Quelle Nummer 195
Rubrik 02 : RELIGION Unterrubrik 02.24 : PRAKTISCHE
PREDIGTEN (FUER OSTERN)
WALTHER FUERST
ICH WEISS, DASS MEIN ERLOESER LEBT, HIOB 19,25
IN: AUFERSTEHUNG HEUTE GESAGT,OSTPREDIGTEN DER
GEGENWART
GUETERSLOHER VERLAGSHAUS GERD MOHN 1970, 1971 2.
S. 26-31
001 Ich weiß, daß mein Erlöser lebt Hiob 19,25.
002 Liebe Gemeinde! Wenn es wahr ist, was dieses Wort sagt, dann
003 ist es ein unsagbar tröstliches Wort. Wenn wir das gewiß
004 wüßten: Einer, dessen ganzes Wesen darin besteht, daß er
005 für uns da ist als unser Erlöser, unser Anwalt und Bürge -
006 dieser eine hätte uns nicht vergessen, sondern sei um uns besorgt
007 und bekümmert; unsere Plagen und Ängste hätte er zu seinen
008 eigenen Sorgen gemacht; in unserem Versagen und Versäumen käme
009 er für uns auf. Er führte unsere Sache und sei dabei, sie
010 siegreich hinauszuführen. Er stünde für uns ein gegenüber den
011 Menschen, die uns verachten und uns nichts zutrauen, aber auch
012 gegenüber unserem eigenen Gewissen, das denen recht geben muß,
013 die nicht von uns halten. Sein Eintreten für uns gäbe uns einen
014 so hohen Wert, daß wir uns vor andern nicht schämen müßten und
015 sogar uns selber annehmen dürften. Es wäre also der, den die
016 Christenheit ihren Erlöser nennt, nicht nur vor 2 000 Jahren
017 kurz auf der Erde gewesen, um für ein paar Kranke und sonst
018 Benachteiligte dazusein und dann wieder zu entschwinden und
019 allenfalls eine Erinnerung oder ein Vorbild zurückzulassen.
020 Heute wäre er für uns am Werk. Was er damals getan hat, wäre
021 nicht vergangen, sondern geschähe für uns ohne Unterbruch;
022 jeder Tag stünde im Licht seiner täglich neuen Treue. Allen
023 unsern Bedrängnissen und Gefängnissen nahte der Schritt dessen,
024 der kommt, um die Türen zu öffnen und uns ins Freie zu führen.
025 Wüßten wir, daß er für uns lebt, arbeitet und kämpft, dann
026 müßten wir anders leben. Ein Gefangener, der weiß, daß sein
027 Anwalt alles fur ihn tut, lebt anders als einer, der vergessen ist
028 und an den keiner denkt. Als ein tröstliches Wort wäre es aber
029 zugleich ein aufrüttelndes, aufweckendes Wort. Wenn er, mein
030 Erlöser, aufs höchste an mit interessiert ist, dann kann ich
031 nicht uninterressiert und stumpf vor mich hin leben. Wir können
032 uns dann nicht einfach abfinden mit dem Elend dieser Welt, das
033 doch aufs schärfste in Frage gestellt ist. Wenn unser Erloser
034 lebt, wird und darf es nicht das letzte Wort haben. Unser
035 Erlöser, wenn er das wirklich ist, kann nicht nur unser eigener
036 Privaterlöser sein. Er ist dann der Erlöser unserer ganzen
037 Welt, dieser Welt, in der Martin Luther King erschossen wurde
038 und Jan Palach sich verbrannte, deren " Brennpunkte " Biafra
039 und Vietnam und der Nahe Osten sind, dieser Welt, auf die die
040 Hungerkatastrophe zukommt. Wüßten wir's daß unser Erlöser
041 lebt, dann könnten wir nicht resignieren noch kapitulieren, als
042 wäre nichts zu machen. In einer Welt, für die ein lebendiger
043 Erlöser einsteht, müßten wir das Notwendige und Vernünftige
044 tun, müßten wir für Freiheit und Recht eintreten. Wir können
045 nicht sehr viel tun, aber immer noch mehr, als uns selbst oft lieb
046 ist. Wissend, daß er für uns einsteht, dürften wir nicht die
047 erbärmliche Angst haben, mit der wir uns selbst im Weg stehen.
048 Ein Gefangener, der mit seiner und seiner Mitgefangenen
049 Befreiung rechnet, wird tun was er kann, daß er und sie nicht
050 verkommen. Wüßten wir, daß unser Erlöser lebt, dann müßten
051 wir ein klein bißchen tapferer sein. Endlich wäre dieses Wort,
052 wenn es wahr ist, zugleich ein sehr kritisches Wort. Lebt unser
053 Erlöser, dann ist es unnötig, aber auch unmöglich, daß wir
054 uns selbst erlösen. Das heist nicht, daß wir nichts zu tun
055 hätten; von dem Gesagten ist nichts zurückzunehmen. Aber was
056 wir tun können und ganz gewiß auch tun sollen, kann nicht den
057 Sinn haben, daß wir uns selbst und unsere Welt erlösen. Wir
058 spielen so gern Erlöser in der Welt; Max Frisch hat das in
059 seinen Romanen eindrucksvoll gezeigt, wie wir uns in dieser Rolle
060 gefallen und bespiegeln. Aber hier wird uns ein eiserner Riegel
061 vorgeschoben, und das ist vielleicht das Beste und Tröstlichste.
062 Wenn Menschen sich zu Erlösern ihrer Mitmenschen oder gar ihrer
063 Welt aufspielen, dann kommen immer nur Unmenschlichkeiten und
064 Scheußlichkeiten dabei heraus. Wer sich zum Erlöser macht,
065 maßt sich göttliche Rechte an, mit denen er sich ruiniert und die
066 Freiheit der andern schändet. Man kann es auch so ausdrücken:
067 Das Reich Gottes haben wir nicht zu schaffen, und was wir zu
068 schaffen haben, kann niemals das Reich Gottes sein. Als die,
069 die im Widerschein des kommenden Reiches stehen, haben wir aber
070 unsere Welt darauf aufmerksam zu machen, daß die Morgenröte den
071 Himmel schon färbt, daß das Neue schon vor der Tür steht und
072 darum nicht alles beim alten bleiben kann. Ein Gefangener, der
073 auf den Erlöser wartet, wird nicht sich und seine Mitgefangenen
074 mit einer falschen Hoffnung betrügen und mit dem Wahn aufregen,
075 sie müßten sich selbst erlösen. Ein tröstendes Wort, das
076 ermutigt und zugleich geduldig macht - wenn es wahr ist. Ist es
077 aber wahr? Wer es sagt: " Ich weiß, daß mein Erlöser lebt ",
078 muß damit rechnen, daß er sofort gefragt wird: Woher
079 weißt du das? Wir sagen es: Indem die Christenheit Ostern
080 feiert und sich dafür gleich zwei Tage von der Gesellschaft
081 reservieren läßt, proklamiert sie in aller Öffentlichkeit:
082 Christ ist erstanden, der Gekreuzigte lebt. Ist die
083 Christenheit sich dessen bewußt: Mit dem, was sie da sagt,
084 steht und fällt ihr Glaube? Weiß sie auch, daß das nicht
085 schon deshalb wahr ist, weil sie es sagt, wenn auch im Brustton
086 der Überzeugung? Ob es wahr ist, will die Welt wissen, und
087 sie will es von uns wissen, die wir es behaupten. Trifft uns nicht
088 das bekannte Wort Friedrich Nietzsches: " Erlöster müßten
089 mit die Christen aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben
090 sollte "? Wir haben allen Anlaß, uns das hinter die Ohren zu
091 schreiben. Wir sollen uns aber ja nicht veranlaßt sehen, nun die
092 - falsche - Rolle der Erlösten zu spielen. Noch mehr als
093 durch unser unerlöstes Aussehen bringen wir unsern Erlöser in
094 Verruf durch unser " so tun, als ob wir erlöst wären ", als ob
095 wir den Himmel schon in der Tasche hätten, als ob wir im Besitz
096 der Wahrheit wären und einige Stufen höher als die blinde oder
097 böse Welt. Aus einem eingebildeten Himmel sind wir rasch
098 herausgeschleudert, vielleicht schon durch die schlichte Frage:
099 Woher wißt ihr das eigentlich? Ja, liebe Gemeinde, woher
100 wissen wir es, daß Jesus lebt? Wir wissen es jedenfalls nicht
101 so, daß wir es und oder sonst jemandem beweisen können. Wir
102 haben es - nein, wir haben's nicht, aber wir hören es als eine
103 unbewiesene Botschaft, die auf schwachen Füßen steht. Nach den
104 Berichten der Evangelien haben einige Frauen das Gerücht
105 ausgestreut, und die Jünger haben das promt als hysterisches
106 Weibergeschwätz abgetan, bis sie auf einmal selbst zu Trägern
107 dieser phantastischen Botschaft wurden. Man hat nun auch sie als
108 betrogene Betrüger abgestempelt, hat ihnen vorgeworfen, sie
109 hätten sich durch Halluzinationen blenden lassen oder - noch
110 schlimmer - sie hätten den toten Jesus beiseite geschafft; kurz,
111 sie wollten etwas glauben machen, was sie selbst nicht glaubten.
112 Sie waren wehrlos gegen solchen Verdacht. Es wäre einfacher für
113 sie gewesen, wenn sie ihn zugegeben hätten; sie wären dann nicht
114 genötigt gewesen, für eine Botschaft einzutreten, die ihnen
115 selber unglaublich erschienen war und für die sie, nun glaubend,
116 den Beweis schuldig bleiben mußten. Sie hätten sich lieber
117 verkrochen - eine Weile haben sich vergeblich versucht, sich zu
118 verkriechen -, wären sie nicht genötigt worden, jene ihnen
119 fremde Botschaft zu ihrer eigenen zu machen. Was nötigte sie?
120 Die schwachen Füße jener Botschaft erwiesen sich als so stark,
121 daß sie die Jünger aus ihren Winkeln herausholte und in Bewegung
122 setzte und über Land und Meer trieb, daß sie lief und, obwohl
123 oft verdorben, noch läuft, daß eine glaubensschwache
124 Christenheit immer noch Ostern feiert und eine glaubenslose Welt
125 sich immer noch genötigt sieht, diese Botschaft zu bestreiten.
126 Ist das nicht ein Erweis ihrer Lebendigkeit, daß
127 leidenschaftlich nein zu ihr gesagt wird? Und wenn die Welt die
128 Leidenschaft nicht mehr aufbringt und nur noch gleichgültig ihr
129 Nein sagt, dann muß das leidenschaftliche Nein offenbar mitten in
130 der Christenheit laut werden, wie wir das heute erleben, wo die
131 Rede vom toten Gott und Erlöser besondere Christlichkeit
132 ausweisen soll. Was heißt das alles? Worauf steht die
133 Botschaft, daß Jesus lebt? Sie ist nicht darum wahr, weil wir
134 sie wissen oder beweisen könnten. Nicht darum, " weil ich das
135 weiß lebt mein Erlöser " - als müßte er wieder sterben,
136 sobald ich es nicht mehr weiß; angesiesen auf den Glauben seiner
137 Christen, hätte er ewig tot bleiben müssen. Die Dinge liegen
138 genau andersherum: Nur darum, weil es wahr ist, weil Jesus
139 auferstanden ist, können wir es wissen und sollen wir es allerdings
140 auch wissen. So ist jenes Wort zu hören: " Unser Erlöser
141 lebt - damit du es nur weißt! " Und wenn du hundertmal die
142 Ohren davor verschließt und es für einen Betrug erklärst, er
143 lebt dennoch, und es wird sich zeigen, wie lange du dich gegen ihn
144 wehren kannst. Wir müssen Jesus nicht durch unseren Glauben zum
145 Leben verhelfen; er lebt darum, weil er vom Tod erstanden ist,
146 als kein Mensch das glaubte. Und nur darum, weil seine
147 Auferstehung nicht rückgängig zu machen ist, läßt sich die
148 unbewiesene und unbeweisbare Botschaft, daß er lebt, nicht
149 unterdrücken. Darum steht sie auf ihren schwachen Füßen so fest,
150 weil sie Jesu eigenes Wort ist: " Ich lebe, und ihr sollt
151 auch leben. " Weil sie das Wort des Auferstandenen ist, der
152 nicht mehr stirbt, ist sie mächtig, gegen alle Bestreitung und
153 Verleugnung aufzustehen. Man mag sie totgesagt oder totgeschwiegen
154 haben, sie war dann um so mächtiger da, und sie hat Menschen
155 lebendig gemacht, daß sie, an die Wand gedrängt, nur noch sagen
156 konnten: " Ich weiß, daß mein Erlöser lebt " - und darauf
157 leben und - wenn nötig - sterben konnten. Nun feiern wir
158 Ostern und reihen uns damit ein in die Schar derer, die Jesus
159 nicht totsagen und nicht totschweigen können. Wir sagen es laut,
160 daß jeder es hören kann: " Der Herr ist auferstanden, Jesus
161 lebt. " Ist uns klar, daß wir damit eine Brücke betreten, die
162 man nicht mehr zurückgehen kann? Wir geraten damit in eine
163 Einbahnstraße, die keinen Ausweg nach rückwärts läßt, auf
164 der man nur nach vorn weiterkommt. Wir können uns nicht mehr
165 darauf zurückziehen, daß wir es doch nicht ganz so ernst gemeint
166 hätten. Auf Illusionen steigt heute niemand mehr ein. Die
167 kleinsten Kinder glauben nicht mehr an den Osterhasen. Die
168 Zeiten sind vorbei, da man mit christlicher Feier so tun könnte,
169 als ob Jesus lebte, und zugleich unentwegt mit seinem ganzen
170 übrigen Leben so tut, als ob er nicht auferstanden wäre, als ob
171 die Welt auf ewig unerlöst bleiben müßte, als ob wir doch unsere
172 eigenen Erlöser sein und als solche zugrunde gehen müßten. Das
173 Bekenntnis, daß Jesus lebt, wird uns niemand glauben, wenn wir
174 es uns nicht für uns selbst zu eigen machen. Durch die
175 Auferstehung Jesu ist die Welt eine andere geworden, und diese
176 Veränderung der Welt müssen wir gelten lassen und respektieren.
177 Wir müssen sie zum Zuge kommen lassen. Ich will versuchen
178 anzudeuten, was das heißen möchte. Wenn wir sagen: " Mein
179 Erlöser lebt " - und wir sollen es ja sagen -, dann können
180 wir es doch keinesfalls so sagen, daß wir es andern um die Ohren
181 schlagen und alle verketzern und verteufeln, die es nicht
182 mitsprechen können. Der Auferstandene trägt unverwechselbar die
183 Züge des Gekreuzigten, der sich mit den Gottlosen und für sie
184 hat hinrichten lassen. Er erlöst die Welt nicht so, daß er ihr
185 den Glauben aufzwingt, sondern so, daß er für sie stirbt. Er
186 ist nicht gekommen, um die Unfrommen mit Gewalt fromm und die
187 Frommen noch frömmer zu machen. Er ist gekommen, um sich auf die
188 Seite der Gottlosen zu schlagen, um für sie zu bitten und
189 einzutreten, um auf sie zu warten mit brennender Ungeduld. Wer
190 ihn als seinen Erlöser bekennt, wird selbst auf die Seite der
191 Gottlosen gestellt. Er findet sich selbst vor als einen, der an
192 den Auferstandenen nicht glauben kann und nicht glauben will. Er
193 erkennt mit Schrecken und Entzücken: Daß ich an ihn glaube,
194 kommt nicht daher, daß ich stark genug dazu wäre, sondern daher,
195 daß der auferstandene Herr stärker ist als mein Unglaube. Trotz
196 meines Unblaubens läßt er mich wissen, daß er lebt, weil er mir
197 meinen Unglauben nicht glaubt. Wenn er stärker ist als mein
198 Unglaube, wie sollte es dann einen Unglauben geben, der sich
199 gegen ihn behaupten könnte? Das gehört zur Veränderung der
200 Welt, daß diese nicht mehr zerfällt in Glaubende und
201 Nichtglaubende, weil ihr lebendiger Herr auch die Glaubenden
202 demaskiert und auch auf die Nichtglaubenden wartet. Wem das nicht
203 paßt, der kehrt zurück in die Nacht, die vergangen ist. Daß
204 er für alle lebt, das will von uns gelebt werden. Paulus schrieb
205 einmal das merkwürdige Wort: " Wir kennen von nun an niemand
206 nach dem Fleisch. " Er meinte: Wir sollen uns durch das nicht
207 täuschen lassen, was vor Augen ist.
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