermöglicht. Das ist jedoch
007 mehr eine Konsequenz als der Kern ihrer Eigenart. Wahrhaft im
008 Mittelpunkt steht der Zusammenhang zwischen Revision und
009 Rechtseinheit. Die Revision ist einerseits gewiß ein
010 echtes Rechtsmittel, d. h. eine der unterlegenen
011 Partei - ihren Interessen, ihrer Initiative - vom Recht zur
012 Verfügung gestelltes Mittel, die Sache im Revisionsrechtszug
013 erneut zur Prüfung zu stellen. Aber was darin an individuellem
014 Rechtsschutz zum Ausdruck kommt, wird nicht nur innerhalb des
015 Revisionsverfahrens, sondern - abgesehen freilich von der
016 Verfahrensrevision - mehr noch beim Zugang zur
017 Revisionsinstanz von einer anderen Funktion überlagert und
018 zurückgedrängt, nämlich von der Aufgabe der Revisionsgerichte
019 und der Revision, " der Wahrung der Rechtseinheit und der
020 Fortbildung des Rechts zu dienen ". Rechtseinheit und
021 Rechtsfortbildung haben als Postulate ihre verfassungsrechtliche
022 Grundlage in der Gewährleistung von Rechtssicherheit.
023 Darüber hinaus ist der Gleichheitssatz angesprochen, der
024 in seiner Ausrichtung auf die rechtsprechende Gewalt ein
025 Höchstmaß an gleichbleibender und übereinstimmender Handhabung
026 des Rechts fordert. Daraus ergibt sich der verfassungsrechtliche
027 Rahmen für den Zugang zur Revisionsinstanz. " Mit anderen
028 Worten: eine dritte Instanz ist nur dort am Platze, wo das
029 Interesse an der Gleichbehandlung innerhalb der Rechtsprechung es
030 gebietet ". Rechtssicherheit, Gleichheitssatz,
031 Rechtseinheit und Rechtsfortbildung bedingen die (oder doch viele
032 der) Eigenarten der Revision als Rechtsmittel. Als Verbindung
033 wirkt insbesondere die Einsicht, daß der Versuch einer
034 Gewährleistung von Rechtseinheit von vornherein aussichtlos wäre,
035 wenn er organisatorisch nicht wenigstens halbwegs zu einer
036 " Spitze " gelangte. Aus dieser Einsicht ergibt sich " ein
037 zentralisierender Zug " und von dort her der Zwang, die
038 Revisionsgerichte nach Möglichkeit von allen Belastungen
039 freizustellen, deren Bewältigung (wegen seiner unabweisbaren
040 personellen Konsequenzen) dem Streben nach Wahrung der
041 Rechtseinheit zuwiderliefe. Das macht unter anderem
042 Beschränkungen des Zuganges zur Revisionsinstanz unausweichlich,
043 und zu diesen Beschränkungen gehört auch das
044 Zulassungserfordernis. B. Die Schranken des Zuganges
045 zur Revisionsinstanz. Der Zweck der Revision nötigt zu
046 Beschränkungen des Zuganges zur Revisionsinstanz, d. h.
047 zu den obersten Bundesgerichten als Revisionsinstanz. Er legt
048 darüber hinaus nahe, die " Auslesevorrichtungen ("
049 Filter ") " an Voraussetzungen zu knüpfen, die der
050 Rechtseinheit und Rechtsfortbildung dienen und in ihrer Wirkung
051 eine quantitativ angemessene Filterung erreichen. Das wirft nach
052 zwei Richtungen Probleme auf: Erstens müssen die materiellen
053 Schranken, d. h. die eigentlichen (Sach-)
054 Voraussetzungen bestimmt werden, unter denen eine Revision
055 statthaft sein soll. Zweitens geht es um die Gestaltung des die
056 Revisionsinstanz eröffnenden Verfahrens. Zu den
057 materiellen Schranken ist folgendes festzuhalten: die
058 überhaupt freie - d. h. von keinen weiteren
059 Voraussetzungen als dem Vorliegen eines bestimmten Urteils
060 abhängige - Revision, wie sie 333 StPO vorsieht,
061 ist den meisten Prozeßordnungen unbekannt. Die
062 Grundsatzrevision ist statthaft, wenn die Sache
063 " grundsätzliche Bedeutung " hat (546 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
064 Sie tritt im geltenden Recht durchweg als zulassungsbedürftige
065 Revision auf. Die Divergenzrevision setzt voraus,
066 daß das angefochtene Urteil von einer anderen Entscheidung -
067 meist einer Entscheidung des übergeordneten Bundesgerichts -
068 abweicht. Überwiegend als Seitenstück zur Grundsatzrevision
069 vorgesehen, handelt es sich auch bei ihr regelmäßig um eine
070 zulassungsbedürftige Revision. Eine Ausnahme macht das ArbGG,
071 das neben der Zulassung wegen Divergenz (69 Abs. 3 Satz
072 2) in 72 Abs. 1 Satz 2 noch eine zulassungsfreie
073 Divergenzrevision kennt. Bei der - stets zulassungsfreien
074 - Wertrevision wird verlangt, daß der Wert des
075 Beschwerdegegenstandes bzw. Streitgegenstandes eine
076 bestimmte Summe übersteigt (546 Abs. 1 ZPO, 72 Abs.
077 1 Satz 4 ArbGG, 115 Abs. 1 FGO). Die
078 Verfahrensrevision ist wegen eines (behaupteten oder
079 vorhandenen) Verfahrensfehlers der Vorinstanz gegeben. Die
080 bereits erwähnte Besonderheit ihrer Zielsetzung erklärt, daß
081 die verschiedenen Prozeßordnungen hier noch weiter als sonst
082 auseinandergehen: Während die ZPO, das ArbGG und das
083 BEG keine Verfahrensrevision vorsehen, gewähren die 162
084 Abs. 1 Satz 2 SGG, 339 Abs. 1 LAG, 23 Abs. 1
085 KgfEG, 34 Abs. 2 Satz 2 WpflG und 75 Abs. 2 Satz 2
086 ErsDG eine alle (wesentlichen) Verfahrensmängel erfassende und
087 außerdem zulassungsfreie Verfahrensrevision. Dahinter bleibt
088 81 Abs. 3 DRiG in der Weise zurück, daß er die
089 zulassungsfreie Verfahrensrevision allein für bestimmte, vom
090 Gesetzgeber offenbar für besonders schwerwiegend gehaltene Mängel
091 eröffnet. Das entspricht den 133 VwGO und 116 FGO,
092 die jedoch insoweit durch eine - für die übrigen
093 Verfahrensmängel zur Verfügung stehende - zulassungsbedürftige
094 Revision ergänzt werden (132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO,
095 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). An Sonderformen
096 erwähnenswert ist die Freigabe der Revision allgemein, wenn
097 es " die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
098 einheitlichen Rechtsprechung (...) verlangt " (zulassungsbedürftige
099 Revision nach 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG; wegen des
100 (besonderen) Streitgegenstandes (z. B. Zolltarifsachen
101 nach 116 Abs.. 2 FGO); wegen einer in dem
102 Verfahren (in bestimmtem Sinne) entschiedenen Frage, so die
103 Kausalitätsrevision nach 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, im
104 Zivilprozeß " insoweit es sich um die Unzulässigkeit der
105 Berufung handelt " (547 ZPO) und im
106 Entschädigungsverfahren - hier wiederum als zulassungsbedürftige
107 Revision -, wenn " streitig ist, ob das Land, gegen das der
108 Anspruch auf Entschädigung gerichtet ist (...), zu Recht als
109 zuständig in Anspruch genommen ist " (219 Abs. 2 Nr. 4
110 BEG); wegen Beteiligung einer bestimmten Partei, (z.B.
111 das vormalige Bundesprivileg nach 53 Abs. 2
112 Buchst. b BVerwGG) und schließlich wegen Abweichung
113 zwischen der ersten und der zweiten Instanz (" Difformität ").
114 C. Der Zugang zur Revisionsinstanz - Verfahren.
115 Zu den formellen Schranken, also, anders ausgedrückt, zum
116 Verfahren des Zuganges zur Revisionsinstanz stellen sich
117 zwei Fragen: Soll die Revision bei Erfüllung bestimmter
118 Sachvoraussetzungen unmittelbar kraft Gesetzes statthaft oder soll
119 sie von einem Zulassungsausspruch abhängig sein? Und im Falle
120 der Entscheidung für das Zulassungserfordernis zweitens: Wer
121 soll - wann, in welcher Form usw. - über die Zulassung
122 entscheiden? Das Erfordernis einer förmlichen Zulassung
123 der Revision ist eine im geltenden Recht vertraute
124 Erscheinung. Kaum eine Verfahrensordnung - die sich dieser
125 Auslesemethode nicht bediente. Daraus wird man, zumal die
126 geschichtliche Entwicklung ebenfalls darauf hindeutet, folgern
127 dürfen, daß sich die Zwischenschaltung einer förmlichen
128 Zulassung zumindest alles in allem bewährt hat. Diese
129 Annahme wird noch bestärkt, wenn man berücksichtigt, daß das
130 geltende Recht vom Zulassungserfordernis keineswegs nur bei der
131 Revision Gebrauch macht. Auch die Revisionsbeschwerde
132 (77 ArbGG, 125 VwGO), die sonstige
133 Rechtsbeschwerde (.p92 ArbGG, 24 LwVG, 79f.
134 OWiG, 73 GWB, 41 p PatG), die weitere Beschwerde
135 (14 u. 156 KostO) und die Berufung (64
136 ArbGG, 131 VwGO, 143ff SGG) sind vielmehr häufig unter
137 ein Zulassungserfordernis gestellt. Die in 367 StPO
138 vorgesehene Entscheidung über " die Zulassung des Antrags auf
139 Wiederaufnahme des Verfahrens " gehört gleichfalls hierher.
140 Die Einführung einer förmlichen Zulassung liegt um so näher,
141 je unbestimmter eine Sachvoraussetzung ist. Daraus erklärt sich
142 beispielsweise, daß es sich bei der Wertrevision stets um eine
143 zulassungsfreie, bei der Grundsatzrevision dagegen stets um eine
144 zulassungsbedürftige Revision handelt. So gesehen hat das
145 Zulassungserfordernis - angemessen eingesetzt - das Bedürfnis
146 nach Rechtsmittelklarheit auf seiner Seite. Der
147 Zulassungsanspruch gibt den Zugang zur Revisionsinstanz frei.
148 Das bedeutet: Er gibt ihn frei unter Überwindung
149 (einzig) der Zulassungsschranke und der
150 Zulassungsvoraussetzungen. Alle weiteren Anforderungen an die
151 Statthaftigkeit der Revision bleiben unberührt. Die Zulassung
152 hilft also z. B. nicht über das fehlende
153 Rechtsschutzinteresse oder über die Revisionsunfähigkeit der
154 ergangenen Entscheidung hinweg. In Richtung auf das
155 Zulassungserfordernis jedoch ist der Zulassungsausspruch von
156 konstitutiver Wirkung: " Die Statthaftigkeit der Revision
157 folgt aus dem Zulassungsausspruch selbst, nicht aus den Gründen,
158 um derentwillen das (...) Gericht die Revision zugelassen hat. Der
159 Zulassungsausspruch vermittelt die Revisionsfähigkeit des Urteils
160 so, daß der weitere Rechtszug durch das Urteil klargestellt wird,
161 gegen das die Revision in Betracht kommt ". Daraus ergibt
162 sich vor allem: Ohne Zulassung keine statthafte Revision,
163 mag sich das Unterbleiben der Zulassung rechtfertigen lassen
164 oder nicht. Was dazu in der Rechtsprechung an Ausnahmen (für
165 den Fall der Willkür) erwogen oder (in besonders gearteten
166 Übergangsfällen) praktiziert worden ist, knüpft an so
167 außergewöhnliche Voraussetzungen an, daß es den Grundsatz nicht
168 einmal andeutungsweise in Frage stellt. Eine Konsequenz dieser
169 Zulassungsabhängigkeit ist ferner, daß die (zu Unrecht)
170 unterbliebene Zulassung nicht als Verfahrensfehler gewertet werden
171 darf, der die - etwa vorgesehene - zulassungsfreie
172 Verfahrensrevision eröffnet. Wenn es dafür sonst keine Gründe
173 gäbe, dann doch eben den, daß andernfalls das
174 Zulassungserfordernis und die von ihm ausgehende konstitutive
175 Wirkung der Zulassung unterlaufen würden. Die konstitutive
176 Wirkung des Zulassungsausspruchs bedingt nicht auch, daß von der
177 erfolgten Zulassung eine strikte, jede
178 Nachprüfung (des Revisionsgerichts) ausschließende Bindung
179 ausginge. Die Wirkung der verweigerten Zulassung kann nicht
180 derart umgekehrt werden, weil sich Zulassung und Nichtzulassung
181 nicht in der dabei vorausgesetzen Weise gleichstellen lassen.
182 Im Grunde paßt es deshalb auch nicht, bei der Nichtzulassung von
183 " Bindung " zu sprechen. Eine Bindung (des Revisionsgerichts)
184 an die Nichtzulassung besteht lediglich in dem übertragenen
185 Sinne, in dem man auch sagen kann, daß jeder Rechtsmittelrichter
186 an die unterbliebene Einlegung eines Rechtsmittels " gebunden ",
187 d. h. dadurch an einer Entscheidung gehindert ist.
188 Der Begründung eines Zulassungserfordernisses schließt sich,
189 wie gesagt, als zweite Frage an, wer zur (endgültigen)
190 Entscheidung über die Zulassung berufen sein soll. Diese Frage
191 beantwortet das geltende Recht darin einhellig, daß die
192 Entscheidungsbefugnis nirgends von Anfang an dem Revisionsgericht
193 übertragen ist. Unterschiede bestehen erst darin, ob gegen die
194 Zulassungsversagung des Instanzgerichts das Revisionsgericht
195 angerufen werden kann, ob es also eine
196 Nichtzulassungsbeschwerde gibt. Das ist bei bzw. nach den
197 132 Abs. 3 VwGO, 115 Abs. 3 FGO, 220 Abs. 1
198 BEG, 81 Abs. 2 DRiG und 145 Abs. 3 BRAO der Fall.
199 Auch die in 74 Abs. 1 GWB vorgesehene Beschwerde gegen
200 die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde verdient Erwähnung.
201 Darüber, ob sich die Nichtzulassungsbeschwerde bewährt oder
202 nicht bewährt hat, gehen die Meinungen weit auseinander. Daß
203 zahlreiche Regelungen sie nicht kennen, ist jedenfalls -
204 einleuchtend oder nicht - kein Zufall. Die Gesetzgebungsorgane
205 haben ihre Einführung in weitere Verfahren mehrfach erwogen.
206 Diese Anläufe sind bisher stets gescheitert. Wenn daher eine
207 Prozessordnung über die Nichtzulassungsbeschwerde schweigt,
208 handelt es sich um ein bewußtes Schweigen. Die
209 Revisionsgerichte haben, wo das zutrifft, zur Revisionszulassung
210 schlechthin keinen Zugang, sind also im Rahmen der
211 Revisionszulassung uneingeschränkt von der - positiven
212 - Zulassungsentscheidung der Vorinstanz abhängig.D.
213 Revisionsbeschränkung und Verfassung. Die
214 nur beschränkte Freigabe der Revision ist mit dem
215 Grundgesetz vereinbar. Auch unter dem Rechtsstaatprinzip
216 steht es, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgesprochen
217 hat, dem Gesetzgeber frei, einen Instanzenzug zuzubilligen oder
218 davon abzusehen. Das läßt allerdings noch offen, welche Art
219 von Sachvoraussetzungen der Gesetzgeber einschalten darf.
220 Aber das ist ebenfalls kaum problematisch: Die beschränkte
221 Freigabe bedeutet Differenzierung, und diese Diffenrenzierung
222 muß vor dem Gleichheitssatz bestehen können. Keine
223 Regelung des geltenden Rechts ist in Gefahr, an dieser
224 Anforderung zu scheitern. Was das Verfahren anlangt,
225 hindert das Grundgesetz den Gesetzgeber nicht - nicht durch die
226 Gewährleistung eines Rechtsweges (Art. 19 Abs. 4)
227 und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1
228 Satz 2) und nicht durch das Rechtsstaatsprinzip (Art.
229 28 Abs. 1) -, das Instanzgericht mit der abschließenden
230 Entscheidung über die Zulassung der Revision zu betrauen, also
231 auf eine Nichtzulassungsbeschwerde zu verzichten. Die Behauptung,
232 daß damit der Instanzrichter " zum Richter in eigener Sache "
233 werde, ist nicht nur unzutreffend, sondern auch in der
234 Zielrichtung verfehlt. Vom Richter " in eigener Sache " zu
235 sprechen, spielt auf ein sachwidriges Interesse an, die eigene
236 Entscheidung einer Revision möglichst vorzuenthalten, sie nach
237 Möglichkeit der Nachprüfung zu entziehen. Was eine solche
238 Erwartung rechtfertigen soll, bliebe erst noch darzulegen, - die
239 Erfahrung jedenfalls nicht. E. Die Rechtsprechung der
240 obersten Bundesgerichte. Die zahlreichen Vorschriften,
241 die im geltenden Recht die Revisionszulassung regeln, bieten
242 ein Bild, das sich - nach einem Worte Barings - " als
243 perfekte Unordnung, mindestens aber als völlige Unstimmigkeit
244 zwischen den einzelnen Verfahrensordnungen offenbart ". Dieses
245 Urteil mag man für zu hart halten. Gleichwohl: Der bei einer
246 Betrachtung nur der " Fallgruppen " vielleicht noch begründete
247 Anschein von Übereinstimmung in wesentlichen Teilen verflüchtigt
248 sich, sobald man genauer hinsieht. Denn was bleibt schon, um nur
249 ein Beispiel zu nennen, von " der " Grundsatz-Zulassung an
250 verläßlicher Gemeinsamkeit erhalten, wenn man feststellen muß,
251 daß sich der Gesetzgeber in dreizehn Vorschriften acht
252 verschiedener Formulierungen bedient? Von Rechtseinheit mithin
253 kann im Bereich des auf Wahrung von Rechtseinheit angelegten
254 Rechtsmittels der Revision keine Rede sein. Diesen Zustand
255 zum Anlaß eines Rufes nach Vereinheitlichung zu nehmen,
256 braucht nicht mit Widerstand zu rechnen. Aber allein damit ist
257 nicht viel gewonnen, weil hier wahrlich der Teufel im Detail
258 steckt. Was nämlich in der Absage an die Buntscheckigkeit des
259 geltenden Rechts als Einhelligkeit auftritt, mündet selbst in
260 eben diesen Zustand der Buntscheckigkeit ein, wenn es zu
261 entscheiden gilt, was sich - hier und dort - bewährt hat, was
262 bei unterschiedlichen Regelungen den Vorzug verdient, ob
263 überhaupt eine Vereinheitlichung nicht nur allgemein, sondern
264 gerade auch im konkreten Zusammenhang wünschenswert und erreichbar
265 ist. Die Forderung nach Vereinheitlichung des Prozeßrechts
266 hat in neuerer Zeit durch den sogen. " Speyerer Entwurf "
267 einer einheitlichen Verfahrensordnung wenigstens für die drei
268 Zweige der Verwaltungsgerichtsbarkeit Auftrieb bekommen. Auch
269 wer nicht so viel Optimismus aufbringt, die Erfolgsaussichten für
270 ebenso groß zu halten, wie es die Verdienstlichkeit des Entwurfs
271 unbestreitbar ist, wird den erneuten (und gesteigert
272 konkretisierten) Anstoß begrüßen. Die im geltenden Recht
273 enthaltenen Unterschiede machen fragwürdig, ob überhaupt
274 durchführbar ist, was die vorliegende Arbeit zu unternehmen
275 versucht. Gibt es ungeachtet der Unterschiede eine tragfähige
276 Grundlage, die " Revisionszulassung und
277 Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
278 Bundesgerichte " derart zusammenfassend in Angriff zu
279 nehmen? Das ist indessen wohl doch nur eine rhetorische Frage.
280 Denn die Unterschiede, wie zahlreich und vielfältig sie immer
281 sein mögen, heben die gewichtigen, einfach mit dem Gegenstand
282 gegebenen Übereinstimmungen nicht auf. Abweichungen im Wortlaut
283 müssen ja nicht Abweichungen in der Sache sein. Die
284 Rechtsprechung kann - und sollte - die divergierenden
285 Prozeßordnungen gewissermaßen aufeinander-zu-
286 interpretieren, und sie hat das in einem nicht unbeachtlichen
287 Ausmaß auch schon getan. Natürlich hat das seine Grenzen. Die
288 gelegentliche Feststellung des Bundessozialgerichts, daß " wegen
289 der gleichen Aufgabe der Revisionsgerichte (...) trotz der - dem
290 Wortlaut nach - unterschiedlichen gesetzlichen Regelung (...) ein
291 tatsächlicher Unterschied in den Möglichkeiten, die Revision
292 zuzulassen, nicht vorhanden " sei, überschreitet leider den
293 gemeinsamen Nenner beträchtlich. Was sich jedoch behaupten läßt,
294 liegt sozusagen in der Mitte: Im Raume der
295 " Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde " gibt es
296 sachbedingte Verbindungslinien, die im Interesse der
297 Rechtseinheit betont und gestärkt werden müssen. Als Richtlinie
298 darf man so etwas wie eine Rechtseinheit bis zum Beweis des
299 Gegenteils ansetzen, - eine Richtlinie, die Abweichungen in
300 den Ergebnissen nur gelten läßt, wenn ihnen ein Ringen um
301 Anpassung vorangegangen ist. Auf dem Boden dieser Richtlinie -
302 mit ihrer Hilfe, aber auch mit den Vorbehalten, die in ihr
303 angelegt sind - rechtfertigt sich jedes Bemühen, die
304 verschiedenen Prozeßordnungen je füreinander nutzbar zu machen.
305 Oder anders: Der Rückgriff von Prozeßordnung zu
306 Prozeßordnung ist solange statthaft, wie nicht außer Sicht
307 gerät, was ihm als Basis zur Verfügung steht.
308 Revisionszulassung und Revision. A. Zuordnung und
309 Zusammenhang. Manches von dem, was für die
310 Revisionszulassung wichtig ist, ergibt sich nicht erst aus dem
311 Recht der Revisionszulassung, sondern aus dem allgemeinen
312 Revisionsrecht. Das ist selbstverständlich. Denn da die
313 Zulassung die Revision gewissermaßen vorbereitet, sind auch ihre
314 Regeln den für diese geltenden Regeln zugeordnet und
315 untergeordnet.
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