Quelle Nummer 005
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.01 : HEFTROMANE
DEM TOD ENTRISSEN
UTA DORN
HALLBERG VERLAG ISERLOHN 1970, S. 44-47
SERIE: HALLBERG-ARZT-ROMAN NR. 393
001 " Aber was hat denn meine
002 Schwägerin Bettina mit deinem Entschluß zu tun? ", fragt er.
003 " Das ist leicht zu erklären, lieber Lothar, weil sie die
004 Frau ist, die ich heiraten möchte. " Als habe eine Bombe
005 eingeschlagen, springt Lothar auf. " Ich glaube, Markus, ich
006 verstehe dich wirklich nicht. " Lothar Preß ist nun wirklich
007 überrascht. Er weiß mit den Worten seines Freundes so recht
008 nichts anzufangen. " Du kennst doch Bettina Halden gar nicht.
009 Bettina hätte es mir gegenüber bestimmt erwähnt, wenn du sie
010 inzwischen aufgesucht hättest und sie mit dir näher bekannt wäre. "
011 " Sie konnte es nicht erwähnen, weil sie mich nicht unter dem
012 Namen Markus Fabrizius kennt. " " Bitte, Markus, willst du
013 dich nicht endlich deutlicher ausdrücken? So verstehe ich
014 nämlich kein Wort. " " Ich werde dir alles erzählen, Lothar. "
015 Markus beginnt seinen Bericht mit seinem ersten Besuch und
016 Lothar Preß hört fassungslos zu. Dann hat er sie also doch
017 heimlich aufgesucht, weil seine Neugierde ihm keine Ruhe ließ!
018 denkt er. Als Markus bei seinem nächtlichen Besuch angelangt ist
019 und schildert, was er Bettina vorgeflunkert hat, wird der Arzt
020 Lothar Preß fast ein wenig wütend. " Und du sagst, Bettina
021 ist mitgegangen? " " Ja. " " Sonderbar ", meint Lothar.
022 " Aber sag einmal Markus, wie konntest du dir nur so etwas
023 Schreckliches ausdenken? Das ist ja fast ein Dummerjungenstreich. "
024 Markus senkt den Kopf, ein wenig beschämt und schuldbewußt
025 " Ich wußte nicht, wie ich meinen Besuch rechtfertigen sollte
026 - mitten in der Nacht. " " Und du hast mich und Marlies an
027 diesem Abend gesehen und dann anschließend gleich Bettina
028 aufgesucht? " " Ja, das habe ich ", gibt Markus ehrlich zu.
029 " Hättest du nicht um Schlaftabletten oder irgendein
030 schmerzstillendes Mittel bitten können? Mußte es ausgerechnet
031 Morphium sein? " " Es ist mir gerade so eingefallen, als ich
032 vor ihrer Tür stand. Bei harmlosen Mitteln hätte sie sicher
033 gesagt, daß ich sie in jeder Nachtapotheke bekäme, nicht wahr?
034 Es mußte schon etwas Ausgefallenes, Außergewöhnliches sein,
035 das mich noch abends zu ihr trieb. Und wie du siehst, hat sie auch
036 genauso reagiert, wie ich es gehofft hatte. " " Schön und gut,
037 Markus. Aber wenn dieser Schwindel einmal herauskommt, wird
038 Bettina dir das nie verzeihen, so wie ich sie kenne. " " Bis
039 dahin muß ich ihrer Zuneigung gewiß sein. Und eine Frau, die
040 liebt, verzeiht einem Mann alles. " " Du nimmst also an, daß
041 Bettina dich liebt? " " Ich hoffe es zumindest. " " Und
042 wenn es nur Mitleid mit dir war? " wagt Lothar einzuwenden,
043 obwohl er sich nicht vorstellen kann, daß man einen Mann wie
044 seinen Freund nicht gern haben könnte. Keine Frau hat ihm bisher
045 widerstehen können! " Ich verstehe überhaupt nicht, wie du
046 dich in sie verlieben konntest, du - der für interessante,
047 schöne und sehr elegante Frauen schwärmt. " " Erstens hast du
048 einmal erwähnt, daß Bettina Halden gar nicht häßlich wäre -
049 und zweitens, das habe ich vergessen zu sagen, habe ich sie schon
050 einmal vorher mit dir gesehen. " " Mit mir? " " Ja. "
051 Markus erzählt dem Freund nun auch von dieser Begegnung.
052 " Stimmt. " Lothar schlägt sich vor den Kopf. " Das vergaß
053 ich. " " Nun sag einmal ehrlich, Lothar. Hast du Bedenken,
054 daß Bettina nicht zu erringen ist? " " Ich weiß es nicht,
055 Markus. Bettina Halden ist mit Leib und Seele Arzt,
056 beziehungsweise Ärztin. Und ich kann mir nicht denken, daß sie
057 ihren Beruf so ohne weiteres aufgibt. " " Nun, das ist nicht
058 das Schlimmste. Dafür gibt es irgendeine Lösung ", meint
059 Markus zuversichtlich. " Bitte, Markus, schwöre mir und
060 versprich, daß du mit Bettina nicht spielst. " Entrüstet wehrt
061 Markus ab. " Ich habe dir bereits gesagt, Lothar, daß ich sie
062 heiraten möchte. Du benimmst dich eigenartig, so als bedeute
063 Bettina dir noch etwas. Ich denke, du bist mit ihrer Schwester
064 verlobt, die übrigens wirklich auch ganz reizend ist ", fügt er
065 hinzu. " Bettinas Wohl liegt mir trotzdem am Herzen. Sie ist
066 schließlich meine Jugendfreundin und nun meine Schwägerin.
067 Außerdem sind wir nach wie vor gute Freunde ", erwidert Lothar
068 ernst. " Na ja. " - Markus Fabrizius winkt ungeduldig ab.
069 " Eigentlich habe ich dich nur deshalb aufgesucht und dir alles
070 erzählt, damit du mir hilfst und am Samstag nicht alles verrätst. "
071 " Hilfst? " " Hör zu! " Markus setzt dem Freund
072 ausführlich auseinander, daß er an der Party am Samstag nicht
073 teilnehmen kann. " Und dein Vater, was sagt er dazu? "
074 " Das laß nur meine eigene Sorge sein, Lothar. Hauptsache ist,
075 daß du mich nicht verrätst, wie ich schon sagte. " " Was hast
076 du vor? " " Ich muß nach England fliegen. " " Nach
077 England? " " Ja, eigentlich sollte Dr. Brodersen fliegen;
078 aber ich werde Papa verständlich machen, daß ich die Sache
079 unbedingt selber in die Hände nehmen muß. " Lothar schaut den
080 Freund kopfschüttelnd an. " Da wird dein alter Herr sehr
081 enttäuscht sein. " " Das tut mir leid, aber es ist in diesem
082 Falle nicht zu ändern. " " Warum hast du Bettina nicht schon
083 längst die Wahrheit gesagt? " Markus wird verlegen.
084 " Vielleicht hatte ich Hemmungen ", erwidert er. " Oder Angst,
085 daß sie dir dann endgültig verloren ist. " " Bitte, Lothar. "
086 " Also doch Bedenken ", stellt Lothar fest. " Ich
087 verspreche dir, es ihr gleich nach meiner Rückkehr von England zu
088 sagen. " " Nun gut, Markus. Hoffentlich verzeiht Bettina dir
089 diesen Schwindel. Du mußt jetzt zusehen, wie du dich da wieder
090 herauswindest. " " Hätte ich gewußt, daß es ihre Schwester
091 ist, die du heiraten willst, wäre ich vielleicht gar nicht auf die
092 absurde Idee gekommen. Vielmehr hätte ich dich dann gebeten,
093 mich mit Bettina bekannt zu machen. " " Dann hast du also damals
094 hinter meinem Rücken gehandelt, obwohl du mir gesagt hast, daß
095 du einem Freund nie die Frau wegnehmen würdest. " " Ja,
096 Lothar, ein wenig schon. Aber mein Gewissen hat mich beruhigt,
097 als ich dich an dem fraglichen Abend mit Marlies allein sah und
098 hinterher auch noch von deiner Verlobung mit ihr hörte. " " Und
099 wenn ich mich nun nicht mit Marlies - sondern mit Bettina verlobt
100 hätte? " " Ich weiß nicht, was ich dann getan hätte.
101 Leider muß ich dir gestehen, daß ich meine Absicht schon
102 geändert habe, als ich Bettina Halden das erste Mal in deiner
103 Begleitung sah. - Das ist die Frau, auf die du ein ganzes
104 Leben lang gewartet hast! dachte ich sofort. Und seit diesem
105 Tag habe ich auch keine andere Frau mehr angeschaut und mein
106 sogenanntes Playboyleben, wie auch du es nanntest, aufgegeben. "
107 Das stimmt sogar, überlegt Lothar - aber er schaut den Freund
108 nur stumm an. Daß ausgerechnet die an sich so ernsthafte Bettina
109 es fertiggebracht hat, ihn zu bekehren, überrascht ihn sehr. Und
110 dann fällt ihm ein, daß Marlies gesagt hat, Bettina sei seit
111 einiger Zeit verändert, nämlich seit dem Tag, da sie die
112 Blumen von diesem Patienten Hollmann bekam. Ja - und er wie
113 auch Marlies haben nicht gewußt, daß Bettina überhaupt
114 ausgegangen ist, weil sie an diesen Abenden ja selbst nicht daheim
115 waren. Mark Hollmann ist in Wirklichkeit Markus Fabrizius.
116 Jetzt weiß er es. - " Also Lothar, du verrätst mich nicht ",
117 bittet Markus, ehe er geht, noch einmal. Nachdenklich
118 blickt Dr. Lothar Preß ihm nach, als er den Raum verläßt.
119 Ob Bettina ihn liebt? Warum hat sie nie erwähnt, daß sie mit
120 diesem Hollmann, der in Wirklichkeit sein Freund Markus ist,
121 ausgegangen ist? Lothar überlegt, ob er Marlies einweihen soll
122 - doch dann läßt er es. Am Abend, als Lothar seine Braut
123 und auch Bettina abholt, ist er sehr erstaunt. " Du gehst so zu
124 der Party? " fragt er seine Schwägerin. " Ja - warum denn
125 nicht? Ich werde Direktor Fabrizius gegenüber schon die
126 richtigen Worte finden. Wenn ich zufällig irgendeinen meiner
127 Patienten, denen er mich empfohlen hat, treffen sollte, wird
128 dieser mich sicher kaum wiedererkennen. Und wenn schon - nun -
129 so werde ich auch dieses Problem zu lösen wissen. Jeder Mensch
130 wird Verständnis für mich haben. Die Maskerade habe ich ja
131 hauptsächlich wegen der älteren Leute - und wegen der Männer
132 gemacht. " " Du hättest das überhaupt nicht nötig gehabt,
133 liebe Tina. Sie wären auch so gekommen. Ich habe dir schon bei
134 meinem ersten Besuch in der Rathausstraße gesagt, daß auch ich
135 mich lieber von einer schönen und jungen Ärztin hätte behandeln
136 lassen. Im Kreiskrankenhaus war das etwas anderes. Da waren es
137 die Schwestern, die dir dein Aussehen neideten. Und außerdem
138 mußtest du dich vor den Nachstellungen der Ärzte retten. Aber
139 als selbständige Ärztin hättest du das alles nicht nötig gehabt,
140 liebe Tina. " " Nun schön, Lothar. Du magst recht haben.
141 Aber ich kann mich jetzt nicht auf einmal meinen Patienten mit
142 einem Lockenkopf präsentieren. " " Nach und nach könntest du
143 dich - ganz allmählich - zurückverwandeln, Bettina. Es
144 genügt, wenn die Hornbrille in der Sprechstunde bleibt. Man
145 wird inzwischen längst eingesehen und erkannt haben, wie tüchtig
146 du bist, und sich an eine neue Frisur, an eine etwas hübschere
147 Frau Doktor gewöhnen. " " Vielleicht hast du recht, Lothar ",
148 meint Bettina nachdenklich. " Ich werde es versuchen, und
149 zwar nach meinem Urlaub. Da fällt es am wenigsten auf. Ich war
150 am Meer, und der Bequemlichkeit und Einfachheit halber habe ich
151 mir die Haare dort eben abschneiden lassen. " " Das ist eine
152 gute Idee ", stimmt auch Marlies begeistert zu. Bewundernd
153 schaut sie ihre große Schwester an. Sie findet sie bildhübsch,
154 und als sie zu ihrem Verlobten hinüberschaut, liest sie auch in
155 seinen Augen Bewunderung. Ob er mich nur erwählte, weil er
156 gespürt hat, daß er meine Schwester Bettina nicht bekommt?
157 fragt sie sich ein wenig erschreckt. Aber dann vergißt sie es,
158 als Lothars graue Augen bei ihrem Anblick zärtlich aufleuchten.
159 " Wie süß du wieder aussiehst, Marlieskind ", sagt er, zieht
160 sie an sich und küßt sie. Bettina sieht ihnen lächelnd zu, aber
161 doch mit ein wenig Wehmut im Herzen. Ausgerechnet in diesem
162 Moment muß sie an Mark Hollmann denken. Gemeinsam betreten sie
163 eine halbe Stunde später die etwas außerhalb der Stadt liegende
164 große und feudale weiße Villa des Großindustriellen Hans
165 Fabrizius. Ein Diener führt sie, nachdem er ihnen die
166 Garderobe abgenommen hat, in die festlich erleuchteten Räume.
167 Direktor Hans Fabrizius sieht sich, als er auf seine ersten
168 Gäste zugeht, plötzlich einer entzückenden Dame gegenüber,
169 die ihm zwar irgendwie bekannt vorkommt, die er aber nirgends
170 unterbringen kann. Wen hat Lothar, sein Werkarzt, denn da
171 mitgebracht? Daß es die Ärztin Bettina Halden sein könnte,
172 auf diese Idee kommt er nicht - jedenfalls nicht sofort. Zuerst
173 begrüßt er seinen Werkarzt und dessen reizende junge Braut
174 Marlies, die er schon kennt, um sich dann fragend der anderen
175 Dame zuzuwenden. " Wollen Sie mich nicht bekannt machen,
176 Lothar? " sagt er zu Bettinas Schwager. " Ich glaube, das
177 ist wohl nicht nötig, Herr Generaldirektor ", antwortet
178 Bettina lachend an Lothars Stelle. Schnell setzt sie sich die
179 Brille auf, die sie in der Hand hielt. " Erkennen Sie mich
180 vielleicht jetzt besser, Herr Direktor Fabrizius? " Hans
181 Fabrizius schaut die junge, strahlend schöne Frau, die Ärztin
182 Bettina Halden, benommen an. " Was haben Sie gemacht, Frau
183 Doktor? " sagt er, nachdem es ihm dämmert, wer die
184 Begleiterin des Brautpaares ist, " eine Verjüngungskur mit
185 selbstentdeckten Medikamenten? " Doch dann lacht er schallend
186 auf. Na, Markus wird staunen, wenn ich ihm nach seiner
187 Rückkehr die "alte Jungfer" Dr. med. Halden vorstelle,
188 denkt er, im Innern amüsiert und voller Schadenfreude.
189 " Kommen Sie, Frau Doktor, ehe die anderen Gäste eintreffen.
190 Sie müssen mir erzählen, warum Sie sich in der Sprechstunde so
191 getarnt haben. Irgendeinen Grund müssen Sie doch dafür
192 anführen. " " Gern, Herr Direktor Fabrizius. " " Lothar,
193 würden Sie sich, falls meine Unterhaltung mit Ihrer
194 Schwägerin etwas länger dauern sollte, um die inzwischen
195 eintreffenden Gäste kümmern. Markus ist leider nicht da. Er
196 ist, wie Sie vielleicht wissen, nach England geflogen. " -
197 Er wendet sich Bettina zu. " Es tut mir leid, daß ich Ihnen
198 heute meinen Sohn nicht vorstellen kann. Sicher wäre er sehr
199 erstaunt gewesen. " Lothar erwidert nichts auf diese Worte. Er
200 verspricht, der Hausdame Bescheid zu geben und sich den
201 ankommenden Gästen zu widmen. " Kommen Sie jetzt, Frau Dr.
202 Halden! " Hans Fabrizius faßt Bettina am Arm. " Sie
203 sind mir, wie gesagt, eine kleine Erklärung schuldig. "
204 Bettina lacht. - Und Hans Fabrizius schaut bewundernd auf
205 ihren jungen Mund, die weißen Zähne und dann in ihre Augen,
206 die, auch wenn sie jetzt wieder von den Brillengläsern verdeckt
207 werden, schön, klug und faszinierend sind. Marlies und Lothar
208 blicken Bettina und Hans Fabrizius nach, bis die beiden hinter
209 der großen Tür verschwinden. Und drinnen in der gemütlichen
210 Bibliothek des Hausherrn erzählt Bettina dem heute so
211 aufgeschlossen und jung wirkenden Hans Fabrizius, warum sie ihm
212 das erste Mal so verändert gegenübergetreten ist. Hans
213 Fabrizius lacht schallend auf, als sie endet. - " Nun stehe
214 ich meinem Sohne gegenüber als Lügner da.
Zum Anfang dieser Seite