Quelle Nummer 287
Rubrik 11 : LITERATUR Unterrubrik 11.01 : ZU
YEATS
PETER HUEHN
DAS VERHAELTNIS VON MANN UND FRAU IM WERK VON
WILLIAM BUTLER YEATS (DISS.)
BOUVIER VERLAG BONN 1971, S. 61-
001 Die Problematik der Vereinigung von Mann und Frau.
002 Vorbemerkungen. Die im ersten Kapitel betrachteten
003 Gedichte - sowohl die mit dem verhängnisvollen als auch die mit
004 dem vorbildlichen Aspekt der Frau - weisen in einigen Punkten
005 grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf, befragt man sie auf das
006 gegenseitige Verhältnis von Mann und Frau. In allen Beispielen
007 steht die Gestalt der Frau eindeutig im Vordergrund. Stets geht
008 es darum zu erkennen, was sie ist, welche Kräfte in ihr
009 wirken. Daneben erscheint die Rolle des Mannes lediglich
010 sekundär: Er erweist sich als der Wirkung dieser schönen Frau
011 in hohem Grade passiv ausgesetzt; er leidet unter ihrer
012 Unerreichbarkeit, aber er versucht im Grunde nicht, aus dieser
013 Passivität auszubrechen; sondern entweder akzeptiert er diese
014 ihre Art von vornherein oder er ringt sich allmählich dazu durch.
015 Zwar bedeutet das Erlebnis des vorbildhaften Aspektes der Frau
016 ein größeres Maß an Aktivität für den Mann, doch diese
017 Aktivität beschränkt sich ausschließlich auf das Kunstwerk, sie
018 richtet sich keineswegs auf die Frau selbst. Und in keinem der
019 beiden Fälle, d. h. bei keinem der beiden Aspekte ihrer
020 Weiblichkeit, taucht die Möglichkeit der Vereinigung mit ihr auf.
021 Folgende Gründe dafür waren in den Gedichten deutlich geworden:
022 die absolute Andersartigkeit der Frau, ihre Vollkommenheit,
023 die entweder zerstörerisch wirkte oder aber dadurch zum Vorbild
024 werden konnte, daß der Mann sich in gefühlsmäßiger Distanz zu
025 ihr hielt. Diese Unerreichbarkeit der Frau kann als die
026 Ausgangssituation von Yeat's Darstellung der Liebe verstanden
027 werden - in zweierlei Hinsicht: zum einen chronologisch
028 - es läßt sich eine Auflösung der oben skizzierten Position im
029 Laufe von Yeat's dichterischer Entwicklung beobachten (allerdings
030 nicht ganz streng in dem Sinne, daß sein Werk sich folgerichtig
031 ohne jeden Rückgriff aus dieser Position fortentwickele); zum
032 anderen strukturell - die von ihrer Struktur her einfache
033 Grundposition wird einem Prozeß unterworfen, der zu immer
034 komplizierteren Formen führt. Es handelt sich also bei meiner
035 Untersuchung um eine Kombination dieser beiden Betrachtungsweisen,
036 wobei ich vor allem von der strukturellen Veränderung ausgehe,
037 die sich in vielen Fällen mit der chronologischen Entwicklung
038 deckt. Das Problem der Vereinigung unter der Prämisse
039 der femme fatale-Natur der Frau. An Hand einer ersten
040 Reihe von Beispielen untersuche ich, wie aus dieser
041 Grundsituation heraus (der eines Mannes und einer vollkommenen und
042 deshalb unerreichbaren schönen Frau) der Versuch unternommen wird,
043 zu einer Vereinigung, einer Erfüllung der Liebe zu gelangen.
044 Zwei Punkte sind dabei zu beachten: Erstens, was an dieser
045 Ausgangslage verändert wird, damit die Vereinigung möglich
046 werden kann, und zweitens, worin Gelingen oder Scheitern dieses
047 Versuchs begründet sind. In einem von Yeat's frühesten
048 Gedichten, " The Wanderings of Oisin ", ist dieser Vorgang
049 bereits zum ersten Male dargestellt. Die Entwicklung des ganzen
050 Gedichtes nimmt ihren Ausgang vom Zusammentreffen des Helden,
051 Oisins, mit Niamh. In der anfänglichen Konstellation von
052 Oisin und Niamh sind die Hauptzüge von Mann und Frau vorhanden,
053 wie ich sie im letzten Kapitel herausgearbeitet habe. Ihre
054 grundsätzliche Andersartigkeit spiegelt sich, gleich zu Anfang,
055 in dem Ort ihrer Begegnung: Der Strand ist sowohl die Grenze
056 als auch die Verbindungslinie zwischen den entgegengesetzten
057 Bereichen des Meeres und des festen Landes, denen jeweils die
058 Göttertochter Niamh bzw. der Menschensohn Oisin zugeordnet
059 werden. Nur auf dieser Linie können sie sich also treffen. Die
060 Figur Niamhs trägt deutlich Charakteristika der femme fatale und
061 der vollkommenen Schönheit. Die erste Eigenschaft ist wiederum
062 ihre Nicht-Menschlichkeit. Sie stammt von göttlichen Eltern
063 (Aengus und Edain) ab, sie kommt aus dem zeitlosen Land
064 jenseits des Meeres, damit von weit jenseits der Menschenwelt.
065 Diese ihre Nicht-Menschlichkeit äußert sich visuell in ihrer
066 " perlenartigen Blässe ", in der Weißheit ihrer Erscheinung.
067 Zwar gehörten Blässe und Weißheit bis gegen Ende des vorigen
068 Jahrhunderts überhaupt zum Schönheitsideal besonders der adligen
069 Frauen, doch die starke Betonung dieser Züge an Niamh sowie der
070 Vergleich mit einer Perle machen sie zu einem Wesen, bei dem
071 juwelenhaft kostbare (ahumane) Vollkommenheit und Mangel an
072 Vitalität einander bedingen. Diese Weißheit kontrastiert auf
073 das Stärkste mit der Röte ihrer Lippen:. Die
074 Beschreibung ihrer erotischen Schönheit mit Bildern des
075 Untergangs, der Vernichtung und des Scheiterns ist ein deutliches
076 Indiz dafür, daß sie die Anlage zu einer femme fatale enthält.
077 Dies wird noch durch einen Vergleich mit den beiden Gedichten
078 " The Rose of the World " und " The Sorrow of Love " gestützt:
079 dort manifestiert sich ebenfalls gerade in der sinnlichen Wirkung
080 ihrer Lippen ihre femme fatale-Natur. Doch diese potentiell
081 verhängnisvolle Wirkung auf den Mann wird dadurch aufgehoben,
082 daß sie sich nach etwas außerhalb ihrer selbst sehnt, nach Oisin,
083 und daß sie deshalb nicht mehr vollkommen ist. Dies zeigt sich
084 darin, daß gleichsam unter ihrer Schönheit (die einem
085 unlebendigen Kunstwerk, einer nicht-irdischen kalten
086 Kostbarkeit gleicht) eine starke Vitalität, eine lebendige
087 Leidenschaftlichkeit in Erscheinung tritt, nämlich in der
088 metaphorisch umschriebenen Röte ihrer Lippen, in ihrer atmenden
089 warmen Brust unter dem weißen Gewand, das zudem noch durch eine
090 " perlen-blasse Muschel " zusammengehalten wird. Zwar taucht
091 später bei den Bewohnern der " Isle of Joy " ebenfalls die
092 Farbe " crimson " auf, doch hier bei Naimh werden ihr mit
093 " glimmering " und " glowed " zwei Verben zugeordnet, die als
094 Metaphern für ihre versteckte leidenschaftliche " Glut " zu
095 verstehen sind. So wird durch diese Sehnsucht nach einem Mann die
096 Gestalt der nicht-irdischen Schönheit zu einem Teil
097 vermenschlicht. Auch in ihrem Verhalten sowie in Oisins Reaktion
098 scheint die Darstellung zunächst dem traditionellen Schema von der
099 übermächtigen schönen Frau und dem willenlos ausgelieferten Mann
100 zu folgen. Niamh kommt aus dem fernen Land, erwählt sich - wie
101 die Königstöchter im Märchen - den Mann: " now I choose ".
102 Wie sie hierin allein aktiv ist, erweist sich auch ihre Liebe
103 als primär: sie liebt Oisin, ehe dieser überhaupt etwas von ihr
104 weiß; erst als Folge dieser ihrer Liebe entwickelt sich auch bei
105 Oisin, sekundär, die Liebe zu ihr, und diese Liebe ist, wie
106 bei allen Rittern der " dame sans merci ", total:.
107 Diese hyperbolische Umformung des gewöhnlichen +Ausdrucks " I
108 fell in love " läßt eindeutig das Verhängnis anklingen, in das
109 die femme fatale den Mann zieht: in der Verzweiflung und in dem
110 Abgrund, in den der Liebende stürzt. Aber in der Tatsache,
111 daß Niamh ihn liebt, daß sie ihn also braucht, relativiert sich
112 bereits ihr Charakter als femme fatale. In ähnlich
113 relativierendem Sinne ist es zu verstehen, daß es im folgenden
114 immerhin zu einer kurzen Auseinandersetzung darüber kommen kann,
115 wer von den beiden Liebenden den anderen in sein Land, in
116 seine Lebensform hinüberführt. Oisin gibt Niamh sofort
117 nach, aber unter anderem sicher deshalb, weil sie ihm in ihrem
118 Reich alles das verspricht, was auch hier - nur nicht in so
119 vollkommener Form - sein Leben ausmacht, wie Jagd, Reichtum,
120 großzügige Hofhaltung. Die oben angedeutete Ausgangssituation
121 ist demnach - da nun die Vorbedingungen für die verhängnisvolle
122 Wirkung dieser vollkommenen, schönen Frau fehlen - so weit
123 abgewandelt worden, daß die Vereinigung des Mannes mit ihr
124 erreichbar scheint. Der Versuch hierzu wird in der anschließenden
125 Wanderung zu den drei Inseln durchgespielt. Die Möglichkeit
126 einer Vereinigung und ihre Gefährdung deutet sich in der Umarmung
127 an, in der Niamh Oisin während des Rittes aus der irdischen in
128 die nicht-irdische Welt hält:. Die wesentlichen
129 Züge der männlich-weiblichen Konstellation werden abermals
130 sichtbar. Dem Unterschied von Menschlichkeit (bei Oisin) und
131 Nicht-Menschlichkeit (bei Niamh) entspricht der von Leid
132 und Freude. Doch die harmonische Überbrückung dieses
133 Gegensatzes scheint gelungen: Indem sie ihn mit ihren weißen
134 Armen umschlungen hält, lindert sie und überwindet sie mit ihren
135 Liedern, wie es scheint, seinen spezifisch menschlichen Kummer.
136 Doch im Grunde ist es eher nur ein Einlullen, ein Einschläfern,
137 und nichts deutet eigentlich darauf hin, daß sich eine ihrer
138 beider Wesen betreffende Verbindung zwischen ihnen herstellt.
139 In dem Zwischenbereich, wo die Zeit ihre Herrschaft zu verlieren
140 beginnt, wird dies Bild der Harmonie und Ruhe unmittelbar mit dem
141 Gegenbild konfrontiert: Es begegnen ihnen ein Reh und eine Dame
142 mit einem Apfel in der Hand, die von einem Hund bzw. einem
143 Jüngling gejagt werden. Daß diese Symbole rastlosen Sehnens
144 und vergeblicher Jagd nach dem Ersehnten als Gegenbild intendiert
145 sind, geht deutlich hervor aus Niamhs Traurigkeit darüber, daß
146 Oisin sich für diese Gestalten interessiert. Oisins Interesse
147 für diese Gestalten und Niahms Bemühen, seine Aufmerksamkeit
148 von ihnen fort auf sich zu lenken, weisen darauf hin, daß dies
149 rastlose Jagen der Menschlichkeit Oisins assoziiert ist. Seine
150 Rastlosigkeit drückt sich dann darin aus, daß er nie auf die
151 Dauer an einer Lebensform in der Welt der Unsterblichen sein
152 Genüge findet, daß es ihn nach immer anderen Tätigkeiten
153 verlangt. Niamh versucht diese Sehnsucht nach dem
154 Entgegengesetzten zu befriedigen, indem sie ihn jeweils zu einer
155 neuen Insel führt - nacheinander zu den Inseln der Freude, des
156 Kampfes, der Ruhe; doch seine Sehnsucht wird dadurch nie
157 endgültig erfüllt. Auf diesen Reisen - Ausfluß seiner
158 Unrast - begegnen ihnen bezeichnenderweise stets die Symbole
159 dieser Unrast. Schließlich treibt seine Sehnsucht ihn in die
160 Welt, zu den Feniern zurück. Dieses ruhelose Verlangen
161 versucht Niamh zunächst noch durch ihre Liebe und durch
162 Feenlieder zu stillen, in denen sie während dieser Ritte ihre
163 Welt der vollkommenen Freude und Liebe zu beschwören sich bemüht.
164 Gegen diese " phantoms " setzt sie in ihren Liedern beim Ritt
165 zur zweiten Insel ihre Konzeption der glücklichen Verbindung
166 unsterblicher Feengestalten mit irdischen Männern unter dem
167 magischen Siegel der Heiligkeit und Unvergänglichkeit:.
168 Niamh wünscht eine weltabgewandte, unvergängliche, vollkommene
169 Liebe, die durch keine Sehnsucht nach etwas außerhalb getrübt
170 wird, und sie beschwört diese sich ganz auf sich selbst
171 konzentrierende Liebe, indem sie Oisin in ihren weißen Armen
172 hält. Doch ihre Tränen, die schließlich diesen Gesang
173 ersticken, zeigen, daß sie die Enttäuschung ihrer Hoffnungen
174 bereits ahnt. Beim Ritt zur dritten Insel endlich kann Niamh der
175 in diesen Gestalten symbolisierten Rastlosigkeit schon nicht mehr
176 ihre Lieder, ihren Traun von der Vereinigung entgegensetzen;
177 sie weint nur noch. Seine Gedanken jedoch kreisen um die Fenier
178 und ihre Jagd. Bei Oisins Abschied spricht Niamh aus, was die
179 von ihr ersehnte Verbindung verhinderte: seine irdische
180 Ruhelosigkeit. Ihrer beider Einstellung zur Liebe ist
181 gegensätzlich. Während sie bei ihr das Primäre, das
182 Hauptsächliche ist, tritt sie bei ihm abrupt in sein Leben und
183 kann ihn auch nicht auf die Dauer in Anspruch nehmen. Seine
184 menschliche Sehnsucht nach den irischen Helden, seinen Freunden
185 ist stärker. Wie wenig die Liebe zu Niamh den ersten Platz in
186 seinem Fühlen einnimmt, wird enthüllt, als sich in ihm am Ende,
187 auf der Erde - nach der Enttäuschung über den Tod der
188 Fenier und der alten Götter - wieder die Sehnsucht nach Niamh
189 regt. Das Mitleid beim Anblick zweier sich abmühender Männer
190 - ein deutliches Zeichen der Menschlichkeit in ihm - verdrängt
191 alle Gedanken an Niamh; und indem er ihnen hilft, gewinnt das
192 Menschliche mit seiner ganzen Hinfälligkeit derart Macht über
193 ihn, daß er endgültig aus der Zeitlosigkeit der Liebe heraus
194 wieder in die Welt der Vergänglichkeit fällt. - Demgegenüber
195 stellt sich Niamh so vollständig auf ihn und sein Wesen ein, daß
196 sie sofort seine Gedanken und Gefühle errät: Als er den
197 Speerschaft und den Buchenzweig findet, bringt sie ihm jeweils
198 sogleich das Pferd, um mit ihm zur nächsten Insel zu reiten, wo
199 - wie sie hofft - seine neu erwachte Sehnsucht nach Kampf bzw.
200 Ruhe vielleicht ihre Erfüllung findet. Die Entwicklung der
201 Beziehung zwischen Niamh und Oisin ist, bei nahezu gleicher
202 Ausgangssituation, genau der zwischen der Dame und dem Ritter in
203 Keats' " La Belle Dame sans Merci " entgegengesetzt.
204 Während Keats nachzeichnet, wie der Ritter seine selbständige
205 Aktivität mehr und mehr einbüßt, läßt Yeats Oisin zunehmend
206 zum agierenden und Niamh immer mehr zum passiv reagierenden Teil
207 werden. Leidet bei Keats der Ritter unter der Beziehung zur
208 Frau, so ist es bei Yeats gerade die Frau, die unter der
209 Andersartigkeit und Ruhelosigkeit des Mannes leidet, während ihm
210 die Frau überhaupt kein Leiden bereitet, da sie keinerlei Macht
211 oder Zwang über ihn ausübt. Während sich bei Keats unter der
212 scheinbaren Menschlichkeit der Fee allmählich ihre wahre Nicht
213 -Menschlichkeit enthüllt (besonders in dem Traum), wird bei
214 yeats in der scheinbar nicht-irdischen Gestalt Niamhs im Laufe
215 des Gedichtes eine starke Fähigkeit zu menschlichem Fühlen und
216 Leiden sichtbar. Diese Vermenschlichung Niamhs beginnt mit der
217 Andeutung ihrer leidenschaftlichen Sehnsucht nach Oisin. Sie
218 manifestiert sich weiterhin in ihren Seufzern und in ihren Tränen.
219 Zu Anfang des dritten Buches wird außer dem Weinen die
220 " Wärme ihrer Seufzer " und das Zittern ihrer Lippen erwähnt,
221 alles Merkmale menschlichen Leidens. Dies steigert sich
222 schließlich bis zu ihrem Wehklagen und ihrer Todessehnsucht:.
223 In diesem Vergleich mit einem verwelkenden Blatt im Herbst
224 deutet sich an, wie sehr Niamh durch ihre Liebe zu Oisin, durch
225 ihre Abhängigkeit in der Liebe von Oisin, dem irdisch-
226 menschlichen vergänglichen Leben nahegekommen ist.
Zum Anfang dieser Seite