Quelle Nummer 261
Rubrik 06 : RECHT Unterrubrik 06.11 : INLAENDISCHES
BGH-ENTSCHEIDUNGEN
BUNDESGERICHTSHOFENTSCHEIDUNGEN IN ZIVILSACHEN 1971,
NR. 19
S. 123-
001 Ist auf den Anspruch des Vaters gegen die Mutter auf
002 Herausgabe des gemeinsamen Kindes italienisches Recht anzuwenden,
003 dann ist die Entscheidung bei tatsächlicher Trennung der Eheleute
004 unter Berücksichtigung der Art. 330, 333 Codice civile zu
005 treffen. Dem Anspruch ist nicht stattzugeben, wenn dem Vater
006 nach diesen Vorschriften das Aufenthaltsbestimmungsrecht
007 abzuerkennen sein würde. Da die Vorschriften der Art. 330,
008 333 Cc in der Regel die Berücksichtigung der Kindesinteressen
009 ausreichend gewährleisten, ist insoweit für eine Anwendung der
010 Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB kein Anlaß.
011 Aus Gründen:. Die am 1.Mai 1959 geborene
012 Silvia C. stammt aus der im Jahre 1956 in Italien kirchlich
013 geschlossenen Ehe des italienischen Staatsangehörigken S.C.
014 mit der deutschen Staatsangehörigen E. D.. Am 13.
015 Februar 1969 hat die Mutter die in der Bundesrepublik in N.
016 gelegene eheliche Wohnung verlassen. Sie ist nach L.
017 gezogen und hat das Kind ohne Wissen des Vaters mitgenommen.
018 Inzwischen hat sie gegen den Vater Ehescheidungsklage erhoben.
019 Der weiter in N. wohnhafte Vater verlangt von der Mutter die
020 Herausgabe des Kindes. Er hat behauptet, die Mutter habe sich
021 wenig um Silvia gekümmert und unterhalte ein ehewidriges
022 Verhältnis zu einem Herrn K., der nach W. gezogen sei,
023 wo auch die Mutter jetzt wohne. Auf seinen Antrag hat das
024 Amtsgericht durch Beschluß vom 4.März 1969 angeordnet, daß
025 die Mutter das Kind an den Vater herauszugeben hat. Die Mutter
026 hat gegen diesen Beschluß Beschwerde eingelegt. Sie hat geltend
027 gemacht, das Kind werde beim Vater nicht ordentlich betreut. Der
028 Vater führe keinen einwandfreien Lebenswandel, er treibe sich
029 viel herum. Das Kind habe außerdem große Angst davor, zum
030 Vater zurückzukehren. Das Landgericht hat die Beschwerde
031 zurückgewiesen. In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht hat es
032 für das Rechtsverhältnis der Eltern zu dem Kinde nach Art.
033 19 EGBGB italienisches Recht angewendet. Die danach
034 maßgebende Vorschrift des Codice civile (Cc), wonach der
035 Vater allein die elterliche Gewalt ausübt, verstoße, wie das
036 Landgericht ausgeführt hat, nicht gegen den deutschen ordre public.
037 Der Vater könne deshalb nach Art. 318 Cc in Verbindung mit
038 der Vorschrift des 1632 Abs. 2 BGB das Kind von der
039 Mutter herausverlangen. Gegen diesen Beschluß wendet sich die
040 Mutter mit der weiteren Beschwerde. Das Oberlandesgericht hält
041 ebenfalls die Regelung des italienischen Rechts mit dem deutschen
042 ordre public für vereinbar und möchte die weitere Beschwerde
043 zurückweisen. Es sieht sich hieran jedoch gehindert durch einen
044 Beschluß des Kammergerichts vom 6. November 1967, das einer
045 Regelung des irakischen Rechts, nach welcher die elterliche
046 Gewalt allein dem Vater zusteht, wegen Verstoßes gegen den
047 deutschen ordre public die Anwendung versagt hat. Das
048 Oberlandesgericht hat die Sache deshalb nach 28 Abs. 2
049 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
050 Die Voraussetzungen für die Vorlegung nach 28 Abs. 2
051 FGG sind gegeben. Das vorlegende Oberlandesgericht sieht in der
052 Regelung des italienischen Rechts, nach der die elterliche Gewalt
053 über die Kinder dem Vater zusteht, keinen Verstoß gegen den
054 deutschen ordre public (Art. 30 EGBGB). Es weicht darin
055 ab von der Entscheidung des Kammergerichts vom 6.November 1967
056 (FamRZ 1968, 92 (math.Op.) NJW 1968, 361 (math.Op.) OLGZ 1968, 118),
057 das eine entsprechende Vorschrift des irakischen Rechts gemäß
058 Art. 30 EGBGB nicht angewendet hat. Der Vorlegung steht
059 nicht entgegen, daß im einen Fall italienisches Recht und im
060 anderen irakisches Recht zur Anwendung stand. Denn die
061 Rechtsfrage, die dahin geht, ob die Bestimmung, nach der die
062 elterliche Gewalt dem Vater zusteht, gegen den deutschen ordre
063 public verstößt, ist in beiden Fällen dieselbe. Nur hierauf
064 kommt es aber für die Vorlegung nach 28 Abs. 2 FGG an,
065 nicht darauf, ob es sich um die Anwendung desselben Gesetzes
066 handelt (BGHZ 7, 339, 342; 25, 186, 188; Keidel FGG
067 9.Aufl. 28 Rn 18; Jansen FGG 2.Aufl. 28
068 Rn 9). Der Bundesgerichtshof hat daher über die weitere
069 Beschwerde zu befinden (28 Abs. 3 FGG). Die
070 weitere Beschwerde ist begründet. Für die
071 verfahrensrechtliche Durchführung des Anspruchs des Vaters auf
072 Herausgabe des Kindes ist auch bei ausländischer
073 Staatsangehörigkeit des Vaters nach 1632 Abs. 2 BGB die
074 Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts gegeben (OGHZ 4,
075 251, 252). Gegen die Annahme der örtlichen Zuständigkeit nach
076 den 43, 36 Abs. 1 FGG, die zugleich die internationale
077 Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet (BayOblG 59,
078 8 (math.Op.) NJW 1959, 1038; OLG Saarbrücken FamRZ 1966, 42
079 (math.Op.) NJW 1966, 308; auch BGHZ 40, 1, 12), bestehen keine
080 Bedenken. Das Verlangen des Vaters auf Herausgabe des
081 Kindes ist nur berechtigt, wenn dem Vater als Teil der
082 elterlichen Gewalt das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht. Nach
083 der zu einer allseitigen Kollisionsnorm ausgestalteten Regel des
084 Art. 19 EGBGB ist die Entscheidung über die elterliche
085 Gewalt nach den Gesetzen des Staates zu treffen, dem der Vater
086 angehört. Die damit bestimmte Anknüpfung an die
087 Staatsangehörigkeit des Vaters wird, wie die Vorinstanzen
088 zutreffend angenommen haben, von dem Gleichberechtigungsgrundsatz
089 des Art. 3 Abs. 2 GG nicht berührt. Dieser Standpunkt
090 ist von dem Bundesgerichtshof bereits zu Art. 17 EGBGB
091 (BGHZ 42, 7, 8) und zu Art. 22 EGBGB eingenommen
092 worden (BGHZ 50, 370, 372f). Er wird zu Art. 19
093 EGBGB aufrechterhalten (ebenso OLG Saarbrücken NJW 1966,
094 308; BayObLG FamRZ 1969, 341 (math.Op.) NJW 1969, 988; vgl.
095 zu dem Fragenbereich ausführlich Gamillscheg in Rabels Z
096 1969, 654ff). Danach ist italienisches Recht anwendbar. Eine
097 Rückverweisung auf deutsches Recht findet nicht statt, da die
098 Einführungsbestimmungen zum Codice civile in Art. 20 Abs.
099 1 erster Halbsatz ebenfalls das Heimatrecht des Vaters entscheiden
100 lassen. Nach italienischem Recht übt der Vater allein die
101 elterliche Gewalt aus (Art. 316 Satz 2 Codice civile,
102 zitiert nach Band 6 der Materialien zum ausländischen und
103 internationalen Privatrecht, hrsg. vom Max-Planck-
104 Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, 2.
105 Aufl. 1968). Dazu gehört auch das Recht, das Kind,
106 wenn es gegen seinen Willen das Haus verläßt, zurückzurufen
107 (Art. 318 Cc), und zwar, wie in der italienischen
108 Rechtspraxis angenommen wird, grundsätzlich auch von der Mutter
109 (vgl. Jayme, Kindesherausgabeansprüche italienischer Eltern in
110 Verfahren vor deutschen Gerichten, FamRZ 1964, 352, 354, 355).
111 Dieses Recht besteht allerdings nicht, wenn dem Vater das
112 Aufenthaltsbestimmungsrecht abzuerkennen ist. Für den Fall des
113 gerichtlichen Ausspruchs der Trennung der Ehegatten enthält das
114 italienische Recht in Art. 155 Abs. 1 Cc die Vorschrift,
115 daß das die Trennung aussprechende Gericht auch zu bestimmen hat,
116 welcher Ehegatte die Kinder zu sich nehmen und für ihren
117 Unterhalt, ihre Erziehung und ihren Unterricht sorgen soll.
118 Für den Fall der tatsächlichen Trennung der Ehegatten enthält
119 das italienische Recht keine Regelung. Insbesondere sieht es eine
120 Zuteilung des Personensorgerechts an einen Ehegatten, wie sie im
121 deutschen Recht nach 1672 BGB i. V. mit 1671 BGB
122 möglich ist, nicht vor (Jayme FamRZ 1967, 496 zu Fußnote 7
123 m. Zit. aus der italienischen Rechtsprechung). Das
124 Fehlen einer Regelung über die Zuteilung des Personensorgerechts
125 bei faktischer Trennung der Ehegatten hat die Rechtsprechung der
126 deutschen Gerichte veranlaßt, mit Hilfe anderer Regelungen des
127 italienischen Rechts eine angemessene Lösung zu erzielen. So hat
128 das OLG Hamburg angenommen, daß im Falle der Trennung der
129 Eheleute die Mutter die Herausgabe des Kindes an den Vater
130 verweigern dürfe, wenn sie nach Art. 151 Cc berechtigt sei,
131 von dem Vater getrennt zu leben, was insbesondere der Fall sei,
132 wenn sich der Vater gegen sie Ausschreitungen, Bedrohungen oder
133 Beleidigungen schwerer Art habe zuschulden kommen lassen; in
134 jedem Falle sei das Herausgabeverlangen des Vaters bei solcher
135 Sachlage mißbräuchlich (HEZ 2. 263 unter Bezugnahme auf ein
136 von Raape erstattetes Gutachten, bestätigt durch Urteil OGHZ
137 4, 251). Es kann dahinstehen, ob diese Auslegung des
138 italienischen Rechts zutreffend ist. Denn das Landgericht hat im
139 vorliegenden Fall rechtsbedenkenfrei festgestellt, daß die
140 Voraussetzungen für ein Weigerungsrecht nach Art. 151 Cc
141 nicht gegeben sind. Im übrigen vermöchte das Weigerungsrecht der
142 Mutter nach Art. 151 Cc auch den Fällen nicht hinreichend
143 Rechnung zu tragen, in denen entscheidend auf das Wohl des Kindes
144 abzustellen ist. Auch dann, wenn der Frau und Mutter ein Recht
145 zum Getrenntleben nach Art. 151 Cc zur Seite steht, ist nicht
146 sicher, daß das Kindesinteresse bei einer Personensorge durch die
147 Mutter am besten gewährleistet ist, wie umgekehrt das Fehlen
148 eines Rechts der Mutter zum Getrenntleben nichts darüber aussagt,
149 ob das Kind am besten bei dem Vater aufgehoben ist. Das
150 Landgericht Wiesbaden (FamRZ 1965, 284) und ebenso das
151 Amtsgericht Achern (FamRZ 1966, 460) haben auf den Fall der
152 tatsächlichen Trennung der Eheleute die für die gerichtliche
153 Trennung geltende Vorschrift des Art. 155 Cc angewendet.
154 Einer solchen Analogie steht aber entgegen, daß mit ihr der
155 Boden der nach Art. 19 EGBGB gebotenen Anwendung des
156 italienischen Rechts verlassen würde, weil, soweit bekannt, die
157 italienische Rechtsprechung den Art. 155 Cc nicht auf den Fall
158 einer nur tatsächlichen Trennung der Eheleute bezieht. In einer
159 späteren Entscheidung hat das Landgericht Wiesbaden (FamRZ
160 1967, 494) die Anordnung über das Personensorgerecht bei
161 tatsächlicher Trennung der Eheleute unter Heranziehung der Art.
162 330, 333 Cc getroffen. Diesen Weg ist auch das Bayerische
163 Oberste Landesgericht in einer neueren Entscheidung gegangen
164 (FamRZ 1969, 341 (math.Op.) NJW 1969, 988). Dem ist beizupflichten.
165 Nach Art. 330 Cc kann das Gericht die Entziehung oder
166 Verwirkung der väterlichen Gewalt aussprechen, wenn der sie
167 ausübende Elternteil die mit der väterlichen Gewalt verbundenen
168 Pflichten verletzt oder vernachlässigt und dadurch dem Kind einen
169 schweren Nachteil zufügt. Nach Art. 333 Cc kann das Gericht,
170 wenn das Verhalten des die väterliche Gewalt ausübenden
171 Elternteils zwar nicht Anlaß zum Ausspruch der Verwirkung gibt,
172 aber doch nachteilig für das Kind ist, je nach den Umständen die
173 im Interesse des Kindes geeigneten Anordnungen treffen und auch
174 dessen Entfernung aus dem elterlichen Hause verfügen. Da das
175 italienische Recht grundsätzlich von der Fortdauer der elterlichen
176 Gewalt des Vaters ausgeht, ist anzunehmen, daß diese
177 Vorschriften auch in dem Stadium der tatsächlichen Trennung der
178 Eltern gelten. Inhaltlich stimmen sie allerdings nicht mit den
179 Vorschriften der 1672, 1671 BGB überein, nach der das
180 Vormundschaftsgericht eine Regelung zu treffen hat, die in erster
181 Linie am Wohle des Kindes ausgerichtet ist. Vielmehr haben die
182 Anordnungen nach den Art. 330, 333 Cc ein das Kind
183 schädigendes Verhalten des Elternteils zur Voraussetzung. Doch
184 ist für die Anordnungen nach Art. 333 Cc nicht die
185 Feststellung eines Verschuldens des Elternteils erforderlich
186 (BayObLG FamRZ 1969, 341 zu 2 5f), so daß diese inhaltlich
187 flexible Vorschrift weitgehend eine Anordnung der im Interesse des
188 Kindes erforderlichen Maßnahmen zuläßt. Soweit die
189 Voraussetzungen für ein Eingreifen des Vormundschaftsrichters
190 nach dieser Vorschrift gegeben sind, kann dem Herausverlangen des
191 Vaters, sei es aus dem Gedanken des Mißbrauchs, sei es zufolge
192 gleichzeitiger Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die
193 Mutter, nicht stattgegeben werden. Angesichts dieser
194 Regelung des italienischen Rechts wird im allgemeinen für eine
195 Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB kein
196 Anlaß sein. Insbesondere vermag der Umstand, daß die
197 Grundlage der italienischen Regelung die elterliche Gewalt des
198 Vaters ist und hierin ein Verstoß gegen den Grundsatz der
199 Gleichberechtigung von Mann und Frau gesehen werden könnte, wie
200 er in Art. 3 Abs. 2 GG niedergelegt ist, eine Anwendung
201 des Art. 30 EGBGB nicht zu rechtfertigen. Denn die
202 Abweichung der ausländischen Regelung von den Normen der
203 deutschen Verfassung stellt für sich keinen Verstoß gegen den
204 deutschen ordre public dar (BGHZ 42, 7, 13f; BayObLG
205 FamRZ 1955, 138; AG Hamburg FamRZ 1967, 498 und 500).
206 Vielmehr ist entscheidend, ob im Einzelfall das Ergebnis der
207 Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der
208 deutschen Regelung und der in ihnen liegenden
209 Gerechtigkeitsvorstellungen in einem so schwerwiegenden Widerspruch
210 steht, daß seine Anwendung für untragbar angesehen werden muß
211 (BGHZ 50, 370, 376). Das läßt sich bei der gegebenen
212 Sachlage nicht feststellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich,
213 daß eine Entscheidung unter Anwendung der Art. 330, 333 Cc
214 hier nicht in zureichendem Maße die Kindesinteressen
215 berücksichtigen könnte. Das Landgericht hat mit Recht
216 geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung nach den Art.
217 330, 333 Cc vorliegen. Es hat das verneint und dazu
218 ausgeführt, die Behauptungen der Mutter über ein das Kindeswohl
219 gefährdendes Verhalten des Vaters seien nicht bewiesen. Die
220 Versorgung des Kindes bei dem Vater sei gewährleistet. Der
221 Umstand, daß das Kind nach der Behauptung der Mutter nicht zum
222 Vater gehen wolle, sei gegenüber dem Herausgabeanspruch des
223 Vaters nicht zu beachten. Diese Ausführungen halten einer
224 rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand. Das
225 Landgericht hat die Voraussetzungen der Art. 330, 333 Cc zu
226 eng gezogen. Nach diesen Voraussetzungen kann dem
227 Herausgabeverlangen des Vaters nicht stattgegeben werden, wenn es
228 sich für das Kind als nachteilig erweist. Das könnte der Fall
229 sein, wenn die Behauptung der Mutter zutrifft, daß der Vater
230 schon zu der Zeit, als die Eltern noch zusammen lebten, keinen
231 oder keinen ausreichenden Unterhalt für das Kind geleistet habe.
232 Das könnte aber vor allem dann der Fall sein, wenn die
233 Übersiedlung des Kindes von der Mutter zum Vater eine erhebliche
234 Gefährdung der seelischen, geistigen oder körperlichen
235 Entwicklung des Kindes bedeuten würde. Ob das anzunehmen ist,
236 wäre im Hinblick auf die Behauptung der Mutter zu prüfen gewesen,
237 Silvia leide unter Alpträumen und schreie nachts auf, weil sie
238 fürchte, der Mutter und ihrer gewohnten Umgebung entrissen zu
239 werden und zum Vater zu kommen. Zwar darf dem Umgebungswechsel
240 keine zu große Bedeutung beigemessen werden. Vielmehr wird
241 erfahrungsgemäß die seelische Erschütterung, welche die
242 Übersiedlung eines Kindes von dem Elternteil, bei dem es bisher
243 gelebt hat, zu dem anderen Elternteil in aller Regel mit sich
244 bringt, von einem Kind, das keine Besonderheiten aufweist, bald
245 überwunden; sie muß dann im Interesse des zur Ausübung der
246 Personensorge berechtigten Elternteils in Kauf genommen werden
247 (so zutreffend BayObLG in FamRZ 1969, 341, 344 zu 7b).
248 Doch ist immer auf Grund der Umstände des Einzelfalls zu prüfen,
249 ob nicht Besonderheiten vorliegen, die erwarten lassen, daß aus
250 der Übersiedlung ein Schaden für das Kind erwächst, der es
251 nicht erlaubt, dem Herausgabeverlangen im derzeitigen Stadium
252 stattzugeben. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, ob die
253 Mutter das Kind dem Vater entfremdet hat, insbesondere, ob sie
254 erst dadurch, daß sie das Kind ohne Einwilligung des Vaters aus
255 dem Elternhaus und der gewohnten Umgebung entfernte, die seelische
256 Belastung für das Kind geschaffen hat, die eine Rückführung zu
257 dem Vater erschwert. Das Landgericht wird alle diese Umstände
258 im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des 12 FGG zu prüfen
259 haben. Dazu kann es angebracht sein, ein ärztliches Gutachten
260 darüber einzuholen, ob und in welchem Maße sich die
261 Rückführung des Kindes zu dem Vater auf die seelische, geistige
262 oder körperliche Entwicklung des Kindes schädlich auswirkt.
263 Weiter könnte in Betracht kommen, die Akten des zwischen den
264 Parteien schwebenden Scheidungsverfahrens heranzuziehen, da sich
265 möglicherweise auch aus den Verhandlungen und Beweisergebnissen
266 dieses Verfahrens Aufschlüsse darüber ergeben, ob das Verhalten
267 des einen oder anderen Elternteils nachteilig für das Kind war und
268 demgemäß Bedeutung für eine Anordnung nach Art. 333 Cc
269 gewinnen kann. Die Sache ist daher zur weiteren Verhandlung und
270 Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Zugleich ist
271 die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 4.März
272 1969 auszusetzen, damit das weitere Verfahren ohne den Druck der
273 Vollziehung aus diesem Beschluß, der möglicherweise keinen
274 Bestand hat, betrieben werden kann.
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