Quelle Nummer 156
Rubrik 09 : WIRTSCHAFT Unterrubrik 09.22 : WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
EINKOMMENSVERTEILUNG
HORST GEORG KOBLITZ
EINKOMMENSVERTEILUNG UND INFLATION IN KURZFRISTIGER
ANALYSE
(BEITRAEGE ZUR GELDLEHRE, HERAUSGEGEBEN VON RUDOLF
SCHILCHER)
WALTER DE GRUYTER, BERLIN, NEW YORK 1971, S.12-20
001 Bleiben die (absoluten) Preise konstant, so sind
002 Änderungen des nominellen Einkommens (wie seiner Verteilung)
003 zugleich Veränderungen des realen Gesamteinkommens (und seiner
004 Verteilung) im Sinne einer veränderten gesamtwirtschaftlichen
005 Menge an produzierten Gütern und Diensten (" total
006 availabilities ") und ihrer Aufteilung auf die
007 Empfangsberechtigten; Veränderungen in der Verteilung des
008 nominellen Gesamteinkommens entsprechen also Veränderungen in der
009 des Realeinkommens, wobei mit der Realeinkommensverteilung
010 Aspekte ökonomischer und sozialer " Wohlfahrt " ins Spiel
011 kommen (Wohlfahrt hier unproblematisch verstanden als Ausdruck
012 für die materielle Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und
013 Diensten). Naheliegenderweise ist es die Verteilung der
014 Nominaleinkommen, mit der sich die Verteilungstheorie bevorzugt
015 beschäftigt. Freilich sind Aussagen über die
016 Nominaleinkommensverteilung solchen über die
017 Realeinkommensverteilung äquivalent, wenn Bewegungen der
018 absoluten Preise nicht berücksichtigt werden, ein schlichter
019 Sachverhalt, der von der neoklassischen Verteilungstheorie
020 nachhaltig verwertet wurde. Ein Verlust an Realeinkommen für die
021 Lohnempfänger muß aber schon dann eintreten, wenn - bei
022 unveränderten nominalen Anteil am Gesamteinkommen - die Preise
023 der Lohngüter stärker steigen als die Preise der für andere
024 Einkommensbezieher relevanten Güter. Nun kann eine
025 Verteilungstheorie, welcher der Realismus ihrer Grundannahmen und
026 der Wirklichkeitssinn ihrer Fragestellungen nicht gleichgültig
027 sind, schwerlich von konstanten Preisen (einem konstanten
028 Geldwert) ausgehen. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist der
029 zwar allmähliche, in den einzelnen Phasen ungleichmäßig rasch
030 voranschreitende, nichtsdestoweniger beharrliche, chronische
031 Preisanstieg eine vertraute Erscheinung. Die " milde ",
032 " schleichende " Inflation, manifest werdend in dem Anstieg des
033 Preisindex' für die Lebenshaltung, des Preisniveau aller
034 Konsumgüter oder des Preisindex' für das gesamte Sozialprodukt,
035 ist tatsächlich zu einem " Hausgespenst " (W. Hofmann) der
036 kapitalistischen Marktwirtschaften geworden. Hinzu kommt, daß
037 die Preisanstiege sich selbst dann fortgesetzt haben, wenn die
038 Beschäftigung der Arbeitskräfte und die Ausnutzung des -
039 kurzfristig - gegebenen Kapitalstocks nicht jedenfalls und immer
040 " volle " oder " normale " Höhe erreichten, unbeschadet des
041 Umstandes, daß die Vollbeschäftigungs-Garantie von nahezu
042 allen Regierungen ernst genommen wurde. Steigen aber die Preise
043 und schwankt die Beschäftigung, so ändern sich die Proportionen
044 zwischen Beschaffungsumfang, Produktion, Preisniveau
045 und Lohnniveau, Höhe und Struktur der Nachfrage, Einkommen
046 - und mit allen ändert sich die Verteilung. Nominelles und
047 reales Gesamteinkommen werden - langfristig wie
048 kurzfristig - in Ländern mit Vollbeschäftigungspolitik
049 gewöhnlich gleichsinnig variieren. Bei kurzfristig gegebener
050 Beschäftigung und Produktivität sind Bewegungen des nominellen
051 Einkommens allerdings lediglich von Bewegungen seiner
052 Preiskomponente verursacht. Inflationär steigende Preise lassen
053 nominelles und reales Einkommen sich in unterschiedlichem Umfang
054 entwickeln; steigen neben den Preisen zudem die Geldeinkommen der
055 Gruppen unterschiedlich, so ist nicht ohne weiteres ersichtlich,
056 wessen Realeinkommen sich stärker oder schwächer, schneller oder
057 langsamer verändern und für wen damit die Erteilung " günstiger "
058 oder " ungünstiger " wird. Wie häufig bei
059 gesamtwirtschaftlichen Betrachtungen gilt es auch bei der
060 Untersuchung der gesamtwirtschaftlichen Einkommensverteilung zu
061 entscheiden, ob die Überlegungen auf nominellen oder realen
062 Größen basieren sollen. Nur dort, wo die Beziehung technischer
063 Art ist, kann unbedenklich von realen Größen ausgegangen werden,
064 wie z. B. bei der Produktionsfunktion. Wir wählen als
065 Basis nominelle Größen, weil Gesamteinkommen und Einkommen der
066 Gruppen in den kapitalistischen Verkehrswirtschaften ebenso
067 Geldsummen darstellen wie Erlöse, Kosten, Konsumausgaben
068 und Investionsausgaben und weil nicht allein bestimmte
069 Verhältnismäßigkeiten zwischen Kosten und Preisen, Preisen
070 und Einkommen, Einkommen und Ausgaben usw. untersucht werden
071 sollen, sondern weil auch deren (absolute) Niveaus interessieren
072 (Preisniveau, Einkommensniveau usw.). Schließlich legt uns
073 dieses Vorgehen unser Thema nahe. Wie verfahren werden soll,
074 wollen wir nunmehr erläutern. Unser Thema müßte in
075 vollständiger Formulierung lauten: Schleichende Inflation und
076 gesamtwirtschaftliche (funktionelle) Einkommensverteilung in
077 kurzfristiger Analyse. Die Gründe sind einsichtig, die einen so
078 langen Titel unzweckmäßig sein lassen. Die Notwendigkeit einer
079 makroökonomischen Theorie der Einkommensverteilung ist zwar bei
080 Gelegenheit ausdrücklich mit dem Hinweis auf die schleichende
081 Inflation begründet worden; tatsächlich ist eine Verbindung der
082 beiden Phänomene " Verteilung " und " Inflation " in der
083 theoretischen Literatur bisher nur beiläufig und selten auf
084 systematischer Grundlage erfolgt. Von seiten der
085 Verteilungstheorie werden veränderliche absolute Preise
086 regelmäßig aus der Kette relevanter Bestimmungsgründe per
087 Annahme ausgeschlossen; allenfalls werden generell steigende
088 Preise als wesentlicher Bestandteil eines Anpassungsmechanismus
089 wirksam, der von einem gestörten Verteilungsgleichgewicht zu einem
090 neuen Gleichgewicht hinführt. In dieser Eigenschaft sind sie
091 weniger unabhängiger und aktiver Bestimmungsgrund der Verteilung
092 als vielmehr Folge und Teil des modus procedendi von
093 " Umverteilungs "-Prozessen, die durch andere,
094 ursprünglichere Kräfte ins Werk gesetzt werden. Andererseits
095 stellten einige der frühen nachkeynesianischen Inflationsmodelle
096 ausdrücklich die Verbindung mit dem Verteilungsphänomen her.
097 Dieser " Brückenschlag " diente generell dazu, Ursachen und
098 Verlauf von Inflationsprozessen zu klären; die weiterreichenden
099 Fragen nach den Bedingungen für Anfang, Geschwindigkeit und
100 Ende derartiger Prozesse rückten ebenso erst später deutlicher
101 ins Blickfeld wie die erheblichen Schwierigkeiten, die sich aus
102 dem Zusammenspiel von zahlreichen Einflußfaktoren, den
103 unterschiedlichen Voraussetzungen für deren Auftreten, ihrer
104 relativen Stärke, wirtschaftspolitischen Kontrollierbarkeit usw.
105 ergaben. Betrachtet man den wechselweisen Wirkungszusammenhang
106 von Inflation und gesamtwirtschaftlicher Einkommensverteilung
107 genauer, so ist es zweckmäßig, zunächst hinsichtlich der
108 letzteren zwischen Prozeß der Einkommensverteilung und
109 faktischer Einkommensverteilung (Ergebnis des
110 Verteilungsprozesses, Ex-post-Verteilung) begrifflich zu
111 unterscheiden. Verteilungstheoretisch relevant ist der Prozess der
112 Einkommensverteilung, denn in seinem Verlauf werden alle
113 verteilungsbestimmenden Faktoren wirksam: Indem die Theorie sich
114 durch die Auswahl bestimmter, für vorrangig erachteter
115 Bestimmungsfaktoren und das Aufzeigen ihrer Wirkungsweisen die
116 " Wirklichkeit " spezifischer Verteilungsprozesse " zurechtmacht "
117 - um einen Ausdruck von A. Spiethoff zu verwenden -,
118 sieht sie sich in den Stand versetzt, tatsächliche (empirische)
119 Verteilungsprozesse und deren faktische Ergebnisse -
120 versuchsweise - zu erklären. Der Einfluß steigender Preise
121 auf die faktische Einkommensverteilung wird in der
122 Inflationswirkungslehre - einem im ganzen noch nicht sehr extensiv
123 entwickelten Teilgebiet der Inflationstheorie -
124 traditionellermaßen vorrangig gewürdigt. Es ist üblich,
125 statistische Befunde als Beweismittel heranzuziehen. Der
126 Einfluß allgemein (inflationär) steigender Preise auf
127 den Prozeß der Einkommensverteilung erscheint hingegen als von der
128 Verteilungsanalyse weitgehend vernachlässigt. Behandelt wurde
129 allenfalls die Rolle inflationärer Preisanstiege im Verlauf
130 von bereits - anders als von eben diesen - determinierten
131 Verteilungsprozessen, wie wir kurz gezeigt haben. Der Umstand,
132 daß irgendein Preisniveau, welches die inflationäre
133 Preisbewegung widerspiegelt, als " Deflator " benutzt wird,
134 bedeutet nicht, daß Inflation damit in den
135 Erklärungszusammenhang einbezogen wäre, sondern das ziemliche
136 Gegenteil. Überlegungswert ist aber, ob Inflation nicht einen
137 zusätzlichen, wichtigen monetären Bestimmungsgrund für den
138 Prozeß der gesamtwirtschaftlichen Einkommensverteilung darstellt,
139 der von der Verteilungstheorie zu Unrecht bisher nicht ausreichend
140 gewürdigt worden ist. (Wie wir am Ende sehen werden, wiegt
141 dieses " Unrecht " nicht allzu schwer; damit werden wir mehr zu
142 einer nachdenklichen Einsicht aus Gründen gefunden haben denn zu
143 einem aufregenden Ergebnis.) Unberührt davon, ob und mit
144 welchem Erfolg die inflationäre Preisentwicklung als zusätzlicher
145 unabhängiger und aktiver Faktor in der Untersuchung des
146 Verteilungsprozesses berücksichtigt werden kann, ist auch die
147 Umkehrung des Zusammenhanges von Inflation und
148 Einkommensverteilung bedeutungsvoll. Die Frage lautet dann:
149 Sind Umstände und Eigenheiten des Verteilungsprozesses,
150 vorrangig die verteilungspolitischen Aktivitäten der
151 einkommensempfangenden Gruppen, nicht erheblich für das
152 Inflations-Phänomen? Verstärken sich etwa die möglichen
153 Preiseffekte einzelner Anstrengungen, den Prozeß der
154 Einkommensverteilung zum eigenen Besten zu beeinflussen, zu der
155 allgemeinen Inflation? Eine gewissenhafte Prüfung aller
156 Aspekte einer solchen denkbaren inflationären Auswirkung von
157 Vorgängen bei der Einkommensverteilung hätte die meisten der
158 wesentlichen Inhalte der gegenwärtigen Inflationstheorie
159 auszuschöpfen. Wir werden uns demgegenüber darauf beschränken
160 müssen, einige der Grundzüge zu skizzieren. Unser
161 Hauptinteresse wollen wir aber der Frage zuwenden, ob und
162 inwieweit die offenen, schleichende Inflation - verstanden als
163 langanhaltender, mit gemäßigter Rate voranschreitender
164 Preissteigerungsprozeß, gemessen durch irgendein repräsentatives
165 Preisniveau - zur Erklärung des Prozesses der
166 gesamtwirtschaftlichen Einkommensverteilung beitragen kann. Einige
167 Ergebnisse der bisherigen verteilungstheoretischen Bemühungen
168 wären dann zu modefizieren. Unausgleichlich wäre der Fall, wenn
169 sich gut begründen ließe, daß inflationär steigende Preise
170 die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte in einem
171 wesentlichen Ausmaß beeinflussen, welche ihrerseits den Prozeß
172 der Verteilung (und mithin das Verteilungsresultat) determinieren.
173 Für unser Vorhaben ist es unumgänglich, daß die wichtigsten
174 Bestimmungsgründe dieses Prozesses in ihren hauptsächlichen
175 Verknüpfungen dargelegt werden. Wir wollen dabei im wesentlichen
176 dem gegenwärtigen Stand der verteilungstheoretischen Erkenntnis
177 entsprechen, obgleich wir uns der Tatsache sehr wohl bewußt sind,
178 daß von einer einheitlichen Verteilungstheorie in einem strengen
179 Sinne angesichts der teilweise wirklich alternativen Zugänge zum
180 Verteilungsproblem derzeit nicht gesprochen werden sollte.
181 Abgesehen von dem unmittelbar anschließenden Kapitel folgen
182 unsere Überlegungen in dieser Arbeit also verteilungstheoretischen
183 Linien. Um den für unsere Überlegungen verbindlichen
184 kurzfristigen Horizont nicht zu überschreiten, werden wir der
185 naheliegenden Versuchung nicht nachgeben, den wechselweisen
186 Zusammenhang von Inflation und Vermögensverteilung mit
187 einzubeziehen. Auf die Diskussion wissenschafttheoretischer
188 Aspekte werden wir gleichfalls - wenn schon widerstrebend - fast
189 durchweg verzichten. Im einzelnen werden wir wie folgt vorgehen:
190 Im Kapitel behandeln wir einige grundsätzliche Beziehungen
191 zwischen Inflation und Einkommensverteilung, und zwar aus
192 inflationstheoretischer Sicht. Unter wird uns das Problem der
193 Einwirkung der schleichenden Inflation auf die faktische
194 Einkommensverteilung beschäftigen. Diese Musterung der
195 möglichen Distributionseffekte der Inflation läßt die Gründe
196 außer acht, die es zu der inflationären Preisentwicklung kommen
197 lassen. Unter wird der Blickpunkt auf den fraglichen
198 Zusammenhang geändert und geprüft, inwieweit der
199 Inflationsprozess als bewirkt gesehen werden muß durch das
200 Anspruchsverhalten der sozialen Gruppen im Hinblick auf eine
201 erstrebte Verteilung der Einkommen. Diese Untersuchung der
202 Inflationseffekte verteilungspolitischen Handels der Gruppen wird
203 verbunden mit einer Durchsicht wichtiger Gehalte der
204 Inflationsdebatte in den letzten Jahren. In Kapitel bemühen
205 wir uns um die Festlegung einer verteilungstheoretischen
206 Ausgangsposition für die weitere Behandlung des Themas -
207 nunmehr auf verteilungstheoretischer Grundlage. Zunächst
208 erörtern wir im Teil in gestraffter Auseinandersetzung mit der
209 grenzproduktivitätstheoretischen Lösung einige der
210 Grundsatzfragen der Verteilungsanalyse. Anschliesend diskutieren
211 wir in die Zweckmäßigkeit eines intregierten Modells zur
212 Erklärung der Einkommensverteilung, aufbauend auf dem Dualismus
213 von Verteilungsstruktur und Verteilungsniveau. Kapitel
214 enthält die Bestimmung der Verteilungsstruktur mit Hilfe der
215 unternehmerischen Preispolitik, wobei schließlich geprüft wird,
216 ob und wie die inflationäre Preisentwicklung als Determinante in
217 diesem Ansatz berücksicht werden kann. Dabei werden wir uns
218 eingehend mit dem Realismus der preistheoretischen Grundlagen der
219 Verteilungsanalyse auseinandersetzen. Kapitel enthält analog
220 die Bestimmung des Verteilungsniveaus aus dem Einkommenskreislauf.
221 Wiederum ist im Anschluß an die kritische Darstellung dieses
222 Zuganges zu prüfen, ob und wie inflationär steigende Preise auf
223 die hier relevanten Entscheidungen und Verhaltensweisen einwirken.
224 Kapitel behandelt schließlich eingangs einige Fragen zur
225 Integrationsfähigkeit beider Ansätze. Abschließend erstreben
226 wir ein Gesamturteil über den Einfluß der Inflation auf den
227 Prozeß der Einkommensverteilung. Gesellschaftlicher
228 Verteilungskonflikt und schleichende Inflation. Zum
229 Einfluß der schleichenden Inflation auf die faktische
230 Einkommensverteilung. Vorbemerkung. Hat die
231 Inflation Einfluß auf die faktische Einkommensverteilung?
232 Bei Durchsicht der Literatur stößt man auf einen
233 erstaunlichen Umstand. Während über den (fördernden,
234 schädlichen oder fehlenden) Einfluß der Inflation auf das
235 Wachstum z. B. zu keiner Zeit eine überwiegende Meinung in
236 einer bestimmten Hinsicht erzielt worden ist, haben die
237 Inflationstheoretiker den Einfluß der Inflation auf die
238 Einkommensverteilung einmütiger beurteilt: früher dahingehend,
239 daß dieser Einfluß tatsächlich gegeben und als sozialpolitisch
240 gefährlich einzuschätzen sei; neuerdings zunehmend mit der
241 Tendenz, daß sich dieser Einfluß auf das Kernverhältnis der
242 Verteilung, das Verhältnis von Löhnen und Gewinnen respektive
243 Lohnsätzen und Preisen, nicht nachweisen lasse. (Von der
244 Vermögensverteilung und ihren möglichen Veränderungen unter
245 anhaltender Inflation sehen wir innerhalb unserer kurzfristigen
246 Betrachtung ab.) Namentlich durch das Standardwerk
247 Bresciani-Turronis über die deutsche Hyperinflation der
248 Jahre 1918 bis 1923 war die Ansicht genährt worden, daß diese
249 die Verteilung der Einkommen (und in nahezu verheerender Weise
250 die Verteilung der Vermögen) negativ beeinflust und nachhaltige
251 soziale Schäden hervorgerufen habe. Seither war weithin
252 akzeptiert, daß die Inflation die faktische Einkommensverteilung
253 in eindeutiger Weise verändert. Gleichwohl bereitete es
254 erhebliche Schwierigkeiten, die Verteilungswirkungen der
255 Inflation zu trennen von den Verteilungswirkungen anderer
256 ökonomischer Prozesse, wie z. B. den Änderungen in den
257 Relation von Angebot und Nachfrage, Wachstum eingeschlossen.
258 In direkter Auseinandersetzung mit den Thesen Bresciani-
259 Turronis sind Laursen und Pedersen in einer
260 gründlichen Studie, gestützt auf empirische Nachrechnungen, zu
261 einem entgegengesetzten Urteil gelangt; dieses verdichtet sich zu
262 der Feststellung, daß die Umverteilungswirkungen und
263 dementsprechend die sozialen Schäden der großen deutschen
264 Inflation viel geringer gewesen seien als bisher angenommen. Sie
265 müßten geradezu als unbeträchtlich eingestuft werden, wenn man
266 die erheblichen negativen sozialen und politischen Folgen bedenke,
267 die eine Massenarbeitslosigkeit und der Fortbestand der staatlichen
268 Kriegsschuld gehabt hätten. Gegenüber einer Hyperinflation will
269 es für die uns hier nur interessierende schleichende Inflation noch
270 schwieriger scheinen, " die Bürde der Inflation zu
271 identifizieren ", insbesondere in Hinsicht darauf, wer sie
272 letztlich zu tragen hat. Vom Standpunkt der Logik leuchtet der
273 Vorgang einer schleichenden Redistribution bei anhaltender
274 inflatorischer Preissteigerung unmittelbar ein. Demnach müssen
275 Verteilungswirkungen immer eintreten, sobald die Geldeinkommen
276 verschiedener Gruppen nicht gleichmäßig und nicht gleichzeitig
277 (bzw. nicht gleich ausdauernd und nicht im gleichen Tempo)
278 steigen. Es ist davon auszugehen, daß das System sämtlicher
279 Preise, d. h. insbesondere das Verhältnis aller
280 Güterpreise zu den Preisen für die produktiven Leistungen
281 (Lohnsätzen, Gewinnarten, Abschreibungssätzen usw.) einen
282 die Volkswirtschaft als Ganzes umspannenden Verteilungsmechanismus
283 darstellt. Änderungen in den Preisrelationen, wie sie durch die
284 unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Preise zustande kommen,
285 verändern daher die Verteilung. Da Einkommen stets preisbestimmt
286 sind, werden die Einkommen einzelner Empfängergruppen um so
287 stärker auseinanderstreben, je unterschiedlicher sich die Preise
288 für Güter und Faktorleistungen entwickeln, je unterschiedlicher
289 diese Preise auf den generellen Preisanstieg reagieren. Der
290 letztgenannte Aspekt ist bei unserem Thema von besonderem
291 Interesse. Unter der Decke der allgemeinen, durchschnittlichen
292 Preissteigerungsrate, die als Maßstab der Inflation dient,
293 verändern sich die einzelnen Preise eo ipso mit unterschiedlichen
294 Raten, so daß die Einkommensverschiebungen unter Inflation stets
295 ein strukturelles Moment enthalten. Lassen wir dieses strukturelle
296 Moment unberücksichtigt, so müssen die " verlierenden "
297 Gruppen Realeinkommensverluste hinnehmen, allein als Folge des
298 inflationären Anstiegs des Preisniveaus, selbst dann, wenn sie
299 ihre Geldeinkommen - wenn auch unterdurchschnittlich - zu
300 steigern vermögen. Im Einklang mit der Literatur sind drei
301 Fälle zu nennen, in denen a priori eine Einwirkung der Inflation
302 auf die faktische Einkommensverteilung gedacht werden kann:
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